expopharm 2022: Impfen in Apotheken – Eine Erfolgsgeschichte?

Auf der expopharm 2022 diskutierten vier Experten, welche Erfahrungen bisher in Bezug auf das Impfen in Apotheken gesammelt wurden und wie die Dienstleistung in Zukunft aussehen könnte.

Impfung Apotheke

Mit dem Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung durch das Masernschutzgesetz und den COVID-19-Impfungen ist die Verabreichung von Vakzinen zur Prävention von Infektionskrankheiten in Apotheken angekommen. Die bisherigen Hürden, Erfolge und mögliche Zukunftsaussichten diskutierten die Politikwissenschaftlerin und geschäftsführende Gesellschafterin der May und Bauer GbR, Cosima Bauer, der Vorsitzende des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR), Thomas Preis, der Universitätsprofessor und wissenschaftliche Leiter der Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker, Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz sowie der Pharmazeut, Biochemiker, Molekularbiologe und Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung Prof. Dr. Theo Dingermann auf der expopharm 2022.

Anfänge der Apotheken-Impfungen in Deutschland

Zu Beginn erzählte Bauer, dass sie vor mehreren Jahren gemeinsam mit einem Kollegen auf die Apotheken-Impfungen in Frankreich aufmerksam geworden sei. Im Rahmen einer gesundheitsökonomischen Studie untersuchte die Politikwissenschaftlerin, welchen Nutzen Impfungen in Apotheken für die Volkswirtschaft und das Gesundheitswesen in Deutschland haben würden. Unter anderem gemeinsam mit Preis hat Bauer in der Folge an dem Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung in der Region Nordrhein beigetragen. „Impfen in der Apotheke ist ein Erfolgsmodell“, ist sich der Vorsitzende des AVNR sicher. Es sei eine unglaubliche Ausweitung der Kompetenzen des Berufstandes.

Die Region Nordrhein bezeichnete Dingermann als Vorreiter in Bezug auf die Impfungen in Apotheken. Preis berichtete, dass hier jede vierte Apotheke impfbereit sei. Während Apotheken in Nordrhein 11% bis 12% der Gesamtmenge in Deutschland ausmachen, stellen sie 25% der impfenden Apotheken.

Deutschland als „Exot“ im internationalen Vergleich

Auch Schubert-Zsilavecz erklärte Impfstoffe und deren Entwicklung seien von gesamtgesellschaftlichem Nutzen. In Deutschland sei die Nutzung dieser Fortschritte im Vergleich zu anderen Ländern jedoch gering. Er warf die Frage in den Raum, ob eine Umstellung des Systems nötig sei und wer im Interesse der Gesellschaft zu einer Verbesserung beitragen könne. Apotheken in das Impfgeschehen einzubinden, um den Missstand der niedrigen Durchimpfungsraten zu beheben sei seiner Ansicht nach mit Blick auf die pharmazeutische Ausbildung und Kompetenzen nur logisch und konsequent.

Bauer pflichtete dem bei und berichtete von einem Modellprojekt zur Grippeschutzimpfung in Frankreich, das aufgrund seines Erfolgs sehr schnell landesweit ausgerollt worden sei. Ähnlich sei es in der Schweiz gewesen. Mittlerweile impften Apotheken fast überall in Europa. Sie bezeichnet Deutschland in diesem Fall eher als „Exoten“. Gerade zu Beginn der Apotheken-Impfungen habe es in den Fachkreisen viel Gegenwehr gegeben. Dass das Vorhaben so schnell ausgerollt wurde, stimmte sie positiv. Die 2-Jahres-Bilanz der Modellprojekte in Nordrhein zeige zudem, dass Impfen in Apotheken keine Probleme, wie unerwünschte Vorfälle verursache. Das Stimmungsbild sei insgesamt positiv.

Qualitätssicherung durch Aus- und Weiterbildung

Dingermann ergänzte, dass das Einreißen der bestehenden Strukturen notwendig gewesen sei, um in das neue System zu kommen. Die Grenzen zwischen den beiden Heilberufen Arzt und Apotheker war ist zwar klar, sei aber beispielsweise auch in Bezug auf die Diagnostik immer mehr verschwommen worden. Er fragte daraufhin den AVNR-Vorsitzenden nach dem Kenntnisnachweis, den Apotheker erbringen müssen, um Impfen zu dürfen. Die Schulung zur Durchführung von Impfungen müsse nach der entsprechenden Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) erfolgen. Eine Durchführung bei der BAK ist aber nicht notwendig, man könne diese entsprechend den Vorgaben auch bei einem bekannten Arzt absolvieren.

Die Apotheken sollten neue Aufgaben wie das Impfen und den Umgang mit Cannabisverordnungen und anderer neuer Medikamente mit Selbstbewusstsein angehen. Dieses Selbstbewusstsein müsse nicht aus Selbstzweck, sondern weil dies von der Gesellschaft erwartet werde. Preis betonte, dass das Ziel eine Erhöhung der Impfraten sei und nicht, den Ärzten etwas wegzunehmen. Die Absicht neuer Aufgaben sei immer eine bessere Versorgung der Bürger. Dingermann fügte hinzu, dass die neuen Aufgaben auch eine neue Ära der akademischen Ausbildung einleiteten. Gleichzeitig müssen viele Teile des Berufsstandes diese in Weiterbildungen erlernen. Die Bereitschaft und der Wille für Schulungen und dafür Expertise zu bekommen sei eindeutig da, so Schubert-Zsilavecz. Die Qualitätssicherung könne insbesondere durch eine enge Zusammenarbeit der Bundes- und Landesapothekerkammern gelingen.

Evaluation der Modellvorhaben

Bauer ist unter anderem beteiligt an der wissenschaftlichen Evaluation der Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung. Vorgaben hierzu lieferte ein Katalog der Bundesärztekammer (BÄK). Auf dessen Basis wurde unter anderem in Zusammenarbeit mit der Bundesapothekerkammer (BAK) ein Fragebogen entwickelt, der sich sowohl an Apotheken als auch an Patienten richtete.

Hohe Nachfrage und Zufriedenheit

Die Patienten schätzen demnach das niederschwellige Angebot in den Apotheken. Bauer zufolge wären im ersten Jahr noch mehr Apotheken impfbereit gewesen, jedoch fehlten zunächst die Impfstoffe. Die Nachfrage sei unglaublich hoch gewesen, konnte jedoch zum Teil nicht bedient werden. Es waren 99,9% der Patienten (sehr) zufrieden mit den Impfungen in Apotheken und über 90% könnten sich weiter Impfangebote gegen andere Erkrankungen in Apotheken vorstellen. Generell bestehe ein hohes Vertrauen in die Kompetenz der Apotheker.

Starke Kompetenz

In der Zweiten Saison sei die Kompetenz der Pharmazeuten viel stärker wahrgenommen worden, laut Bauer auch aufgrund der Leistungen im Zuge der Coronavirus-Pandemie. Auch die Sicherheit der Apotheken-Impfungen sei nachgewiesen worden, es habe keine Zwischenfälle wie anaphylaktische Reaktionen gegeben. Die impfenden Apotheker gaben an, sich gut ausgebildet und sicher mit der neuen Aufgabe zu fühlen. Insgesamt sei das Stimmungsfeld in beiden Jahren sehr positiv gewesen.

Impfnebenwirkungen in der Praxis nicht nachweisbar

Preis erläuterte, dass Impfnebenwirkungen insgesamt sehr selten seien, das gelte beispielsweise auch für anaphylaktische Schocks bei COVID-19-Impfungen. „Manches Medikament, das die Menschen einnehmen, ist risikobehafteter als eine Impfung“, sagte er. Dingermann ergänzte hierzu, dass man jedoch bedenken müsse, dass das Impfen bei Gesunden erfolge, während Medikamente zur Behandlung von Kranken dienten. Man dürfe Impfungen nicht verharmlosen, aber es sollte klar sein, dass Nebenwirkungen sowohl auf der Basis von Theorie als auch Empirie nicht da seien.

Impfungen gegen weitere Erkrankungen vorstellbar

In der Schweiz habe die Politik die Apotheken wegen zu niedriger Durchimpfungsraten auch bei Impfungen gegen andere Erkrankungen als Influenza einbezogen und die Erfolge seien objektiv vorhanden, so Schubert-Zsilavecz. Dies werde in Deutschland ähnlich passieren, prognostizierte der Universitätsprofessor. Die emotionale Diskussion zwischen Ärzten und Apothekern sei für ihn unverständlich. Ärzte impften selten selbst, häufig seien es die Praxisangestellten, die die Impfung durchführten. Aus seiner Sicht gebe es auf Basis qualifizierter Schulungen nur Pro-Argumente für Apotheken.

Die Impfungen sind laut Preis in den Apotheken angekommen. Dies zeige die Frage nach den COVID-19-Impfungen ebenso wie die Übernahme der Grippeimpfungen in die Regelversorgung ab Oktober 2022. Dingermann erklärte, im Fokus stehe dabei eine Gesundheitsvorsorge mit leichtem Zugang.

FSME-Impfung prädestiniert für Apotheke

Nach der Einschätzung von Cosima Bauer ist insbesondere die FSME-Impfung aufgrund der engen Impfintervalle prädestiniert für die Impfungen in Apotheken. Das müsse aber aus pharmazeutischer Sicht beurteilt werden. Sie erzählte, dass Apotheken in Frankreich mittlerweile alle Totimpfstoffe verimpfen dürften. Dingermann betonte daraufhin, dass die Differenzierung zwischen Tot- und Lebendimpfstoffen in diesem Zusammenhang aufgrund der unterschiedlichen Entität wichtig sei.

Einbindung von PTA

Auch Preis ist sich sicher, dass Apotheken künftig mehr Impfungen übernehmen dürfen. Er weist in diesem Zusammenhang auch auf den Ärzte-Rückgang hin, der kompensiert werden müsse. Aus ökonomischer Sicht müsse Impfen in Apotheken ein Ganzjahresereignis werden. Seiner Meinung nach sei außerdem langfristig eine Einbindung pharmazeutisch-technischer Assistenten (PTA) in den Impfprozess sinnvoll. „Wir werden gar nicht diese Mengen schaffen an Impfungen, wenn das immer eine Apotheker:in machen soll“, erklärte er. Zudem wies er daraufhin bei der Neueröffnung einer Apotheke bereits darauf zu achten, dass entsprechende Räumlichkeiten für Impfungen u.a. vorhanden wären. Zeitlich begrenzte Impfräume seien unsinnig, da immer weitere neue Aufgaben auf die Apotheken zukommen würden.

Ökonomische Betrachtung

Gegen Ende lenkte Dingermann die Aufmerksamkeit auf das Thema Vergütung und fragte, ob Impfen für Apotheken denn ökonomisch sei. Preis stellte vorweg, dass er allen Apotheken das Impfen empfehle, da es eine Kompetenzerweiterung darstelle und die jeweilige Apotheke besonders positioniere. Die verhandelten Preise für das Impfen seien aktuell nicht anders möglich, aber langfristig sei viel mehr Geld für die Apotheken nötig. Das Honorar sei nicht mit der Grundpauschaule und der Vergütung für das Impfen der Ärzte vergleichbar. Bauer ergänzte, dass das Impfen Apotheken nichts extra kosten dürfe. Eine neuere Befragung zu COVID-19-Impfungen zeige, dass die Motivation vor allem in einem Präventionsbeitrag und der gesteigerten Wertschätzung liege. Wichtig sei ein gutes Gesamtkonzept.

Gute Zukunftsaussichten für Apotheken

Bisher habe man gute Erfahrungen gesammelt und Bauer könne sich vorstellen, dass künftig eine Reihe von Impfungen in Apotheken angeboten werde und auch eine weitere Einbindung in die Gesundheitsversorgung und Prävention erfolge. Preis prophezeite den Apotheken aufgrund der Impfungen, pharmazeutischen Dienstleistungen, der Arzneimittel- und Gesundheitsversorgung eine „tolle Zukunft“. Apotheken seien gut erreichbar und sehr kompetent. Auch Schubert-Zsilavecz schloss sich an, die Erfolgsgeschichten Impfen in der Apotheke werde weitergehen. Er rechne auch mit einer gesteigerten Dankbarkeit der Ärzteschaft, da dieser mehr Zeit für andere Dinge bleibe.

Zum Schluss wies Dingermann noch einmal auf ein bereits von Preis angerissenen Thema hin. Dieser hatte berichtet, dass auch bei anderen Dienstleistungen wie Blutdruckmessungen zunächst viel Kritik laut geworden sei, solche Leistung nun aber alltäglich seien. Diese Wandlung könnte auch nach Dingermanns Ansicht für Impfungen kommen. „In 2 Jahren wird keiner mehr darüber reden“, meinte er. Impfungen sollten seiner Meinung nach als besondere Dienstleistung der Apotheken herausgestellt werden, das „stünde dem Berufsstand ganz gut zu Gesicht“.

Autor:
Stand:
28.09.2022
Quelle:

„Impfen in Apotheken – heute, morgen, übermorgen“, Cosima Bauer, May und Bauer GbR, Thomas Preis, Vorsitzender Apothekerverband Nordrhein, Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Dr. Theo Dingermann, Senior Editor Pharmazeutische Zeitung, expopharm 2022 vom 14.-17.09.2022

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