Vielfache Kritik am GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Das Bundesministerium für Gesundheit hat einen Referentenentwurf für das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz veröffentlicht. Seitens der betroffenen Branchen hagelt es Kritik an den vorgesehenen Maßnahmen.

Wirtschaftlichkeit

Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz stößt allgemein auf Ablehnung. Während die Krankenkassen eine zu starke Belastung der Beitragszahler kritisieren, moniert die Ärzteschaft insbesondere die Abschaffung der Neupatientenregelung. Apotheken befürchten einen massiven Eingriff in die Honorierung ihrer Leistungen und die pharmazeutische Industrie warnt vor einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung aufgrund der geplanten Einsparungen.

Ziele des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes

Seit dem Jahr 2020 wächst die Finanzierungslücke der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) deutlich. Ursachen sind unter anderem der demographische Wandel, ein Rückgang der beitragspflichtigen Einnahmen aufgrund der sinkenden Zahl der Beschäftigten durch die Corona-Pandemie sowie hohe Ausgaben der vergangenen Legislaturperiode. Laut dem Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes würde ohne zusätzliche Maßnahmen der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der GKV im Jahr 2023 von derzeit 1,3 Prozent um rund einen Prozentpunkt steigen, jedes weitere Jahr um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte. Ein Beitragssatzpunkt entspricht dabei rund 16 Milliarden Euro.

17 Milliarden Euro Defizit für 2023

Ziel des geplanten Sparpaketes ist es zunächst, die für das Jahr 2023 prognostizierten Defizite der Gesetzlichen Krankenversicherung von 17 Milliarden Euro zu überbrücken. Der erste im März 2022 öffentlich gewordene Gesetzesentwurf sorgte für starke Kritik. Er wurde jedoch kurze Zeit später zurückgezogen.

Eckpunkte des Referentenentwurfs

Wesentliche Eckpunkte des aktuellen Referentenentwurfes sind:

  • Erhöhung der Zusatzbeiträge um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte und Reduzierung der Finanzreserven der Krankenkassen durch einen kassenübergreifenden Solidarausgleich zur Stabilisierung der Beitragssätze
  • Bereitstellung von Bundesmitteln in Höhe von 2 Milliarden Euro an und Aufnahme eines Bundesdarlehens in Höhe von 1 Milliarden Euro durch den Gesundheitsfonds
  • Verlängerung des Preismoratoriums um weitere vier Jahre, Erhöhung des Apothekenabschlags auf 2 Euro für die Dauer von zwei Jahren, Solidaritätsabgabe der pharmazeutischen Unternehmen von einer Milliarde Euro für 2023 und 2024, Änderungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG)
  • Aufhebung der sogenannten Neupatientenregelung (extrabudgetäre Vergütung ärztlicher Leistungen für die Behandlung von Patienten, die erstmals oder erstmals seit mehr als zwei Jahren wieder in der jeweiligen Arztpraxis behandelt werden)

Im Vorfeld der fachlichen Anhörung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetztes wurden zahlreiche Stellungnahmen und Pressemitteilungen der betroffenen Branchen veröffentlicht, die eine Nachbesserung des Gesetzes fordern.

Hohe Belastung der Beitragszahler

Die Vorsitzenden des Verwaltungsrates des GKV-Spitzenverbandes, Uwe Klemens und Dr. Susanne Wagemann, kritisieren in einer Pressemitteilung, dass die Hauptlast der Finanzierungslücke von den Beitragszahlenden getragen werden soll. „Die Beitragszahlenden, aus deren Portemonnaies die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds sowie die Finanzreserven der Krankenkassen stammen, [sollen] mit über 11 Mrd. Euro gut zwei Drittel der für 2023 erwarteten Finanzierungslücke von 17 Mrd. Euro schultern.“, heißt es.
Gerade im Hinblick auf die Inflation sowie steigende Energiekosten und Lebensmittelpreise seien die geplanten Beitragserhöhungen ein „fatales Signal“. Ähnlich sieht es der Sozialverband Deutschland (SoVD) und ergänzt, dass der Bund die Verantwortung zur Refinanzierung auf den Wettbewerb der Krankenkassen schiebe. Denn die Höhe der Zusatzbeiträge dürfen von jeder Kasse selbst festgelegt werden.

Finanzierung der Gesundheitsversorgung bei ALG-II

Der GKV-Spitzenverband kritisiert zudem, dass entgegen den Ankündigungen im Koalitionsvertrag keine Anpassungen in Bezug auf die Finanzierung der Gesundheitsversorgung von ALG-II-Empfängern geplant sind und die Krankenkassen den Bundeshaushalt weiter mitfinanzierten. „Im Auftrag des Staats organisieren und bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen die gesundheitliche Versorgung der ALG-II-Empfangenden, erhalten dafür aber vom Staat pro Jahr zehn Milliarden Euro weniger aus Steuermitteln, als sie für diese Versorgung ausgeben müssen.“

Eingriff in Finanzautonomie der GKV

Die vorgesehene Abführung von 4 Milliarden Euro aus den von den Krankenkassen gebildeten Reserven stelle zudem einen massiven Eingriff in die Finanzautonomie der selbstverwalteten gesetzlichen Krankenversicherung dar.

Gefährdung der Arzneimittelversorgung?

Die Sparmaßnahmen, die die pharmazeutischen Unternehmen betreffen, sollen etwa 4 Milliarden Euro einsparen. Die Änderungen des AMNOG beziehen sich insbesondere auf verschärfte Grenzen bei der Höhe des Erstattungsbetrages, wenn ein geringer oder nicht quantifizierbarer Zusatznutzen festgestellt wird, einen Abschlag für Arzneimittel, die in einer freien Kombination eingesetzt werden, sowie eine niedrigere Umsatzgrenze für eine reguläre Nutzenbewertung bei Orphan Drugs.

„Mautsystem für innovative Arzneimittel“

"Die Pharmaindustrie hat die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verursacht! Ihr Anteil an den Gesamtausgaben lag im letzten Jahrzehnt stabil bei 16%.“, klagt der Präsident des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), Han Steutel. Die Änderungen des AMNOG bezeichnet er als „Mautsystem für innovative Arzneimittel“, das die Marktrücknahme von Arzneimitteln riskiere.

Schwächung des „Pharmastandort Deutschland“

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) sieht Deutschland als Pharmastandort durch die Sparmaßnahmen weiter gefährdet. Auch das verlängerte Preismoratorium könne bei steigenden Produktionskosten die Marktrücknahme von Arzneimitteln zur Folge haben. Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des BAH, prognostiziert, dass die Solidaritätsabgabe wenig zielführend sein werde.“ Diese laufe ebenfalls dem Ziel einer Standort-Stärkung zuwider.

Erhöhter Kostendruck auf Apotheken

Auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) erklärt in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf, die Sparmaßnahmen schwächten das Arzneimittelversorgungssystem, da die Maßnahmen über den Anteil dieses Bereichs an der Ausgabensteigerung der GKV hinaus gehe. Insbesondere die Apotheken seien keinesfalls als Kostentreiber aufgefallen, so ist ihr Anteil an den GKV-Ausgaben laut ABDA in den letzten 20 Jahren von 3,0 v.H. auf 1,9 v.H. gesunken.

Die Erhöhung des GKV-Abschlags der Apotheken führe je Apotheke zu einem durchschnittlichen Verlust von 6.500 Euro pro Jahr, der nicht über andere Wege ausgeglichen werden könne. Gleichzeitig sei der Festbetrag nie angepasst worden, obwohl sich der Kostendruck auf die Apotheken durch steigende Lohn- und Lebenshaltungskosten, verschlechterte Einkaufskonditionen beim Großhandel und zusätzliche bürokratische gesetzgeberische Maßnahmen aktuell massiv verschärfe.

Rückgang der Apothekenbetriebsstätten

Die Belastungen hätten in den letzten zwei Jahren durch Sondererlöse im Rahmen der Corona-Pandemie ausgeglichen werden, allerdings seien diese inzwischen weggefallen. Eine zusätzliche Belastung könne zum weiteren Rückgang der Betriebstätten führen, wodurch die flächendeckende Versorgung gefährdet wird. Dr. Hans-Peter Hubmann, Chef des Bayerischen Apothekerverbandes und Vize-Chef des Deutschen Apothekerverbandes bezeichnet die Sparmaßnahmen als sinnlos. „Angesichts des geringen Anteils ist es völlig sinnlos, politische Sparmaßnahmen umzusetzen, die für die Krankenkassen keinen spürbaren Effekt haben, für Apotheken aber eine massive Belastung darstellen.“

Ärzte lehnen Aufhebung der Neupatientenregelung ab

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) lehnt die Aufhebung der Neupatientenregelung ab. „Es kann und darf nicht sein, dass am Ende das enorme Engagement der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte bestraft wird, Neupatienten zusätzliche Termine anzubieten, so wie es die Politik auch gewollt hatte“, betont KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. Das Vertrauen in die Ärzteschaft in die Politik sei damit ein weiteres Mal erschüttert. Die Maßnahme ist laut KBV, angesichts des über die Budgetierung der Gesamtvergütungen geleisteten Beitrags der Ärzte zur Stabilisierung der GKV-Ausgaben, nicht nachvollziehbar.

Verschärfung der Versorgungsituation

Seitens der Bundesärztekammer (BÄK) heißt es zudem von BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt: „Diese kurzsichtige Maßnahme wird nur einen geringen Teil des Krankenkassen-Defizits insgesamt ausgleichen, sie kann aber die Versorgungssituation weiter verschärfen“. Die geplanten Honorarkürzungen seien nichts anderes als Leistungskürzungen durch die Hintertür.

In der Stellungnahme der BÄK wird zudem die Höhe des geplanten Bundeszuschusses für den Gesundheitsfonds kritisiert. Konkret fordert sie einen Zuschuss in Höhe von fünf Milliarden Euro im Jahr 2023. In den Folgejahren sei zwingend ein dem tatsächlichen Bedarf angepasster und, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, regelhaft dynamisierter ausreichender Bundeszuschuss erforderlich. Die Bundesärztekammer bringt zudem erneut die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Arzneimittel an. Die Anpassungen des AMNOG würden begrüßt.

Fazit

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Brachen mit den Maßnahmen für ihren jeweiligen Bereich unzufrieden sind und Nachbesserungsbedarf beim GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sehen. Ein Aspekt, der immer wieder angeführt wird, ist die Gefährdung der Patientenversorgung aus unterschiedlichen Gründen. Im Allgemeinen wird außerdem vielfach kritisiert, dass die Maßnahmen nur eine kurzfristige Lösung böten und nicht ausreichend seien. „Die umfassende ökonomische Krisensituation erfordert durchgreifende Maßnahmen.“, heißt es beispielsweise seitens des GKV-Spitzenverbandes.

Autor:
Stand:
14.07.2022
Quelle:
  1. ABDA: Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – GKV-FinStG), Stand: 12.07.2022
  2. ABDA: Snippet – Hubmann bezeichnet Sparmaßnahmen als "sinnlos" (07.07.2022)
  3. BAH: Pressemitteilung – GKV-Spargesetz ist Versorgungs-Gefährdungs-Gesetz (04.07.2022)
  4. BÄK: Pressemeldung – GKV-Finanzstabilisierungsgesetz; Ärzteschaft warnt vor Leistungskürzungen durch die Hintertür (12.07.2022)
  5. BMG: Referentenentwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – GKV-FinStG), Stand: 30.06.2022
  6. GKV-Spitzenverband: Pressemitteilung – Einseitige Belastung der Beitragszahlenden stoppen! (13.07.2022)
  7. KBV: Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – GKV-FinStG), Stand: 08.07.2022
  8. KBV: Pressemeldung – Lauterbach will Neupatientenregelung streichen - Scharfe Kritik aus der Ärzteschaft (30.06.2022)
  9. SoVD: Stellungnahme zum Referentenentwurf-GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (13.07.2022)
  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige

Orphan Disease Finder

Orphan Disease Finder

Hier können Sie seltene Erkrankungen nach Symptomen suchen:

 

Seltene Krankheiten von A-Z
Schwerpunkt Seltene Erkrankungen