
Im Jahr 1953 gründete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die »INN (international nonproprietary name) Expert Group«, die ein weltweit einheitliches, nachvollziehbares Nomenklatursystem für alle pharmazeutischen Wirkstoffe festlegt. Anhand des INN können einzelne Substanzen eindeutig identifiziert werden.
Pharmakologisch und/oder strukturell verwandte Wirkstoffe werden in sogenannte INN-Stämme mit einem gemeinsamen Namensteil (Stammbezeichnung) gruppiert. Das erste Schema zur Benennung monoklonaler Antikörper mit der Stammbezeichnung -mab (Monoclonal AntiBody) wurde 1991 eingeführt. Aufgrund der großen Anzahl an Neuentwicklungen im Bereich der Immunglobuline werden nun laut WHO neue Möglichkeiten zur Benennung monoklonaler Antikörper benötigt.
Starke Neuentwicklung schränkt INN-Möglichkeiten ein
Bis April 2022 waren 879 INN für monoklonale Antikörper vergeben. Dabei ist zu beachten, dass alle Wirkstoffe in der klinischen Prüfung einen INN erhalten, auch wenn sie am Ende nicht zugelassen werden. Im Januar 2022 waren beispielsweise nur 114 Immunglobuline auf dem Markt verfügbar. INN, die einmal vergeben wurden, werden jedoch nicht gelöscht und können auch nicht abgeändert werden.
Die starke Entwicklung im Bereich der spezifischen Immuntherapien mit monoklonalen Antikörpern macht es nun laut WHO notwendig, die Stammbezeichnung -mab einzustellen und stattdessen ein neues Nomenklatursystem einzuführen, das zum einen den neueren technischen Entwicklungen und der zunehmenden Diversität der Antikörper besser gerecht wird und zum anderen wieder mehr Flexibilität in der Namensgebung erlaubt.
Neue Nomenklatur
Das neue Schema besteht aus vier Stammsilben, die sich auf die Strukturvielfalt Antikörper-basierter Wirkstoffe beziehen.
Stammsilbe | Beschreibung |
-tug | „unmodified immunglobulins“ Monospezifische, vollständige Immunglobuline, die unveränderte konstante Regionen (Fc) und ein identisches Set komplementaritätsbestimmender Regionen (CDR) enthalten, die das gleiche Epitop binden |
-bart | „artificial immunglobulins“ Monospezfiische, vollständige Immunglobuline mit modifizierter konstanter Region (Fc), z.B. zur Stabilisierung, Veränderung der Glykosylierung oder Rezeptorbindung, Anheftung weiterer variabler Domänen |
-ment | „immunglobulin fragments“ Monospezifische Fragmente, die mindestens eine antigenbindende variable Domäne eines Immunglobulins enthalten mit vollständiger, anteiliger oder ohne Fc-Region (z.B. Fab-Fragmente, scFv-Fc-Konstrukte) |
-mig | „multi-specific immunglobulins“ Bi- und multispezifische Immunglobuline, die über unterschiedliche variable Domänen mit verschiedenen CDR verfügen Die Benennung erfolgt unabhängig von Format (natürlich vs. modifiziert), Größe (vollständig vs. Fragment) und Form (ohne vs. mit Erweiterung) Dazu zählen nicht: Immunglobuline, die durch ein einziges Set von CDR multiple Spezifitäten besitzen (z.B. Bimekizumab gegen IL-17A, IL-17F und IL-17AF) |
Infixe
Seit Einführung der Stammbezeichnung -mab wurden außerdem verschiedene Infixe zur Nomenklatur der Antikörper hinzugefügt, die beispielsweise auf die Herkunftsspezies (-o- für Maus, -xi- für chimär, -zu- für humanisiert, -u- für human) oder pharmazeutische Angriffspunkte (-n(e)- für neuronal, -tox(a)- für Toxin) hinweisen.
Die Infixe für die Untergruppen nach pharmakologischen Angriffspunkten wurden zu großen Teilen in das neue Schema übernommen. Neu ist, dass das Infix -li- für „immunmodulatorisch“ in zwei Subgruppen geteilt wird. So steht -sto- für „immunstimulatorisch“ und -pru- für „immunsuppressiv“. Außerdem wurden die neuen Infixe -ki- für Zytokine und Zytokin-Rezeptoren und -ler für Allergene eingeführt.
Wirkstoffe mit Antikörper-Anteil
Antikörper sind außerdem Teil verschiedener Wirkstoffkombinationen. Diese bleiben größtenteils von den Neuerungen unberührt.
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate
Die Nomenklatur der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, die aus dem Antikörpernamen und einem zweiten Begriff für den konjugierten, zytotoxischen Wirkstoff besteht, wird beibehalten, entsprechend mit den neuen Antikörper-INN.
Antikörper in Fusionsproteinen
Fusionsproteine haben die Stammsilbe -fusp. Enthalten sie vollständige Antikörper oder Antikörperfragmente, wird das Infix -a- eingefügt.
Antikörper als Komponenten in Zelltherapeutika
Sind Antikörper in Arzneimitteln für neuartige Therapien (advanced therapy medicinal products, ATMPs) enthalten, wie beispielsweise CAR-T-Zellen, ändert sich auch hier an der eigenen INN Nomenklatur dieser Substanzen nichts.