
In einer Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) mit dem Wissenschaftsjournalisten Dr. Eckart von Hirschhausen betonten die verschiedenen Referenten die Bedeutung der Prävention und Bekämpfung von Diabetes mellitus. Neben dem Einfluss des Lebensstils und Klimawandels, wurden das Zusammenspiel mit COVID-19, die Unterstützung von Schulkindern mit Typ-1-Diabetes sowie die Förderung von Fachkräften im Bereich Diabetologie betrachtet. Dabei ging es vor allem um einen Appell an die (künftige) Bundesregierung, die Prävention chronischer Erkrankungen aktiv voranzutreiben.
Gezielte Prävention nichtübertragbarer Krankheiten
Etwa 71% der Todesfälle weltweit lassen sich auf nichtübertragbare und ernährungsabhängige Krankheiten zurückführen. Adipositas ist häufig die Ursache für chronische Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes und die Zahl der übergewichtigen Menschen in Deutschland steigt. Auch im Zusammenhang mit COVID-19 sind diese Erkrankungen ein Risikofaktor. Menschen mit Typ-2-Diabetes haben häufiger einen schweren Verlauf als Gesunde. Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) sieht in den chronischen Erkrankungen eine Pandemie hinter der Pandemie, die ebenso wie COVID-19 mit politischen Maßnahmen aktiv bekämpft werden müsse. Appelle an die Eigenverantwortung reichten dabei nicht aus, Bitzer fordert „einen Paradigmenwechsel von der Verhaltens- hin zur Verhältnisprävention“.
Werbung für ungesunde Lebensmittel beschränken
Kinder sind Werbung ständig ausgesetzt, insbesondere für ungesunde Lebensmittel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Jahr 2010 eine Empfehlung zur Vermarktung von Lebensmitteln und nichtalkoholischen Getränken an Kinder ausgesprochen, um dies zu ändern. Eine Food-Watch Studie aus dem August 2021 zeigt jedoch, dass weiterhin 85% der beworbenen Lebensmittel an Kinder nicht dem EU-Nährwertprofil entsprechen. In Deutschland beschränken sich die Maßnahmen dagegen bisher auf freiwillige Werbeeinschränkungen und Zuckerreduktion. Diese seien laut Bitzer gescheitert. Sie erklärt, dass sich in Ländern wie Großbritannien und Chile bereits gezeigt habe, dass ein starkes Maßnahmenbündel, beispielsweise bestehend aus einem Werbeverbot sowie einer „Softdrinkabgabe“ große Erfolge bringen könnten, um eine gesündere Lebensweise zu fördern und die Hersteller zu animieren ihre Rezepturen entsprechend zu verändern.
Gesunde Lebensweise fördern
Die DDG und DANK haben drei prioritäre Maßnahmen formuliert, um gesunde Ernährung zu fördern und so ernährungsbedingte Erkrankungen zu reduzieren. Diese sind
- Die verpflichtende Kennzeichnung aller, insbesondere verarbeiteter und verpackter Lebensmittel mit dem Nutri-Score
- Ein Kinderwerbeverbot für ungesunde Lebensmittel nach dem Maßstab des WHO-Nutrient-Profiles
- Eine sogenannte „gesunde Mehrwertsteuer“, die gesunde Lebensmittel (Obst, Gemüse, Nüsse, Getreide) steuerlich entlastet und besonders ungesunde Lebensmittel wie stark gesüßte Erfrischungsgetränke stärker belastet
Die DDG fordert außerdem verbindliche Standards für die Qualität der Lebensmittel in Kitas und Schulen sowie die Etablierung von mindestens einer Stunde Bewegung am Tag in diesen Einrichtungen.
Diabetesprävention rettet Leben
Prof. Dr. Andres Fritsche, Vizepräsident der DDG und u.a. Stellvertretender Leiter des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz-Zentrums München an der Universität Tübingen, stellte in seinem Vortrag epidemiologische Daten der Corona-Pandemie solchen der Diabeteserkrankungen in Deutschland gegenüber, um ein Gefühl für die Wichtigkeit der Diabetesprävention zu vermitteln.
Diabetes als Gesundheitsproblem mit enormer Tragweite
Während etwa 8 Mio. Menschen in Deutschland an Diabetes erkrankt sind, Tendenz steigend, sind es 4 Mio. mit COVID-19, von denen 3,8 Mio. wieder genesen sind. Bei Diabetes mellitus handelt es sich um ein chronisch-progressives Leiden, das häufig Folgen wie Herzinfarkte, Schlaganfall, Infektionen, Erblindung, Dialyse und andere verursacht. Im Jahr 2017 waren knapp über 3 Mio. Diabetespatienten im Krankenhaus, in den vergangenen 18 Monaten etwa 280.000 COVID-Patienten. Die Diabetes-bedingten Todesfälle in Deutschland belaufen sich pro Jahr etwa auf 175.000 Patienten, an COVID-19 starben in den vergangenen 18 Monaten ca. 90.000 Menschen.
Das bedeutet, dass jeder fünfte Deutsche an Diabetes oder dessen Folgen stirbt und jeder fünfte Krankenhauspatient Diabetiker ist. Diese Daten zeigten, dass Diabetes ein bedeutendes Gesundheitsproblem ist, dessen Tragweite beachtet werden müsse, so Fritsche. Diabetesprävention sei daher essenziell und rette Leben. Da gerade schlecht eingestellte Diabetiker auch zu den Risikogruppen eines schweren COVID-19-Verlaufs zählen, sei Diabetesprävention auch ein effektives Mittel zur COVID-19-Bekämfung, das in der öffentlichen Diskussion bisher nicht vorkomme.
Priorisierung von Risikogruppen
Bei der Diabetesprävention gilt es, die Priorität auf Hochrisikogruppen zu legen. Diese sind gekennzeichnet durch Übergewicht, Leberverfettung, schlechte Insulinproduktion sowie ein hohes genetisches Risiko für Diabetes. Gezielte Programme sowie Investitionen in die Prävention, wie persönliche Betreuung durch Diabetes- und Lebensstilberater verhindern Folgeerkrankungen und senken die Mortalität. Bei Niedrigrisikogruppen ist eine gelegentliche Betreuung ausreichend.
Betreuung junger Typ-1-Diabetiker
Doch nicht nur die Diabetesprävention, sondern auch die Betreuung Betroffener spielt eine wichtige Rolle. Während die medizinische Versorgung und Betreuung auf hohem Niveau erfolgten, sei die Inklusion insbesondere im schulischen Alltag mangelhaft, erklärt Professor Dr. med. Andreas Neu, Präsident der DDG, Komm. Ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen. Es erkranken in Deutschland etwa 3.500 Kinder und Jugendliche pro Jahr neu an Typ-1-Diabetes, immer öfter bereits im Vorschulalter. Sie seien mit ihrer Erkrankung oft überfordert, weil sie die komplexen Zusammenhänge noch nicht verstehen könnten. Hinzu kämen viele nicht planbare Alltagssituationen wie Sport, Spiel und Lernstress, die für die betroffenen Kinder im Zusammenhang mit der Diabetestherapie und dem Monitoring eine Herausforderung darstellten.
Schulgesundheitsfachkräfte etablieren
Die Mitversorgung von Kindern mit Diabetes sei nicht zwangsläufig eine Dienstaufgabe von Lehrern, so Neu. Aber auch die elterliche Unterstützung beispielsweise bei der Insulingabe zum Essen in der Schule stelle eine enorme Belastung dar und störe den Schulalltag der Kinder. Zwar können Schulbegleiter und Integrationskräfte pädagogische Hilfe leisten, haben in der Regel aber keine medizinischen Kenntnisse. Hier könnten laut Neu Schulgesundheitsfachkräfte zum Einsatz kommen, dieses Konzept wird u.a. bereits in Dänemark durchgeführt.
Entlastung für Kinder und Eltern
In Deutschland wurde beispielsweise ein länderübergreifendes Modellprojekt in Brandenburg und Hessen erprobt, dessen Ergebnisse in einem Gutachten vorliegen. Dieses zeigt, dass der Einsatz von Schuldgesundheitsfachkräften machbar und ökonomisch sinnvoll wäre, empfiehlt eine Fachkraft auf 700 Schüler und zeigt bundesweite Umsetzungsmöglichkeiten auf. Eine entsprechende Qualifikation für diese Aufgabe wird in Kinderkrankenpflegern gesehen. Das neue Tätigkeitsfeld böte insbesondere aufgrund des geregelten Arbeitsalltags einen Anreiz für Pflegekräfte, so Neu. Die Gesundheitsfachkräfte könnten die Eltern entlasten und wären nicht nur für Kinder mit Diabetes eine große Unterstützung.
Fachkräftemangel bekämpfen
Während die Prävalenz des Diabetes mellitus weiter zunimmt mit derzeit 8 Mio. und im Jahr 2040 voraussichtlich 12 Mio. Betroffenen, sinkt die Anzahl der Krankenhausbetten in endokrinologischen bzw. diabetologischen Fachabteilungen ebenso wie die der klinischen Lehrstühle an medizinischen Fakultäten. Die Anzahl der Betten von 913 im Jahr 2017 verringerte sich innerhalb von zwei Jahren auf 501. Von den 36 medizinischen Fakultäten haben aktuell acht einen klinischen Lehrstuhl für Diabetologie mit bettenführender Abteilung.
Falsche Gewichtung chronischer Nebenerkrankungen
Ursächlich dafür sei unter anderem die Einführung der Fallkostenpauschale, erklärt Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, DDG Pressesprecher und stellvertretender Direktor der medizinischen Klinik IV (Diabetologie, Nephrologie und Endokrinologie) am Universitätsklinikum Tübingen. Hierdurch rückten nur die Hauptdiagnosen wie Myokardinfarkt in den Blick und Nebendiagnosen wie chronische Erkrankungen würden wenig berücksichtigt.
Förderung der Fachkräfte
Auf den bevorstehenden Anstieg der Diabetespatienten sind die aktuellen Versorgungsstrukturen laut Gallwitz nicht vorbereitet. Die DDG hat daher mit anderen Fachgesellschaften eine Musterweiterbildung für Diabetologie für Internisten, Kinderätze und Allgemeinmediziner geschaffen sowie ein Positionspapier zu Nationalen Diabetesstrategie 2020 aufgestellt. Letzteres beinhaltet insbesondere die Forderungen nach dem Ausbau klinischer Lehrstühle und Behandlungskapazitäten, eine Erweiterung des Bereichs Diabetologie im Medizinstudium sowie eine bessere Ausbildung der sprechenden Medizin, zu der auch die Diabetologie zählt. Weiterhin soll eine elektronische Diabetesakte eingeführt werden.
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz
Zum Schluss der Pressekonferenz ging Dr. med. Eckart von Hirschhausen, Moderator, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung »Gesunde Erde – Gesunde Menschen« auf den Zusammenhang zwischen Klima- und Gesundheitsschutz ein.
Diabetiker besonders anfällig bei Hitzewellen
Die Zahl der Hitzetoten steigt jährlich an. Menschen mit Diabetes zählen zu den besonders vulnerablen Gruppen für Umwelteinflüsse. Die starke Hitze aufgrund der Klimaerwärmung trifft sie besonders stark. Von Hirschhausen erklärt, dass Diabetiker häufig von einer gestörten Flüssigkeitsregulation aufgrund von Nierenfunktionsstörungen, erhöhtem Blutdruck und Polyneuropathien betroffen seien, die für eine Überforderung mit der Hitzeregulation führe. Auch die Polymedikation trage dazu bei, da einige Medikamente die Blutverlagerung in die Peripherie verhindern. Hinzu komme das oft höhere Alter der Patienten von über 60 Jahren.
Feinstaub könnte Diabetes fördern
Die Ursachen von Diabetes sind komplex. Neben genetischer Prädisposition und dem Lebensstil rücken Umweltfaktoren immer stärker in den Fokus der Forschung. Laut von Hirschhausen werde die Verbindung von Umweltgiften und der Diabetesentstehung bisher zu wenig beachtet. Feinstaub könne beispielsweise Entzündungen hervorrufen, die auch die Bauchspeicheldrüse und andere Organe angreifen und chronifizieren könnten. Problematisch sei hierbei unter anderem, dass es sich bei den betreffenden Partikeln um ultrafeine und Nanopartikel unter 100 nm handele, die aktuell nicht gemessen werden. Sie könnten nicht durch die mukoziliäre Clearance entfernt werden und wahrscheinlich auch direkt ins Herz-Kreislauf-System übergehen. Ein weiteres Risiko bestünde im Umweltfaktor Lärm, der zu einem erhöhten Stresslevel und damit zum Anstieg von Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin führe. Von Hirschhausen kommt daher zu dem Schluss, dass Klimaschutz auch Gesundheitsschutz und Prävention bedeute.
Fazit
Diabetes ist eine Volkskrankheit, deren Prävalenz immer mehr ansteigt. Eine erfolgreiche Prävention durch gesunde Ernährung und Lebensstiländerungen infolge professioneller Beratung kann Leben retten. Hierbei spielen auch Umweltfaktoren und damit einhergehend der Klimaschutz eine Rolle. Daneben muss die Versorgung für Betroffene verbessert werden. Dies betrifft zum einen die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes in Schulen. Zum anderen braucht es deutlich mehr Fachkräfte sowie Betten für diabetologische Fachabteilungen in Krankenhäusern, um die steigende Zahl der Betroffenen adäquat versorgen zu können. Die Nationale Diabetesstrategie ist laut DDG ein Schritt in die richtige Richtung, müsse aber weitere konkretisierte und verbindliche Maßnahmen festlegen.