Gliptine sind Inhibitoren der Dipepitdyl-Peptidase-4 (DPP-4), einem Enzym, das am Abbau des Inkretins GLP-1 (Glucagon-like peptide 1) beteiligt ist. Die Hemmung des GLP-1-Abbaus führt zu einer verlängerte Insulinausschüttung. Dementsprechend sind DPP-4-Inhibitoren indiziert zur Behandlung eines Diabetes mellitus Typ 2 allein oder in Kombination mit weiteren Antidiabetika. In Deutschland sind mit Saxagliptin, Sitagliptin und Vildagliptin derzeit drei DPP-4-Inhibitoren als Monopräparate oder Fixkombination mit Metformin auf dem Markt verfügbar.
Einfluss von GLP-1 auf die Gallenblase
GLP-1 hat viele Effekte. Unter anderem wird eine Auswirkung auf die postprandiale Gallenblasenmotilität diskutiert. Dauerhaft erhöhte Spiegel von GLP-1 könnten die Kontraktilität der Gallenblase vermindern und so das Risiko für Cholelithiasis und Cholezystitis erhöhen.
Für GLP-1-Rezeptoragonisten, die ebenso wie DPP-4-Hemmer inkretinmimetisch wirken, wurde bereits ein erhöhtes Risiko für Gallenblasen- und biliäre Erkrankungen nachgewiesen. Die daran beteiligten Wissenschaftler haben nun auch für DPP-4-Inhibitoren ein systematisches Review mit einer parallel laufenden Netzwerk-Metaanalyse zum Risiko von Gallenblasenentzündungen durchgeführt. Es wurden die Datenbanken PubMed, Cochrane Library, EMBASE und Web of Science von Beginn an bis zum 31. Juli 2021 durchsucht. Die Qualität der Studien wurde von zwei Gutachtern unabhängig voneinander anhand des GRADE-Konzepts (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluations) bewertetet.
Erhöhtes Risiko im Vergleich zu Placebo
In das systematische Review wurden 82 randomisierte, kontrollierte Studien eingeschlossen, in denen DPP-4-Inhibitoren mit Placebo oder anderen nicht inkretinmimetischen Antidiabetika verglichen wurden. Es wurden die Daten von insgesamt 104.833 erwachsenen Patienten mit Typ-2-Diabetes untersucht. Die Teilnehmenden waren im Schnitt 59,4 Jahre alt, 39,7% waren weiblich.
Die Datenanalyse zeigte ein signifikant erhöhtes Risiko für den zusammengesetzten Endpunkt „Erkrankung der Gallenblase oder andere biliäre Erkrankung“ unter DPP-4-Inhibitoren im Vergleich zu Placebo (Odds Ratio [OR] 1,22; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,04 bis 1,43, τ2=0,027). Das entspricht einer Risikodifferenz von etwa 11 Erkrankungen mehr pro 10.000 Personenjahre.
Bei genauerer Betrachtung zeigte sich ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Cholezystitis allein im Vergleich zu Placebo (OR 1,43; 95%-KI 1,14 bis 1,79, τ2=0) entsprechend 15 Erkrankungen mehr pro 10.000 Personenjahre. Das Risiko für Gallen- und Gallengangssteine oder andere Erkrankungen der Galle bzw. der Gallengänge wie Cholangitis, Gallenkolik, Gallenfistel, Gallengangsstenose, Gallengangsobstruktion und biliäre Zysten war unter DPP-4-Inhibitoren hingegen nicht erhöht.
Keine Risikoerhöhung bei kurzfristiger Anwendung
Die signifikanten Ergebnisse zeigten sich nur unter der Langzeitgabe von DPP-4-Inhibitoren (≥26 Wochen), nicht aber unter einer kurzfristigen Anwendung. Auch zwischen den einzelnen DPP-4-Inhibitoren waren keine signifikanten Unterschiede erkennbar.
Erhöhtes Risiko im Vergleich zu SGLT-2-Hemmern
In der Netzwerk-Metaanalyse wurden Studien ausgewertet, die DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten oder SGLT-2-Inhibitoren miteinander oder mit anderen Antidiabetika, Placebo oder der Standardbehandlung verglichen. In den 184 Vergleichsstudien zeigte sich für DPP-4-Inhibitoren im Vergleich zu SGLT-2-Hemmern ein erhöhtes Risiko für den zusammengesetzten Endpunkt „Erkrankung der Gallenblase oder andere biliäre Erkrankung“ (OR 1,32; 95%-KI 1,06 bis 1,64) und für Cholezystitis (OR 1,55; 95%-KI 1,13 bis 2,12).
Die Unterschiede im Vergleich von DPP-4-Inhibitoren mit GLP-1-Rezeptoragonisten waren nicht statistisch signifikant.
Limitationen
Bei der Einordnung der Ergebnisse ist zu beachten, dass die eingeschlossenen Studien nicht speziell darauf ausgerichtet waren, die Auswirkungen von DPP-4-Inhibitoren auf Gallenblasen- oder Gallenerkrankungen zu untersuchen. Zudem waren Erkrankungen der Gallenblase oder der Gallenwege keine vordefinierten Endpunkte, sodass möglicherweise zu wenige Fälle erfasst wurden. Außerdem waren Daten auf Patientenebene für die Meta-Analyse nicht zugänglich.
Patientenindividuelle Therapieentscheidung
Der Gemeinsame Bundesausschuss bescheinigte bisher nur Sitagliptin einen geringen Zusatznutzen. Für die Kombinationen mit Metformin sowie die Monotherapie von Saxagliptin und Vildagliptin konnte kein Zusatznutzen festgestellt werden. Dennoch zeigen sich laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) seit Jahren hohe Zuwachsraten bei den Verordnungen der Gliptine.
Die vorliegenden Untersuchungen weisen auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Cholezystitis unter DDP-4-Inhibitoren, insbesondere während einer Langzeitbehandlung, hin. Dieser Effekt konnte sowohl im Vergleich zu Placebo als auch zu SGLT-2-Hemmern beobachtet werden. Die AdkÄ erklärt daher, dass trotz der sehr niedrigen absoluten Risikodifferenz das mögliche Risiko bei der Behandlung mit Gliptinen zu berücksichtigen sei. Die Gabe von DPP-4-Inhibitoren solle für jeden Patienten individuell abgewogen werden.