Ferroptose als möglicher Komplikationstreiber bei Diabetes

Die Entstehung von Diabetes und seinen Komplikationen ist komplex. Ein möglicher Mechanismus könnte in der Ferroptose liegen. Bewahrheitet sich das, bieten sich neue Therapiemöglichkeiten.

Forscher wertet Ergebnisse aus

Die Ferroptose ist eine vor einigen Jahren neu entdeckte Form des programmierten Zelltodes. Sie wird ausgelöst, indem reaktive Sauerstoffspezies produziert werden und die Eisenhomöostase aus dem Gleichgewicht gerät. Seit der Entdeckung und Benennung in den frühen Nuller- und Zehnerjahren dieses Jahrhunderts wurde viel zur Ferroptose geforscht. Auch zu der Rolle, die sie in der Pathogenese von Diabetes mellitus und diabetesassoziierten Komplikationen spielt oder spielen könnte. Denn diese könnte beachtlich sein und vielleicht neue Therapieoptionen aufzeigen.

Komplikationen von Diabetes

Diabetesassoziierte Komplikationen sind herausfordernd in der Behandlung. Sie führen dazu, dass Lebensqualität bei den Betroffenen verloren geht und kosten das Gesundheitssystem jedes Jahr sehr viel Geld. Zu den Hauptkomplikationen gehören die diabetische Nephropathie (DKD, kurz für Diabetic Kidney Disease), die diabetische Retinopathie (DR), die diabetische Neuropathie (DNP), die diabetische Osteoporose (DOP) und diabetische Kardiomyopathien (DCM). Die Hyperglykämie gilt als einer der Hauptgründe für diabetische Komplikationen. Sie soll, wenn sie längerfristig auftritt, Nieren, das kardiovaskuläre System, Nerven, Knochen, Augen und vieles mehr schädigen. Deshalb reduzieren intensivierte Glukosekontrolltherapien auch das Risiko für diabetesassoziierte Komplikationen und können sie teilweise sogar verbessern.

Die Pathomechanismen hinter diabetesassoziierten Komplikationen sind bisher nur teilweise erforscht. Bekannt ist, dass persistierende Hyperglykämien zu mehr inflammatorischen Faktoren im Körper führen und die Glykierung von Endprotukten (AGEs) voranschreiten lassen. Gleichzeitig entstehen mehr reaktive Sauerstoffspezies (ROS), freie Fettsäuren (FFAs), Triglyzeride und Diazylglyzerol in Herz, Retina, Nieren und dem Nervensystem. Einzeln und in Kombination führt all das zum Zelltod in seinen verschiedenen Formen. Dazu zählen die Apoptose, Autophagie und die Nekroptose - aber eben auch die Ferroptose. Bei diabetischen Komplikationen könnten diese Zelltodformen eine wichtige Rolle spielen.

Ferroptose als Ursache?

Die Ferroptose unterscheidet sich sowohl biochemisch als auch morphologisch von anderen Formen des programmierten Zelltodes wie beispielsweise der Apoptose, der Nekroptose oder der Autophagie. Das macht sie so interessant für die Diabetesforschung, denn die Ferroptose bietet möglicherweise pharmakologische Angriffspunkte, um neue Therapiestrategien für Diabetes und die verschiedenen diabetischen Komplikationen zu entwickeln.

Das chinesische Forschungsduo Xi-Ding Yang und Yong-Yu Yang hat dieses Jahr im Journal »Frontiers in Endocrinology« die verschiedenen Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen der Ferroptose und Diabetes bzw. den diabetischen Komplikationen in einem Review zusammengefasst.

Grundlagen der Ferroptose

Im Jahr 2003 wurde mit Erastin ein neues Molekül gefunden, das einen bis dahin unbekannten Weg des Zelltodes auslöst. Da sich der Mechanismus durch Eisenchelatbildner hemmen ließ, wurde ihm 2012 der Namen Ferroptose gegeben.

Die Ferroptose verläuft nicht wie andere Formen des programmierten Zelltodes. Bei der Nekrose beispielsweise schwellen das Zytoplasma und die Organellen an, die Zellmembran rupturiert und die Zelle stirbt. Die Apoptose ist unter anderem gekennzeichnet durch morphologische Veränderungen wie schrumpfende Zellen, Chromatinkonsenation und die Formierung von apoptotischen Körpern. Auch die Autophagie unterscheidet sich deutlich von der Ferroptose, denn bei der Ferroptose entsteht keine klassische geschlossene zweilagige Membranstruktur.

Am ehesten lässt sich die Ferroptose dadurch charakterisieren, dass die Mitochondrien bei erhöhter Membrandichte und sinkenden mitochondrialen Cristae schrumpfen. Biochemisch zeigt sich eine eisenabhängige Lipidperoxidation. Cysteinmangel und eine gehemmte Glutathionsynthese, während Eisenchelatbildner und lipophile Antixoidanzien die Ferroptose hemmen. Die Pathways der Ferroptosekaskaden werden grob in drei Hauptkategorien eingeteilt: den GSH/Glutathion Peroxidase 4 (Gpx4)-Pathway, den Eisenmetabolismus und den Lipidmetabolismus. Beteiligt sind viele verschiedene Proteine und Gene in der Regulation. In Bezug auf den Diabetes sind das beispielsweise Proteine wie Acyl-CoA Synthetase long chain family member 4 (ACSL4), High-mobility group box-1 (HMGB1), Hypoxia-inducible factor-1a (HIF-1a), Heme oxygenase-1 (HO-1), Tripartite motif containing 46 (TRIM46), Circ-PSEN1, NCOA4 (68) und Nox2 sowie Negative genes, Gpx4, Nrf2, xCT, Adenosine monophosphate-activated Proteinkinase, Heat shock Faktor 1 (HSF1)und Nutrient-deprivation autophagy Faktor-1 (NAF-1). Der genaue molekulare Mechanismus hinter der Ferroptose ist aber bisher noch unbekannt. Bekannt hingegen ist, dass die Ferroptose bei Diabetes mellitus eine Rolle spielt.

Ferroptose und Diabetes

Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) ist assoziiert mit einer übermäßigen Eisenspeicherung. Ferritin ist sowohl bei T2DM als auch bei Gestationsdiabetes meist erhöht. Ist das zelluläre Eisen auch erhöht, beeinflusst es die Genexpression unter anderem der Gene, die an der Funktion der Betazellen beteiligt sind. Das verursacht eine Störung der pankreatischen Betazellen. Beteiligt ist daran das Molekül Erastin. Es ist für die Gluthation-Biosynthese notwendig und aktiviert die Ferroptose. Das kann diabetische Prozesse fördern.

Auch andere Substanzen können die Ferroptose aktivieren oder anregen. Dazu zählen gemäß in vitro-Studien unter anderem Arsen oder Acrolein. Beide stören die Funktion der Inselzellen und die Insulinsekretion. Sie regen aber auch die Ferroptose an oder konnten sie in Tiermodellen sogar induzieren.

Die Ferroptose scheint jedoch nicht nur beteiligt zu sein, wenn Diabetes entsteht und fortschreitet. Sie scheint auch eine wichtige Rolle zu spielen, wenn diabetische Komplikationen entstehen. Vermutlich ist daran vor allem die Eisenhomöostase beteiligt.

Einfluss der Eisenhomöostase auf die Nieren

Die DKD ist eine diabetische Komplikation. Die Eisenhomöostase ist wichtig, damit Nierenzellen normal funktionieren können. Eine vermehrte Freisetzung von Serumferritin und Lactatdehydrogenase (LDH) zählen zu den Indikatoren für eine Ferroptose. Sie sind bei der DKD erhöht, während protektive Faktoren erniedrigt sind. Vor allem in den renalen Tubuli findet sich mehr Eisen als bei gesunden Menschen. Das könnte eine Folge der anhaltenden Hyperglykämie sein. Hohe Glukosewerte fördern eine Eisenüberladung, reduzieren die antioxidative Kapazität und führen zu massiver ROS-Produktion und Lipidperoxidation in renalen Tubuluszellen. Das resultiert im Zelltod. In vitro triggerte Hyperglykämie auch in glomerulären Podozyten von Mäusen eine Ferroptose.

Der Effekt des Eisens auf Nierenzellen zeigte sich auch in Studien mit diabetischen Ratten. Wurden sie eisenarm ernährt oder erhielten Eisenchelatbildner, konnte die Progression der DKD verlangsamt werden. Auch der ACSL4-Inhibitor Rosiglitazon verbesserte die Nierenfunktion bei DKD-Mäusen und reduzierte die Lipidperoxidation sowie den Eisengehalt. Deshalb wird vermutet, dass die Ferroptose bei der DKD eine wichtige Rolle spielt und ein möglicher therapeutischer Angriffspunkt sein könnte. Die DKD ist jedoch nicht die einzige diabetische Komplikation, die mit der Ferroptose zusammenhängt.

Das Herz mag keine Eisenberge

Auch das Herz leidet unter einem T2DM. Diastolische und systolische Dysfunktion, Linksherzhypertrophie, Myozytenhypertrophie und Fibrose sind nur einige Gründe, warum das Herz von Diabetikerinnen und Diabetikern versagen kann. Auch bei der Pathogenese von Kardiomyozytenverletzungen ist die Ferroptose beteiligt. In Ratten mit diabetischer Kardiomyopathie schädigte der Mechanismus die Kardiomyozyten. Wurde die Ferroptose hingegen durch Fer gehemmt, verringerten sich die Verletzungen. Auch andere Ferroptseinhibitoren reduzierten den Zelltod am Herzen in anderen Studien signifikant. Wie genau das jedoch vonstatten geht, ist noch nicht bekannt. Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle über H9c2 Kardiomyoblasten und Palmitinsäure sowie HSF2, doch der genaue Mechanismus liegt noch im Dunkeln.

Ferroptotische Nervenschäden

Auch Sehverlust und Polyneuropathie zählen zu den häufigen Komplikationen von Diabetes. Sie sind jedoch nicht die einzigen Auswirkungen, die die Erkrankung auf das Nervensystem hat, denn Diabetes gilt als Risikofaktor für weitere neurodegenerative Erkrankungen wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson, Huntington, ALS oder die Friedreich Ataxie.

Die Ferroptose ist, so steht aktuell aufgrund der Forschungslage zu vermuten, einer der wichtigsten pathogenen Faktoren bei durch Diabetes verursachten kognitiven Dysfunktionen. Diese Vermutung legen auch einige Beobachtungen nahe: Bei Alzheimer beispielsweise ist der Eisengehalt im Hypothalamus signifikant erhöht. Bei Ratten war in dieser Region das SLC40A1-Gen, das Ferroportin kodiert, bei Diabetes im Hippocampus signifikant herunterreguliert. Bei Parkinson betrifft es die dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra. Beides sind Regionen, die in den jeweiligen Erkrankungen zentrale Rollen spielen.

Bereits bekannte und zugelassene Medikamente könnten hier greifen, wie sich in präklinischen Modellen gezeigt hat: Liraglutid beispielsweise unterdrückt den oxidativen Stress und die Eisenüberlagerung im Gehirn. Dadurch findet weniger Ferroptose statt. Die neuronale und synaptische Plastizität im Hippocampus verbessert sich und kognitive Störungen verringern sich oder können verschwinden. Kam es bei diabetischen Ratten zu einem thromboembolischen Verschluss der mittleren Zerebralarterie, konnten das sensorimotorische und das kognitive Outcome der Tiere deutlich verbessert werden, wenn sie den Eisenchelatbildner Deferoxamin erhielten. Das lässt vermuten, dass eine blockierte Ferroptose auch helfen könnte, Hirnschäden zu vermeiden und in der Prävention von neurologischen Komplikationen bei Diabetes helfen könnte.

Ferroptoseinhibition in Diabetes und diabetische Komplikationen

Neben den beiden bereits erwähnten Wirkstoffen gibt es einige weitere bereits zugelassene Substanzen, die viel versprechend sein könnten. Rosiglitazon beispielsweise ist einer der stärksten Inhibitoren von ACSL4. ACSL4 ist essenziell in der Ferroptose. Wird es gehemmt, verbessert sich eine bereits bestehende diabetische Nephropathie. Auch Fenofibrat verzögert die Progression der diabetischen Nephropathie. Dafür hemmt es die diabetesassoziierte Ferroptose, indem es Nrf2 hochreguliert. Der Effekt ist unabhängig davon, wie gut Fenofibrat sich auf die Blutfette auswirkt.

Auch Metformin, Quercetin, Rosveratrol, Germacron und Cryptochlorogensäure wirken antiferroptotisch. Bei Metformin könnte das vielleicht sogar einen Teil der positiven Eigenschaften des Medikaments erklären, die sich anderweitig bisher noch nicht erklären lassen. Aktuell sind viele der Studien zu diesen bereits zugelassenen Wirkstoffen und weiteren entdeckten Ferroptosehemmern wie Fer-1, Liproxstatin-1, Mitoquinon, Vitamin E oder Zileuton noch im präklinischen Stadium.

Fazit

Die Ferroptose spielt, wie die aktuelle Studienlage widerspiegelt, eine wichtige Rolle bei Diabetes und den daraus resultierenden Komplikationen. Die genauen Mechanismen dahinter sind noch nicht ausreichend erforscht. Wirkstoffe, die die Ferroptose als Ziel haben, könnten sich aber bereits jetzt als neue Behandlungsstrategien für Patientinnen und Patienten mit Diabetes eignen. Einige solche Wirkstoffe sind bereits auf dem Markt.

Autor:
Stand:
19.09.2022
Quelle:

Yang X.-D., Yang Y.-Y. Ferroptosis as novel therapeutic target for diabetes and its complications. Frontiers in Endocrinology 2022; 13. DOI: 10.3389/fendo.2022.853822

 

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