
Am 12. November beginnt die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufene Weltantibiotika-Woche (WAAW). Abgeschlossen wird sie mit dem Europäischen Antibiotikatag am 18. November. Diese Woche nimmt der Verband der forschenden Pharma-Unternehmer zum Anlass, über den neuesten Entwicklungsstand in der Antibiotika-Forschung zu informieren. Demnach sollen in den nächsten Monaten zwei neue antibakterielle Wirkstoffe auf den Markt kommen, die selbst gegen bestimmte multiresistente Bakterien wirksam sind. Eins der zwei Medikamente ist bereits von der Europäischen Zulassungsbehörde zugelassen, das zweite wird nach der Zulassungsempfehlung vom September vermutlich bald folgen. Drei andere Antibiotika werden zurzeit im Zulassungsverfahren geprüft, 19 weitere stehen kurz vor dem Zulassungsantrag. Mit solchen Mitteln würde sich die antibakterielle Therapie erheblich verbessern. Hoffentlich. Denn die Zahl der Menschen, die an Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien sterben, steigt. Alleine im vergangenen Jahr gab es in Europa 33.000 Todesfälle aufgrund von Antibiotika-Resistenzen.
Antibiotika-Resistenzen – Folgen einer zu sorglosen Verordnung
Antibiotika sind eine der segensreichsten Errungenschaften in der Medizin. Wundinfektionen, Scharlach, Typhus, Lungenentzündungen und etliche andere Erkrankungen haben dank der antibakteriellen Wirkstoffe ihren Schrecken verloren. Antibiotika haben das Leben unzähliger Menschen gerettet, auch heute ist ihr Einsatz nicht wegzudenken. Das 1941 von Alexander Fleming entdeckte Penicillin galt als das Wundermittel seiner Zeit. Aufgrund seiner raschen und vor allem zuverlässigen Wirkung wurde es großzügig bei einer Vielzahl von Symptomen verordnet – selbst wenn es keine Indikation gab oder eine Wirkung kaum zu erwarten war. Mit anderen Antibiotika verhielt es sich ähnlich. Dieser sorglose Umgang hat zu einer erschreckenden Entwicklung und heutigen Problematik geführt: Antibiotika-Resistenzen. Immer mehr Bakterien sind gegen Antibiotika resistent. Auf dem Vormarsch sind insbesondere gegen Fluorchinolone resistente Escherichia coli, Vancomycin-resistente Enterokokken und Carbapeneme-resistente gramnegative Erreger.
Neue Finanzierungmodelle erforderlich
Damit die Zahl der Opfer von Infektionen mit resistenten Erregern nicht weiter steigt, müssen Arzneimittel entwickelt werden, die auch gegen widerstandsfähige Bakterien wirken. Dabei gibt es ein Problem, für das laut Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) Lösungen zu finden sind. Fischer erläutert die besondere Herausforderung: „Die Anstrengungen zur Entwicklung neuer Antibiotika müssen gesteigert werden, damit die Medizin dauerhaft Resistenzen begegnen kann. Doch für viele denkbare Antibiotika-Projekte ist ungeklärt, wie Unternehmen sie refinanzieren könnten; die resultierenden Produkte sollen ja später so selten wie möglich zum Einsatz kommen. Neue Finanzierungsmodelle werden gebraucht.“
Forschung in öffentlich-privater Zusammenarbeit
Etliche Forschungsprogramme zur Entwicklung neuer, gegen resistente Bakterien wirksame Antibiotika, werden mittlerweile in öffentlich-privaten Partnerschaften umgesetzt. Dazu gehören beispielsweise:
- ND4BB (NewDrugs4BadBugs): ein Projekt von EU-Kommission und europäischer Pharmaindustrie, in dem Wissenschaftler und Firmen bis 2019 gemeinsam an neuen Antibiotika arbeiten.
- CARB-X (Combating Antibiotic Resistant Bacteria Biopharmaceutical Accelerator): ein Vorhaben der Gesundheitsministerien von USA und Großbritannien, Wellcome Trust, Bill & Melinda Gates Foundation und weiteren Partnern, das die Entwicklung von antibakteriellen Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika fördert.
- GARDP (Global Antibiotic Research & Development Partnership): ein Programm, das von der WHO mit Unterstützung Deutschlands initiiert wurde. GARDP-geförderte Unternehmen sind verpflichtet, neue Antibiotika später Schwellen- und Entwicklungsländern zu Sonderkonditionen zu liefern.
- Global Antimicrobial Resistance Research and Development Hub: eine Organisation mit Sitz in Berlin zur weltweiten Koordinierung von Forschungsaktivitäten im Bereich Antibiotika.
Antibiotika sorgfältig verordnen
Neben der aktuellen Forschung ist der derzeitige Umgang mit antibakteriellen Wirkstoffen zu überdenken. Vorhandene Antibiotika dürfen nur noch verantwortungsbewusst und indikationsbezogen verordnet werden. Darüber hinaus müssen Patienten über die Risiken eines eigenmächtigen Therapieregimes entgegen der ärztlichen Verordnung informiert werden. „Denn für kein Geld der Welt lassen sich so schnell neue Antibiotika entwickeln, wie die Vorhandenen durch fahrlässigen Gebrauch und daraus resultierende Resistenzbildung unwirksam werden können“, erklärt Fischer.
Schon heute wirken ehemals zuverlässige Antibiotika nicht mehr ausreichend. Zunehmend finden sich auch multiresistente, also gegen unterschiedliche Wirkstoffklassen widerstandsfähige Bakterien, die kaum mehr zu behandeln sind. Selbst Reserve-Antibiotika sind in einigen Fällen bereits wirkungslos.
Mehr als 33.000 Tote durch Antibiotikaresistenz
Laut einer im The Lancet Infectious Diseases publizierten Studie gab es im Jahr 2015 europaweit 671.689 Infektionen (95%-Unsicherheitsintervall 583 148-763 966) mit antibiotikaresistenten Bakterien. 33.110 Menschen (95%-UI 28 480-38 430) überlebten diese Infektion nicht. 39% der Patienten waren mit Bakterien infiziert, gegen die selbst Reserve-Antibiotika keine Wirkung mehr zeigten.
Infektionen mit resistenten Erregern sind europaweit unterschiedlich verteilt. In Griechenland und Italien ermittelten die Wissenschaftler besonders viele Infektionen. In skandinavischen Ländern ist die Situation weniger dramatisch.
Markteinführung der ersten neuen Antibiotika erwartet
Der Markt für neue Antibiotika wächst stetig. Derzeit forschen weltweit große, mittlere und kleine Unternehmen in den USA, aber auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz an Resistenzen-überwindende Wirkstoffe. Schätzungen zufolge werden sich Resistenzsituationen ohne diese neuen Medikamente in den nächsten Jahren dramatisch verschärfen. Insbesondere benötigt werden Wirkstoffe gegen gramnegative Bakterien sowie gegen schwer therapierbare Infektionen wie Pseudomonas-Pneumonien, Buruli-Ulzera an Haut und Weichteilen oder nekrotisierende Infektionen.
Schon in den nächsten Monaten wird die Markteinführung der ersten zwei neuen Antibiotika erwartet. Es bleibt zu hoffen, dass trotz ökonomischer Risiken weitere folgen werden.