
Variante aus England
Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Virus-Variante B.1.1.7 = VOC 2020/12/01, die sich derzeit in England massiv ausbreitet, und sich durch eine 70% höhere Infektiosität (=Faktor 1,7) und einem erhöhten R-Faktor (+[0,4-0,6]) beschreiben lässt. Diese England-Variante - seit dem 14.12.2020 klassifiziert - wurde inzwischen in 31 Ländern nachgewiesen und weist 23 einzelne Mutationen auf, wobei nur 3 davon im Spike-Protein von Relevanz sind: ∆60/∆70, N501Y, P681H.
Variante aus Südafrika
Seit dem 18.12.2020 gibt es auch noch die Südafrika-Variante B.1.351, die auch als 501Y.V2 Mutation bekannt ist. Auch hier findet sich im Spike-Protein wiederum die N501Y Mutation, und Patienten mit dieser Virusmutante zeichnen sich durch eine höhere Viruslast und einer erhöhten Transmission aus.
Die Variante wurde inzwischen in vier weiteren Ländern nachgewiesen. Die letzte Variante wurde in Brasilien gefunden und als B.1.1.33 und B.1.1.28 bezeichnet. In beiden Varianten findet man im Spike-Protein die Mutation E484K. Auch hier wird eine erhöhte Transmissionsrate vermutet. [Anm.: ∆ = fehlende Aminosäuren; N=Asn; Y=Tyr; P=Pro; H=His; E=Glu; K=Lys].
Solche Mutanten haben generell das Potential, eine Pandemie deutlich zu verschlimmern, da viele bisherigen Maßnahmen entsprechend verschärft werden müssten. Mathematisch ist das einfach zu skizzieren.
Grundlagen der SARS-CoV-2-Mutationen
RNA-abhängige RNA Polymerasen ("Virus-Replikase" wie in SARS-CoV-2) haben eine Fehlerrate von einer Mutation pro 10.000 replizierter Nukleotide. Das bedeutet bei der Genomgröße von SARS-CoV-2 (~30.000 nt), dass in jedem neu synthetisierten Virusgenom RNA ca. drei Mutationen entstehen, und damit rein rechnerisch mit jedem neu hergestellten Virus eine Aminosäure ausgetauscht wird [Anm.: Eine Aminosäure wird durch ein Codon aus 3 Nukleotiden kodiert].
Allerdings multipliziert sich diese Zahl mit jedem neuen Virus, welcher in einer infizierten Person hergestellt wird. Dies ist leider nur schwer abschätzbar, doch pro Infiziertem liegt das näherungsweise in einem Bereich von mehreren Milliarden Viren, die über die 5-6 kritischen Tage mit der Atemluft an die Außenwelt abgeben werden.
Corona-Regeln reduzieren Mutationsgeschehen
Durch das Maskentragen wird die Anzahl der Viren, die wirklich abgegeben werden, dramatisch reduziert, und auch eine Neuinfektion ist nur möglich, wenn mindestens 500 Viren im Rachenraum ankommen. Das bedeutet, dass unter den derzeitigen Bedingungen eine Vielzahl von Mutationen nie zur Wirkung kommen können und unterstreicht auch nochmals die Nützlichkeit des Maskentragens, sobald ein entsprechender Abstand in geschlossenen Räumen - aber auch im Freien - nicht mehr eingehalten werden kann.
Demgegenüber stehen am heutigen Tag (18. Januar 2021) weltweit 95.788.749 Infizierte, 2.044.472 Menschen die an COVID-19 verstorben sind, und ca. 68.355,074 Personen, die sich von der Infektion wieder erholt haben.
Das macht derzeit aber immer noch 25.389.201 Infizierte weltweit, in denen solche Mutationsprozesse stattfinden. Allein in Deutschland gibt es am heutigen Tag aktuell 311.704 infizierte Personen.
Virus-Letalität
Momentan belaufen sich die Gespräche hauptsächlich auf die erhöhten Infektiositäten der Corona-Varianten, aber es könnte noch viel schlimmer werden: Ein Blick zurück ins Jahr 2002 oder 2012 zeigt noch weitere Möglichkeiten auf:
- Am 1.11.2002 wurde in Hong Kong das SARS-CoV-1 Virus entdeckt. Durch eine rasche Eindämmung haben sich mit diesem Virus nur 8.096 Personen infiziert, von denen aber 774 gestorben sind (Letalität von 9,6%).
- Ähnliches passierte mit MERS-CoV im Jahr 2012: vom 1.4 2012 bis zum 31.1.2018 haben sich mit dieser Orientversion eines SARS Virus nur 2.143 Personen infiziert, von denen 750 verstorben sind (Letalität 34,9%).
Gründe für erhöhte Letalität
Der Grund für die erhöhte Letalität lag in beiden Fällen an der Fähigkeit dieser Virusvarianten, die wichtige Interferon-Antwort in den infizierten Patienten effektiv zu unterdrücken. Diese ist jedoch nach einer Virus-Infektion außerordentlich wichtig; sie allein ist in der Lage einen Virus vollständig zu eliminieren.
Verzögert sich diese Abwehr-Antwort, oder bleibt sie gar aus, entsteht COVID-19.
Parallelen zu SARS-CoV-2
Das Gleiche macht SARS-CoV-2 bei COVID-19 Patienten: Verantwortlich dafür sind 10 der insgesamt 28 Proteine, die das Virus in den infizierten Zellen herstellt: NSP1, NSP3, NSP12, NSP13, NSP15, ORF3a, M, ORF6, ORF9b und ORF9c.
Alle diese Leserahmen haben zusammen eine Länge von 14.184 nt, und entsprechen damit ca. 47% des Kodierpotenzials des SARS-CoV-2 Virus. Die Chance hier Mutationen zu akkumulieren ist also nicht nur rein theoretisch vorhanden.
Die Letalität von SARS-CoV-2 wird ganz offiziell auf derzeit 0,5% geschätzt. Die Heinsberg-Studie von Prof. Streeck ermittelte einen Wert von 0,4%. Alles was über diesem Wert liegt ist in der relativ hohen Alterssterblichkeit begründet. Bei den über 80-jährigen liegt die Letalität derzeit bei fast 15%. Die Todesraten bei COVID-19 betragen in folgenden Altersintervallen derzeit:
- 0-9J = 0%
- 10-39J = 0,2%
- 40-49J = 0,4%
- 50-59J = 1,3%
- 60-69J = 3,6%
- 70-79J = 8,0%
- ≥80J = 14,8%
Aktuell haben wir in Deutschland eine Corona-Virus vermittelte Letalitätsrate von 2,29%, mit leicht steigender Tendenz; in den Sommermonaten lag diese in Deutschland zwischenzeitlich bei nur 1,55%.
Damit liegt Deutschland derzeit über dem weltweiten Durchschnitt von 2,16%.
Potenzielle Gefährlichkeit der Mutationen
Bis Dezember 2020 wurden weltweit nur zwei neue Mutationen pro Monat im Coronavirus-Genom beobachtet, die sich evolutionär durchsetzen konnten. Eine höhere Transmission des Virus um den Faktor 2 würde diese Mutationsfrequenz langsam aber sicher deutlich ansteigen lassen. Da dieses Virus gerade seine eigene Evolutionsgeschichte durchläuft, und weltweit nur knapp 1,2% aller Menschen überhaupt infiziert wurden, gibt es immer noch 98,8% aller Menschen, die potenziell noch infiziert werden könnten.
Was würde passieren, wenn eine neue Mutation die Letalität des Virus verändern würde?
Selbst eine leichte Erhöhung hätte dramatische Folgen für die derzeitigen Präventions-Strategien, weil die Pandemie unkontrollierbar enden könnte.
Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen:
Infektionsketten unterbrechen, eventuell die besseren FFP2-Masken statt der derzeitigen OP-Masken verwenden (zumindest für einige Bereiche wie öffentlicher Nahverkehr und Einkaufen), und Impfungen gegen SARS-CoV-2.
Impfungen als klare Exit-Strategie
- Jeder Geimpfte ist eine Person weniger, die sich noch infizieren kann und in der sich potenziell neue Mutationen bilden können. Nachdem heute weltweit bereits mehr als 42 Mio Menschen geimpft worden sind, zeichnet sich ein positives Bild ab, denn diese Impfung ist weitestgehend ungefährlich - entgegen aller Bedenken der Impfgegner.
- Jeder der eine Impfung ablehnt, lebt in dem Risiko an der Erkrankung potenziell zu versterben (derzeit 1:200), andere anzustecken, und möglicher Träger von neuen Mutationen zu werden, die alles kippen könnten.
- Nur 1 von ca. 100.000 Personen zeigt eine starke allergische Impfreaktion, und 1-2 Personen pro Mio Geimpfter zeigen eine Impfkrankheit (die meist aufgrund einer ungünstigen genetischen Kombination entsteht).
- Im Gegensatz dazu sind von den weltweit 96 Mio Infizierten bisher mehr als 2 Mio Menschen gestorben. Mathematisch ist also bereits heute klar, welchen Benefit eine SARS-CoV-2 Impfung bringen wird.
Über den Autor
Prof. Dr. Rolf Marschalek ist ein deutscher Molekularbiologe. Er ist seit 2000 Professor für Pharmazeutische Biologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seine Fachgebiete sind Biochemie, Molekularbiologie, Genetik und Immunologie.