
Mit einer Entspannung der Coronasituation in den Sommermonaten rechnet kaum jemand. Vielmehr registriert das Robert Koch-Institut (RKI) bundesweit eine steigende Anzahl von COVID-19-Infektionen. Dies wirkt sich auch auf die 7-Tage-Inzidenz aus. Vor dem Wochenende lag der Wert bei 427,8 Fällen pro 100.000 Einwohner – in der Vorwoche waren es noch 318,7 [1]. Da sich die 7-Tage-Inzidenz aber nur aus den von den Gesundheitsämtern gemeldeten positiven PCR-Tests ergibt, wird die tatsächliche Infektionslage nicht wiedergegeben. Darüber hinaus wird mit 500.000 bis 600.000 Tests pro Woche vergleichsweise wenig getestet. Experten gehen deshalb von einer beträchtlichen Zahl Infizierter aus, die nicht in der Statistik erscheinen.
Omikron-Subvariante BA.5 und fehlende Schutzmaßnahmen
Ein Grund für den Anstieg der SARS-CoV-2-Infektionen ist die Verbreitung der Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5. Zwischen den Kalenderwochen 22 und 23 sind die Sublinien hierzulande dominant geworden, sagt Sandra Ciesek, Direktorin der Medizinischen Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, in einer neuen Podcast-Folge [2]. BA.4 und BA.5 werden leichter übertragen, zudem wird ein noch stärkerer Immune-Escape als bei BA.1 und BA.2 beobachtet. Das sei insbesondere auf Mutationen an Position 452 und 486 im Spike-Protein zurückzuführen. Dadurch können sich Geimpfte und Genesene, die eine Infektion mit einer anderen Variante durchgemacht haben, trotzdem wieder mit dem Coronavirus infizieren, so Ciesek.
Ferner scheint das veränderte Verhalten in der Bevölkerung eine Rolle zu spielen. So gibt es mehr Kontakte und Zusammenkünfte ohne Mund-Nasen-Masken und Abstandsregeln, was den Austausch von SARS-CoV-2 erleichtert. „Wenn man sich schützen will, gelten immer noch dieselben Regeln, die wir seit zwei Jahren kennen“, erinnert die Virologin. Das heißt: Masken tragen in Innenräumen, Abstand halten und lüften. Ciesek rechnet mit steigenden Infektionszahlen bis BA.5 sein Maximum erreicht hat.
Pathogenität bislang unklar
Ob BA.4 und BA.5 gefährlichere Krankheitsverläufe hervorrufen als die vorherigen Sublinien ist nicht abschließend geklärt. Der beobachtete Anstieg der Todesfälle in Portugal soll mutmaßlich darauf beruhen, dass viele Senioren mit einer lange zurückliegenden dritten Corona-Impfung keinen weiteren Booster erhalten haben und deshalb schwer erkrankten. Ciesek zufolge wäre es allerdings auch möglich, dass BA.5 wieder etwas pathogener sein könnte. Mit Sicherheit sei das aber nicht zu sagen. Doch selbst im Fall der Fälle wird uns das Virus nicht so schwer treffen wie noch vor zwei Jahren, beruhigt die Virologin – Impfungen, antiviralen Medikamenten und monoklonalen Antikörpern sei Dank.
Lauterbach empfiehlt Masken und 4. Impfung
„Eine Sommerwelle war zu erwarten“, äußert sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf Twitter [3]. Das freiwillige Tragen von Masken in Innenräumen und eine 4. Impfung sind die besten Gegenmittel, so Lauterbach. Die vierte Impfung schütze vor schwerer Krankheit und senke für ein paar Monate das Ansteckungsrisiko – wenn auch unvollständig. Die Ständige Impfkommission (STIKO) des RKI empfiehlt den zweiten Booster bislang aber nur für ausgewählte Gruppen, so etwa für über 70-Jährige, Personal in medizinischen Institutionen und Pflegeeinrichtungen sowie für Menschen mit Immunschwäche. Lauterbach empfiehlt indes einen großzügigen Umgang mit der vierten Impfung. „Wer beschwerdefrei durch den Sommer gehen möchte, viele Kontakte vor sich hat und das Risiko minimieren will, sich oder andere zu infizieren, der sollte die 4. Impfung erwägen“, so der Minister [4].