Zeit für neue Wege in der Drogenpolitik

„Schützen statt strafen“ heißt es in der Pressemeldung anlässlich der Vorstellung des 7. Alternativen Drogen- und Suchtberichts. Die Autoren fordern konsequente Maßnahmen, um gesundheitliche Schäden zu vermindern sowie staatliche Regulierungen.

Neue Wege

Zum siebten Mal erschien Anfang Oktober 2020 der Alternative Drogen- und Suchtbericht. Die Autoren sind Wissenschaftler, Praktiker aus der Drogenhilfe sowie Selbsthilfevertreter. Der Bericht wird von den Verfassern als eine konstruktiv-kritische Ergänzung zu dem von der Bundesregierung herausgegeben Drogen- und Suchtbericht verstanden.

Drogenpolitik: heute den Grundstein für die Zukunft legen

Nach Angaben von Bundeskriminalamt und der Drogenbeauftragten der Bundesregierung nimmt der Drogenhandel in Deutschland seit Jahren zu. Beim Bundeskriminalamt wird eine steigende Zahl von Delikten registriert. Wissenschaftler und Experten aus der Drogenhilfe sehen darin ihre Forderungen nach neuen Wegen in der Drogenpolitik bestätigt. Wie dies konkret aussehen könnte, wird im neuen Alternativen Drogen- und Suchtbericht dargestellt.

Zentrale Neuerungen im Alternativen Drogen- und Suchtbericht

Bei der Vorstellung des neuen Alternativen Drogen- und Suchtberichtes in Berlin am 7. Oktober 2020 nahmen die Experten Bezug auf drei zentrale Neuerungen in dem Bericht, welche die hohe Zahl von Todesfällen bedingt durch illegale und legale Drogen senken sollen. Auch die Folgen der Abhängigkeit und Folgekosten, sowohl gesellschaftlich als auch gesamtwirtschaftlich, sollen dadurch reduziert werden. Die geforderten Neuerungen umfassen:

  • Prinzipien der Schadensminimierung müssen ubiquitär verfügbar sein; Angebot auch für Tabak und Alkohol.
  • Bisher illegale Substanzen staatlich reguliert abgeben, um kriminellen Drogenhandel zu reduzieren, Menschen vor den Gefahren der Illegalität zu schützen und um Jugend- und Verbraucherschutz möglich zu machen.
  • Gründung eines drogenpolitischen Fachbeirates durch die Bundesregierung, um eine effiziente Drogenpolitik umzusetzen.

Schadensminimierung beim Drogenkonsum: Angebote ausweiten

Bei illegalen Substanzen sind Strategien zur Schadensminimierung bereits sehr erfolgreich. Durch das Angebot von Drogenkonsumräumen können jährlich viele Leben gerettet werden, sie sind Bestandteil der akzeptierenden Drogenarbeit. Durch die Bereitstellung sauberer Spritzen konnten die Infektionszahlen bei HIV, Hepatitis B und Hepatitis C stark gesenkt werden. Im Jahr 1994 entstand in Deutschland der erste Drogenkonsumraum. Mehr als zwanzig Jahre später gibt es noch immer kein flächendeckendes Angebot in Deutschland. In der Hälfte der Bundesländer sind bisher keine Drogenkonsumräume vorhanden.

Als weitere Strategie der Schadensminimierung gilt das sogenannte „Drug-Checking“. Hier werden, etwa vor Ort in Clubs oder Bars, Drogen auf ihren Wirkstoffgehalt und auf schädliche Beimengungen untersucht. Gleichzeitig findet eine Beratung statt.

Informationen über weniger gefährliche Formen des Konsums

Neben dem Angebot von Drogenkonsumräumen und dem Drug-Checking sollten Drogenkonsumenten auch über weniger riskante Formen des Konsums aufgeklärt werden. Laut den Autoren des alternativen Drogen- und Suchtberichtes werden heute Drogen von mehr Konsumenten geraucht statt gespritzt. Solche Angebote können Menschen helfen, die ihren Konsum nicht einstellen können oder wollen.

Alternativen statt Abstinenz

Das Angebot von Alternativen sollte auch bei Alltagsdrogen angewendet werden. Hier zielten Aufklärung und Therapie bisher meist darauf ab, die Abhängigkeit komplett zu beenden, so Professor Dr. Heino Stöver, Vorstandsvorsitzender des akzept Bundesverbandes und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences. „Abstinenz ist nicht alles! Neben der klassischen Prävention müssen wir auch bei Alkohol und Tabak Alternativen anbieten. Die E-Zigarette könnte vielen Menschen das Leben retten, denn sie ist weniger schädlich als die Verbrennung von Tabak. Wir brauchen auch mehr Maßnahmen zum kontrollierten Trinken“, erklärt Stöver.

Maßnahmen aus Corona-Pandemie beibehalten

Bedingt durch die Corona-Pandemie mussten Regularien verändert werden, um den Personenverkehr in Praxen und Ambulanzen zu reduzieren. Beispielsweise dürfen aktuell auch Apotheken und Drogenhilfeeinrichtungen Medikamente vergeben, viele Patienten können die benötigten Präparate zu Hause in Eigenverantwortung einnehmen und telemedizinische Termine sind möglich.

Nina Pritszens, Geschäftsführerin von vista Berlin (Verbund für integrative soziale und therapeutische Arbeit) berichtet: „Die Corona-Krise hat gezeigt, wie es geht: Drogenhilfe und medizinische Versorgung standen vor dem Kollaps, doch wir haben uns schnell angepasst. Politik und Behörden haben umsichtig und unbürokratisch reagiert. Mit den neuen Möglichkeiten bei der Substitution haben wir gute Erfahrungen gemacht: Nach unserer Einschätzung werden jetzt mehr Menschen behandelt als vor der Pandemie. Diesen Weg müssen wir konsequent fortsetzen.“

Ressourcen in Drogenpolitik sinnvoll einsetzen

Statt der Kriminalisierung von Drogenkonsumenten fordern die Autoren die staatliche regulierte Abgabe von Substanzen. Eine solche Abgabe könne beispielsweise über Fachgeschäfte oder das Medizinsystem erfolgen, dadurch würden auch Qualitätskontrollen möglich. Daneben könnten Ressourcen von Polizei und Justiz eingespart werden, etwa bei der „völlig nutzlosen Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten“, so die Autoren. Hier solle eine regulierte Abgabe erfolgen.

Die Experten fordern, dass Kompetenzen aus Wissenschaft, Praxis und Selbsthilfe offiziell in die Drogenpolitik eingebracht werden – in einem interministeriellen Fachbeirat. In Frankreich und der Schweiz ist dies bereits umgesetzt worden. „Unser Ziel ist, Fortschritte in Kooperation mit politisch Verantwortlichen zu entwickeln und zu realisieren. Ein Fachbeirat könnte die Drogenbeauftragte gerade bei schwierigen politischen Vorhaben unterstützen“, betont Stöver abschließend.

Quelle:
  1. Deutsche Aidshilfe und akzept e.V., Pressemeldung, 07.10.2020
  2. Webseite zum Alternativen Drogen- und Suchtbericht, abgerufen am 14.10.2020
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