Omikron - ein Gamechanger dieser Pandemie

Seit vergangener Woche überschlagen sich die Meldungen zur neuen besorgniserregenden Coronavariante Omikron. Nun gibt es neue Daten aus Frankfurt, die wie die Variante selbst, sehr besorgniserregend sind.

Omikron Mikroskop

Rolf Marschalek, Professor am Institut für Pharmazeutische Biologie klärt seit Beginn der Pandemie aufgrund seines breiten Immunologie-Wissens über verschiedenste Kanäle Menschen über das Coronavirus auf und wirkte bei der Aufdeckung der zugrundeliegenden Ursache der Vakzin-induzierten thrombotischen Thrombopenie (VITT) nach AstraZeneca-Impfung mit. In folgendem Beitrag berichtet Prof. Marschalek über die neuen Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Corona-Impfstoffen gegenüber Omikron und gibt einen Ausblick:

Ich bin eigentlich ein sehr optimistischer Mensch, doch seit gestern weiß ich, dass ich meinen Optimismus in dieser Pandemie zügeln muss. Was ist passiert? Einer meiner ehemaligen Doktoranden, der jetzt im Arbeitskreis von Frau Prof. Sandra Ciesek in der Frankfurter Virologie tätig ist, hat in den letzten beiden Wochen wichtige Experimente durchgeführt, die für alle von Bedeutung sind: Infektionsstudien mit einem Original-Virus-Isolat aus Afrika (Omikron-Variante).

Hierzu benutzte er ein neues Infektionsmodell, welches wir zusammen mit der Frankfurter Virologie letztes Jahr etabliert hatten (DOI: 10.3389/fmicb.2021.701198). Hierbei werden die Zellen ausgebracht, die von SARS-CoV-2 prinzipiell infiziert werden können. Die Zellen werden aber nicht nur mit dem Virus inkubiert, sondern auch zusätzlich mit den Blutseren aus genesenen Patienten oder geimpften Personen.

Untersucht wurde das Blutserum von Geimpften, die mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty von BioNTech/Pfizer oder zunächst mit der AstraZeneca-Vakzine Vaxzevria und dann mit Comirnaty zweitgeimpft wurden. Außerdem wurden Seren von geboosterten Personen verwendet.

Insgesamt wurden die Seren von 125 Personen untersucht. Sind ausreichend neutralisierende Antikörper vorhanden, dann wird das Virus an der Infektion gehindert, was man hinterher quantitativ auswerten kann. Zudem wurde auch das in Europa zugelassen Antikörperpräparat Ronapreve getestet. Ronapreve besteht aus der Mischung zweier monoklonaler Antikörper (Casirivimab und Imdevimab der Firma Roche)

Ergebnisse erdrückend

Das Ergebnis dieser wirklich wichtigen Studie ist: weder die Seren der Probanden, Genesenen oder Geimpften, noch das kommerzielle Präparat der Firma Roche zeigten eine große Wirkung gegen Omikron. Eine hemmende Wirkung gegen die Variante war im Mittel um den Faktor 23 bis 37 reduziert und bei vielen Probanden lag - trotz Impfung - gar keine Wirkung mehr vor.

Was bedeutet das für geimpfte Personen, und was für ungeimpfte Personen?

Die Antwort ist relativ einfach: jeder sollte sich mindestens 3x impfen lassen; dies erhöht den humoralen, Antikörper-vermittelten Schutz, aber auch die T-Zell vermittelte Schutzwirkung, die jetzt von noch größerer Bedeutung ist. Denn so wie die Daten im Preprint aussehen, könnten sich alle bereits geimpften Personen früher oder später mit Omikron reinfizieren. Allerdings sollten geimpfte Personen deshalb keine Panik bekommen, denn das Immunsystem kann Omikron nun hauptsächlich über die T-Zellachse bekämpfen, sodass man in der Regel mit milden Symptomen bei geimpften Personen rechnen kann.

Wie das allerdings in der älteren Bevölkerung aussehen wird, bleibt abzuwarten.

Konsequenz für Ungeimpfte

Damit gibt es aber de facto keine Schutzwirkung mehr für den ungeimpften Teil der Bevölkerung (70% der Bevölkerung für die ca. 15 Millionen ungeimpfte Personen in Deutschland). Die Gruppe der Ungeimpften trifft naiv (also ohne Immunschutz) auf eine Virusvariante, die sich für den neuen Wirt Mensch perfekt optimiert hat. Solche hochmutierten Virusmutanten entstehen laut Literatur in immunsupprimierten Patienten, wo Viren sich über Monate hinweg anpassen können. Deshalb ist es naheliegend, dass sich die Omikron-Variante mit größter Wahrscheinlichkeit in einem Patienten entwickelt hat, der HIV-positiv war. Vielleicht auch unser Glück, denn dadurch kennt diese Virusvariante keine T-Zellabwehr, weil diese normalerweise in HIV-Patienten nicht mehr existiert.

Die Omikron-Virusvariante ist deshalb wahrscheinlich eine ausschließliche Antikörper-Fluchtvariante.

Aktuelle Lage

Heute sind in Deutschland 1,2% der Bevölkerung akut mit SARS-CoV-2 infiziert (fast alle noch mit der Delta-Variante); wenn sich nun Omikron weiter ausbreitet und Geimpfte keine Schutzwirkung mehr ausüben können, wird sich das Infektionsgeschehen dramatisch in Deutschland ausbreiten. Ich denke jetzt weniger an diejenigen Erwachsenen, die sich aus ihren ganz persönlichen Gründen nicht haben impfen lassen, sondern im Speziellen auch an Kinder, die wir demnächst auch impfen dürften.

Ich hoffe die STIKO wird sich dieser Meinung nach Datenlage auch rasch dazu entscheiden, eine Impfempfehlung für alle Kinder ab 5 Jahren auszusprechen.

Appell

Jeder, der sich jetzt nicht impfen lässt, wird Teil eines unkontrollierbaren Infektionsgeschehens werden. Omikron hat die Spielregeln verändert und bislang ungeimpfte Personen werden nun aus ihrer Komfortzone herauskommen müssen, oder in der akuten Gefahr leben, demnächst an dieser Variante potenziell zu versterben.

Jetzt ist es an der Zeit aufzuwachen und die Konsequenzen zu ziehen. Ein solches Szenario wird unser Gesundheitssystem nicht mehr tragen können. Das bedeutet, dass eine allgemeine Impfpflicht der einzige - aber auch faire - Weg aus dieser Situation ist. Nun ist die Politik gefragt, dies rasch zu erkennen, und ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen.

Autor:
Stand:
09.12.2021
Quelle:

Reduced Neutralization of SARS-CoV-2 Omicron Variant by Vaccine Sera and monoclonal antibodies, Alexander Wilhelm, Marek Widera, Katharina Grikscheit, Tuna Toptan, Barbara Schenk, Christiane Pallas, Melinda Metzler, Niko Kohmer, Sebastian Hoehl, Fabian A. Helfritz, Timo Wolf, Udo Goetsch, Sandra Ciesek, medRxiv 2021.12.07.21267432; doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.07.21267432

  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige

Orphan Disease Finder

Orphan Disease Finder

Hier können Sie seltene Erkrankungen nach Symptomen suchen:

 

Seltene Krankheiten von A-Z
Schwerpunkt Seltene Erkrankungen