Begünstigen ACE-Hemmer Lungenkrebs?

Anhand von Datensätzen aus sieben Kohortenstudien und vier Fall-Kontroll-Studien errechneten Forscher in einer Metaanalyse, dass die Anwendung von ACE-Hemmern mit einem um 19% erhöhten Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, verbunden war.

Auslöser

Hintergrund

Seit den 1970er-Jahren werden Patienten mit Bluthochdruck und kongestiver Herzinsuffizienz, die eine langfristige Behandlung erfordern, insbesondere Patienten mit chronischer Nierenerkrankung oder Diabetes mellitus (DM), häufig Angiotensin-Converting-Enzym (ACE)-Hemmer als Erstlinienmedikamente verschrieben.

Aus vielen Jahren in der klinischen Routine sind respiratorische Nebenwirkungen, vor allem trockener Husten, als unerwünschte Ereignisse bei der Anwendung von ACE-Hemmern bekannt. Einige Studien deuten darauf hin, dass die Anwendung von ACE-Hemmern signifikant mit dem Risiko von obstruktiven Symptomen der Atemwege und einem sich verschlechternden Risiko für Bronchokonstriktion oder Asthma verbunden ist. In präklinischen Studien an Tiermodellen zeigten sich keine Anhaltspunkte für eine Karzinogenität. Aus einigen Studien ist jedoch bekannt, dass ACE-Hemmer an der Zellproliferation, Angiogenese und Tumorprogression beteiligt sein können.

In randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die vor Jahrzehnten durchgeführt wurden, untersuchten Wissenschaftler hauptsächlich die Wirkung von ACE-Hemmern auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte. Ein mögliches Risiko für Krebserkrankungen wurde nicht betrachtet. In jüngster Zeit gab es in einigen Studien Hinweise darauf, dass Patienten, die ACE-Hemmer erhalten hatten, Lungenkrebs entwickelten. Andere Studienergebnisse wiederum deuteten nicht darauf hin, dass die Anwendung von ACE-Hemmern mit einem solchen Risiko zusammenhängen könnte.

In einer früheren Metaanalyse über 13 Studien und Daten von 458.686 Anwendern von ACE-Hemmern fanden Wissenschaftler keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Anwendung von ACE-Hemmern und einem erhöhten Lungenkrebsrisiko (Odds Ratio [OR] 0,982; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,873 bis 1,104; P = 0,76). Andere Forschungsgruppen kritisierten, dass bestimmte ungeeignete Einschlusskriterien verwendet worden waren und dass unangemessene Daten in diese Analysen eingeflossen waren. Seit dieser Veröffentlichung wurden die Daten vieler Originalstudien veröffentlicht, die die statistische Aussagekraft von Analysen zum Zusammenhang zwischen der Anwendung von ACE-Hemmern und dem Lungenkrebsrisiko erhöhen können.

Zielsetzung

Angesichts des potenziellen Sicherheitsrisikos für eine große Population, die mit ACE-Hemmern behandelt wird, setzten es sich Zhenchao Wu vom Department of Pulmonary and Critical Care Medicine des Peking University Third Hospital in Peking, China, und Kollegen zum Ziel, die verfügbare Literatur systematisch zu überprüfen und unter Verwendung strenger wissenschaftlicher Auswahlkriterien mittels einer Metaanalyse den Zusammenhang zwischen der Anwendung von ACE-Hemmern und dem Lungenkrebsrisiko erneut zu untersuchen. Der Bericht über die Ergebnisse erschien kürzlich im Fachblatt British Journal of Cancer.

Methodik

Die Wissenschaftler durchsuchten die Datenbanken PubMed, EMBASE, Cochrane Library, Ovid, Web of Science, Google Scholar, Medline und CNKI (China National Knowledge Infrastructure) nach englischsprachigen Studien zu den Schlagwörtern „angiotensin-converting enzyme inhibitor“ und „lung cancer“ vom Anfang der Aufzeichnungen an bis zum 26. Januar 2022.

Alle klinischen Studien, die folgende Einschlusskriterien erfüllten, wurden in der nachfolgenden Analyse berücksichtigt: Die Studienteilnehmer waren mindestens 18 Jahre alt. Die Intervention bestand in ACE-Hemmern, die Kontrollbehandlung in anderen Antihypertensiva oder Placebo. Die Nachbeobachtungsphase dauerte mindestens ein Jahr. Es wurden unerwünschte Ereignisse berichtet. Das Auftreten von Lungenkrebs oder das Risiko für eine Lungenkrebserkrankung war ein Ergebnisparameter. Das Studiendesign entsprach einer Fall-Kontroll-, einer Kohorten-Studie oder einer RCT.

Zwei Autoren extrahierten unabhängig voneinander Daten zum Studiendesign, zur Studiendauer, zu den Patientencharakteristika zu Studienbeginn, zur Nachbeobachtungszeit, zu unerwünschten Ereignissen und zum Lungenkrebsrisiko. Sie wurden von einem dritten Autor validiert und unter Verwendung eines Zufallseffektmodells zusammengeführt. Der primäre Endpunkt war die Entwicklung von Lungenkrebs. Die Wissenschaftler berechneten Odds Ratios (OR) mit 95%-Konfidenzintervallen (KI) für die Inzidenz von Lungenkrebs und für die Lungenkrebs-bedingte Morbidität bei ACE-Anwendern und bei Nicht-Anwendern.

Ergebnisse

Die Wissenschaftler erhielten in ihrer Datenbankrecherche 2.400 Treffer und identifizierten sieben Kohortenstudien und vier Fall-Kontroll-Studien, die die Einschlusskriterien erfüllten. Die Metaanalyse umfasste insgesamt 13.061.226 Patienten. Diese Patienten stammten hauptsächlich aus Asien, Nordamerika und Europa. In allen Studien waren Patienten mit bestehender Krebserkrankung vor der Teilnahme ausgeschlossen.

1.493.225 dieser Patienten hatten ACE-Hemmer eingenommen, 11.568.001 Patienten hatten keine ACE-Hemmer eingenommen (Kontrollen). Die Patienten in den Kontrollgruppen hatten teilweise Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) oder andere blutdrucksenkende Medikamente erhalten. Insgesamt waren 96.764 von 13.061.226 Patienten an Lungenkrebs erkrankt. Die mittlere Gesamtinzidenz von Lungenkrebs in den Kohortenstudien betrug für die Gruppen mit ACE-Hemmern 1,36%, für die Studiengruppen mit ARB 1,08%.

Lungenkrebsrisiko um 19% erhöht

Die gepoolten Ergebnisse zeigten, dass die Anwendung von ACE-Hemmern mit einem um 19% erhöhten Lungenkrebsrisiko verbunden war (OR 1,19; 95%-KI: 1,05 bis 1,36; P=0,008). Darüber hinaus fanden sich in den Berichten über drei der in die Analysen eingeschlossenen Studien Hinweise auf das Auftreten anderer Krebsarten wie Leber-, Magen-, Brust- und Prostatakrebs nach der Anwendung von ACE-Hemmern (alle ORs > 1; P < 0,05).

Subgruppenanalysen nach Alter und Geschlecht zeigten ein hohes Risiko für mit ACE-Hemmern assoziierten Lungenkrebs bei jüngeren Patienten (< 60 Jahre alt) und bei Frauen. In den Studiengruppen mit jüngeren Patienten erkrankten 6.487 von 517.657 Anwender von ACE-Hemmern und 173 von 3.434.252 Nicht-Anwendern.

Die OR betrug 1,48 (95%-KI: 1,51 bis 1,89). In den Studiengruppen mit einem Frauenanteil von >50% erkrankten 622 von 630.395 Frauen, die ACE-Hemmer einnahmen und 19.781 von 11.154.828 Frauen, die keine ACE-Hemmer einnahmen. Die OR betrug 1,43 (95%-KI: 1,19 bis 1,72).

Die Assoziation zwischen ACE-Hemmern und Lungenkrebsrisiko war auch in Studiengruppen mit Rauchern höher. Bei einem Raucheranteil >20% erkrankten 12.968 von 792.507 (1,64%) Patienten, gegenüber 33.833 von 3.570.675 (0,95%) Patienten in der Kontrollgruppe. Die OR betrug 1,28 (95%-KI: 1,00 bis 1,64; P = 0,05). Das Risiko von Rauchern, an Lungenkrebs zu erkranken, war gegenüber den Kontrollen also um 28% erhöht. Die OR für die Untergruppen mit ≤20% Rauchern betrug 1,11. Hier war das Risiko noch um 11% erhöht.

Einen ähnlichen Zusammenhang fanden die Wissenschaftler in Studiengruppen mit Patienten mit DM. In Studiengruppen mit >10% an Teilnehmern mit Diabetes mellitus erkrankten 9.782 von 584.154 (1,67%) Patienten an Lungenkrebs. In der Kontrollgruppe waren es 33.567 of 3.554.648 (0,94%) Patienten. Die OR betrug 1,33 (95%-KI: 1,03 bis 1,78; P = 0,03). Das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, war für Menschen mit DM gegenüber den Kontrollen also um 33% erhöht. Die OR für die Untergruppe mit ≤10% an Menschen mit DM war nicht signifikant verändert.

Weiterhin war in den Subgruppen mit einer mittleren Nachbeobachtungszeit von >5,0 Jahren die Einnahme von ACE-Hemmern eng mit dem Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, assoziiert. 17.910 von 1.184.593 (1,51%) Anwender von ACE-Hemmern erkrankten, aber nur 48.799 von 3.803.074 (1,28%) Nicht-Anwendern. Die OR betrug 1,21 (95%-KI: 1,02 bis 1,43; P = 0,03). Das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, war für Menschen, die ACE-Hemmer über mehr als fünf Jahre eingenommen hatten, gegenüber den Kontrollen also um 21% erhöht. Die Anwendung von ACE-Hemmern war in den Subgruppen von Patienten, die im Mittel ≤5,0 Jahre nachbeobachtet worden waren, dagegen nicht mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko verbunden. Es erkrankten 5.470 von 110.330 (4,96%) Patienten, die ACE-Hemmer eingenommen hatten, und 4.182 von 89.377 (4,68%) Personen, die keine ACE-Hemmer eingenommen hatten. Die OR betrug 1,06 (95%-KI: 1,02 bis 1,11; P = 0,004).

Fazit

Die Studienautoren schlossen aus ihren Analysen, dass die Anwendung von ACE-Hemmern einen Risikofaktor für eine Lungenkarzinogenese darstellte. Insbesondere bei asiatischen Patienten schienen ACE-Hemmer ein größeres Risiko darzustellen als ARBs. Die Autoren betonten, dass die Inzidenz von Lungenkrebs bei 1,61% der Patienten, die ACE-Hemmer eingenommen hatten, gemäß den Kriterien der WHO-Standards als „häufig“ einzustufen sei.

Als Einschränkungen der Studie nannten die Autoren folgende Punkte: Die in der Analyse berücksichtigten Studien waren sehr heterogen (I2 = 98%). Es wurden keine Daten aus RCT, sondern überwiegend aus retrospektiven Beobachtungsstudien mit einem höheren Verzerrungspotenzial verwendet. In der Studie wurden die Effekte verschiedener ACE-Hemmer nicht untersucht. Es waren nicht ausreichend Informationen über die pathologischen Typen von Lungenkrebs verfügbar.

Die Autoren halten weitere RCTs für erforderlich, um den kausalen Zusammenhang zwischen der Anwendung von ACE-Hemmern und dem Lungenkrebsrisiko zu bestätigen.

Die Studie wurde in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-analyses (PRISMA) durchgeführt und im International Prospective Register of Systematic Reviews (PROSPERO) unter der Nummer CRD42022322228 registriert. Sie wurde von Beijing Key Clinical Specialty Funding unterstützt.

Quelle:

Wu et al. (2022): Association between angiotensin-converting enzyme inhibitors and the risk of lung cancer: a systematic review and meta-analysis. British Journal of Cancer, DOI: 10.1038/s41416-022-02029-5

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