Pflanzliche Schlafmittel

Pflanzliche Präparate mit Baldrian, Melisse, Lavendel oder Hopfen zählen zu den Klassikern der rezeptfreien Behandlung von Schlafstörungen. Diese Phytosedativa bieten vor allem den Vorteil keine Hang-over-Effekte am nächsten Tag auszulösen, doch gibt es auch bei ihnen einiges zu beachten.

Lavendeltee

Phytotherapeutika haben in Deutschland eine lange Tradition und einen hohen Stellenwert bei der Therapie von Schlafproblemen im Bereich der Selbstmedikation. Zum Einsatz kommen:

  • Baldrianwurzel (Valerianae radix)
  • Hopfenzapfen (Lupuli strobulus)
  • Lavendel (Lavandula officinalis)
  • Melissenblätter (Melissae folium)
  • Passionsblumenkraut (meist Passiflora incarnata)

Die Wirkung dieser pflanzlichen Präparate tritt allerdings erst verzögert nach einigen Wochen ein und setzt eine regelmäßige Einnahme voraus. Sie besitzen den großen Vorteil kein Risiko für anticholinerge Nebenwirkungen oder eine Abhängigkeit hervorzurufen.

Baldrianwurzel

Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bescheinigt einem ethanolischen Baldrian-Trockenextrakt (Drogen-Extrakt-Verhältnis 3,7 bis 4:1 Auszugsmittel Ethanol 40 bis 70 Prozent) einen Well-established Use bei der Linderung leichter nervöser Anspannungen sowie bei Schlafstörungen (Verbesserungen bei der Einschlafzeit und bei der Schlafqualität). Bei anderen Zubereitungsformen ist die Wirkung weniger gut belegt, weshalb diese der Kategorie Traditional Use zugeordnet werden.

Die Wirkungsweise lässt sich bislang nicht durch genaue Zuordnung einzelner Inhaltsstoffe erklären.

Typische Handelspräparate sind z.B. Baldrian-ratiopharm, Baldriparan Stark für die Nacht, Baldrivit 600, Luvased mono, auch Kombinationspräparate mit Hopfen, Melisse und/oder Passionsblume sind auf dem Markt erhältlich. Zusätzlich gibt es Kombinationspräparate von Baldrian mit anderen Pflanzenextrakten. Es konnte bis jetzt jedoch kein zusätzlicher schlafanstoßender Effekt von diesen Kombinationspräparaten in klinischen Studien im Vergleich zu Baldrian allein gezeigt . (Neubeck, 5., überarbeitete Auflage 2021)

Sie enthalten unter anderem Sesquiterpenoide, Lignane und Flavonoide, die über das γ-Aminobuttersäure-(GABA-)System, am A1-Adenosinrezeptor und an 5-HT1A-Serotoninrezeptoren binden.

Aufgrund fehlender Daten sollte Baldrian nicht von Schwangeren oder Stillenden angewendet werden

Hopfenzapfen

Auf dem Markt befinden sich Kombinationspräparate mit Baldrianwurzel (z.B. Vivinox Night Einschlafdragees), mit Baldrianwurzel und Melissenblätter (z.B. Baldriparan zur Beruhigung) sowie mit Baldrianwurzel und Passionsblumenkraut (z.B. Kytta-Sedativum ab 3 Jahren). Traditionell werden Hopfenzapfen auch getrocknet in Form von Tees angewendet. Die Kombination mit Baldrian eignet sich laut HMPC zur Besserung des Befindens bei nervlicher Belastung und zur Schlafunterstützung.

Lavendel

Lavendel und seine Extrakte (zum Beispiel Silexan in Lasea) enthalten ein ätherisches Öl, das unter anderem Linalool und Linalylacetat enthält. Untersuchungen mit Silexan zeigen eine Modulation spannungsabhängiger Calciumkanäle, nach der sich eine Ausschüttung von Stresshormonen normalisieren kann. Das Reaktionsvermögen wird durch die Anwendung von Lavendel oder seinen Extrakten nicht beeinträchtigt. Aufgrund fehlender Daten sollte auch hier keine Anwendung während der Schwangerschaft und Stillzeit erfolgen.

Melissenblätter

Präparate mit Melissenblättern können bei nervös bedingten Einschlafstörungen eingesetzt werden. Das ätherische Öl, welches in den Blättern vorkommt, hat einen hemmenden Effekt auf die GABA-Transaminase und dadurch auf den Abbau von GABA.

Auf dem Markt befinden sich lediglich Kombinationspräparate mit Baldrian (z.B. Euvegal), Baldrian und Passionsblume (z.B. Schlafsterne BMP), Baldrian und Hopfen (z.B. Sedacur forte).

Je nach Kombinationspräparat variiert die Dosierung für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren zwischen 1-2 Tabletten. Die Einnahme sollte 30-60 min vor dem Schlafengehen erfolgen. Bei nervösen Unruhezuständen kann eine Dosierung von 1-2 Tabletten bis zu 3-mal täglich erfolgen.

Die Vorteile von Kombinationspräparaten mit Melissenblätter sind die zusätzlichen spasmolytischen und karminativen Eigenschaften, d.h. Patienten mit nervös bedingten Schlafstörungen und dadurch entstehenden gastrointestinale Beschwerden, könnten von diesen Präparaten besonders profitieren.

Passionsblume

Durch die enthaltenen Flavonoide konnte, wie bei Baldrian, ein Effekt auf den GABAA-Rezeptor festgestellt . Dies führt zu einer Verstärkung der inhibitorischen Wirkung auf die Nervenzelle. Zusätzlich wurde von einer längeren Verweildauer von GABA im synaptischen Spalt berichtet (Oliver Grundmann, 2008).

Auf dem deutschen Markt sind sowohl Mono- (z.B. Pascoflair, Lioran) als auch Kombinationspräparate mit Baldrianwurzel und Melissenblätter (z.B. Valeriana Hevert Beruhigungsdragees) oder mit Baldrianwurzel und Hopfenzapfen (z.B. Biosedon) verfügbar.

Was gibt es zu beachten?

  • Um Eigenschaften und Wirkstoffgehalt von Phytopharmaka vergleichen zu können müssen verschiedenste Faktoren miteinbezogen werden, unter anderem das Extraktionsmittel, die Extraktionsmethode und das Herstellungsverfahren. Aus diesem Grund ist selbst der Austausch von verschiedenen Extrakten aus derselben Pflanze nicht möglich.
  • Die Wirkung ist sehr komplex und meist nicht auf einen definierten Inhaltsstoff zurückzuführen, weshalb neben der schlafanstoßenden Wirkung auch oft beruhigende und angstlösend Eigenschaften auftreten. Erkenntnisse zum genauen Wirkeintritt und der Dauer der Wirkung liegen kaum vor.
  • Tritt nach zwei Wochen regelmäßiger Anwendung keine Besserung der Symptomatik ein, sollte der Patient ärztlichen Rat einholen, da Schlafstörungen auch ein Begleitsymptom zahlreicher Grunderkrankungen sein können.
  • Laut HMPC können die Arzneimittel aus den genannten Pflanzen bei Erwachsenen und Jugendlichen ab zwölf Jahren (Ausnahme Kytta Sedativum ab drei Jahren) angewendet werden und seien vor allem bei nervöser Anspannung und daraus resultierenden Schlafstörungen sinnvoll.
  • Durch ihr geringes Neben- und Wechselwirkungsrisiko stellen sie nicht zuletzt für ältere Menschen eine wichtige Therapieoption dar und eignen sich auch für eine längerdauernde Anwendung.

Studienlage

In den Empfehlungen der S3-Leitlinie spielen Phytopharmaka eine untergeordnete Rolle. Die Autoren bemängeln, dass die Evidenzlage aufgrund fehlender Studien lediglich als dünn zu bewerten sei. Insgesamt liegen vier Meta-Analysen für pflanzliche Präparate (hauptsächlich für Baldrian) bei Insomnien vor. Alle Arbeiten kommen jedoch zu dem Schluss, dass die methodische Qualität der jeweiligen Studien sehr schlecht sei und weitere Studien erforderlich wären.

Für Baldrian zeigen die Meta-Analysen keine, bzw. allenfalls eine sehr geringe Überlegenheit gegenüber Placebo, doch treten bei Baldrian kaum unerwünschte Wirkungen auf. Problematisch ist jedoch neben der Qualität der Originalstudien, dass die Arbeiten meist auf chinesisch in chinesischen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden und die Leitlinienautoren somit keine Qualitätseinschätzung vornehmen konnten.

Zu weiteren Phytotherapeutika fehlen randomisiert kontrollierte Studien. So heißt es in der Leitlinie: „Für Baldrian und andere Phytopharmaka kann aufgrund der unzureichenden Datenlage keine Empfehlung zum Einsatz in der Insomnie-Behandlung gegeben werden (…).“

Besonderheit Lavendelöl

In klinischen Studien habe der patentierte Lavendelöl-Extrakt Silexan (Lasea) eine gute Wirksamkeit bei Schlafstörungen, Ruhe- und Rastlosigkeit, aber auch bei generalisierter und bei depressiver Angsterkrankung gezeigt. Eine Metaanalyse von fünf klinischen Studien, deren Daten im Jahr 2019 auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Angstforschung vorgestellt wurden, zeigt, dass der Lavendelöl-Extrakt in Silexan Schlafstörungen bei Patienten mit Unruhe und Angstzuständen im Vergleich zu Placebo signifikant verbesserte.

Insgesamt wurden Daten von 1.172 Patienten ausgewertet, die über einen Zeitraum von zehn Wochen entweder täglich 80 mg Silexan oder Placebo einnahmen. Darüber hinaus wird gemäß einer im November 2020 im Fachjournal Journal of Psychiatric Research veröffentlichten Studie die Fahrtüchtigkeit nicht beeinträchtigt und es besteht auch kein Missbrauchspotenzial, was eine im Fachjournal International Journal of Neuropsychopharmacology veröffentlichte (S3-Leitlinie - Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen, 2009) Studie im Vergleich mit Lorazepam zeigte.

Quelle:
  1. Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht, Empfehlung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) 82. Sitzung, 2020.
  2. H.-J. Möller, H.-P. Volz, A. Dienel, S. Schläfke, S. Kasper, Efficacy of Silexan in subthreshold anxiety: meta-analysis of randomised, placebo-controlled trials, Eur. Arch. Psychiatry Clin. Neurosci. 269 (2019) 183–193. https://doi.org/10.1007/s00406-017-0852-4.
  3. Hilft Melatonin bei Schlafstörungen?, ZFA Online (2019).
  4. Geisslinger, M. G. (2020). Mutschler Arzneimittelwirkungen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH.
  5. Neubeck, M. (5., überarbeitete Auflage 2021). Evidenzbasierte Selbstmedikation. Deutscher Apotheker Verlag.
  6. Oliver Grundmann, J. W. (12. 11 2008). Anxiolytic Activity of a Phytochemically Characterized Passiflora incarnata Extract is Mediated via the GABAergic System. Planta Med, S. 1769-1773. doi:10.1055/s-0028-1088322
  7. (2009). S3-Leitlinie - Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Springer-Verlag. doi:10.1007/s11818-009-0430-8
  8. S1 Leitlinie Nichtorganische Schlafstörungen AWMF-Registernr. 028/012, 2018
  9. S2k Leitlinie Insomnie bei neurologischen Erkrankungen; AWMF-Registernr. 030/045, 2020
  10. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 27, Oktober 2005, Schlafstörungen Robert Koch Institut
  11. WHO Monographs on Selected Medicinal Plants - Volume 1. Essential Medicines and Health Products Information Portal, http://apps.who.int/medicinedocs/en/d/Js2200e/29.html; aufgerufen am 4. Dezember 2017
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