Titandioxid – Krebserregend oder nicht?

Seit Oktober 2021 muss bei Titandioxid gewarnt werden, dass es möglicherweise krebserregend beim Einatmen ist. Diese Einstufung erklärte der Europäische Gerichtshof jetzt für nichtig. Eine Entwarnung für Titandioxid ist das noch nicht.

Gerichtsurteil

Am 23.11.2022 erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Titandioxid zu Unrecht als krebserregend beim Einatmen eingestuft worden sei. Die entsprechende Verordnung der Kommission aus dem Jahr 2019 erklärte das Gericht für nichtig.

Hintergrund

Titandioxid wird als Weißpigment in verschiedenen Produkten von Farben über Arzneimittel und Kosmetika bis hin zu Spielzeug eingesetzt. 2016 schlug die zuständige französische Behörde der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) vor, Titandioxid als karzinogen einzustufen.

2017 verkündete der Ausschuss für Risikobeurteilung der ECHA (RAC), dass Titandioxid als potenzielles Karzinogen der Kategorie 2 mit dem Gefahrenhinweis „H351 (Einatmen)“ einzustufen sei.

Die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid wurde in der Verordnung 2020/217 geregelt. Darin heißt es, dass Titandioxid im Verdacht stehe, kanzerogen zu wirken, wenn Menschen es in Pulverform einatmen. Dabei geht es um titandioxidhaltige Pulvergemische, die mindestens 1% Titandioxid in Partikelform mit einem Durchmesser ≤10 μm enthalten. Diese Stoffe wurden nicht verboten, mussten nun allerdings mit dem Warnhinweis „karzinogen bei Einatmen“ versehen werden.

Gegen diese Entscheidung hatten verschiedene Hersteller, Importeure, nachgeschaltete Anwender und Lieferanten geklagt.

Aktuelle Entscheidung

Am 23.11.2022 gab der EuGH den Klägern Recht. Mit dem Urteil erklärte das Gericht die angefochtene Verordnung 2020/217 für nichtig, soweit sie die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid betreffe.

Die Richterinnen und Richter aus Luxemburg wiesen auf Fehler des RCA bei seiner Bewertung hin. Dieser Bewertung hatte sich die EU-Kommission angeschlossen.

Der Gerichtshof gründete das Urteil zum einen darauf, dass die wissenschaftliche Studie, auf die die Bewertung des RCA basierte, nicht hinreichend verlässlich, relevant und angemessen war. Konkret seien Fehler im Zusammenhang mit der Berechnung der Dichte der fraglichen Partikel aufgetreten.

Zum anderen wiesen die Richterinnen und Richter darauf hin, dass ein Stoff dann als karzinogen einzustufen sei, wenn er die intrinsische Eigenschaft habe, Krebs zu erzeugen. Gegen diesen Grundsatz habe der RCA verstoßen.

Der Begriff „intrinsische Eigenschaften“ bedeute, dass ein Stoff für sich genommen Krebs erzeugen könne. Titandioxid sei nach heutigem Kenntnisstand aber nicht selbst krebserregend, sondern nur in einer bestimmten Pulverform beim Einatmen. Die Gefahr der Karzinogenität zeige sich nur bei einer Lungenüberlastung und entspreche einer Partikeltoxizität.

Lebensmittel und Arzneimittel

Von der aktuellen Entscheidung des EuGH bleibt unberührt, dass Titandioxid keine Zulassung mehr als Lebensmittelzusatzstoff hat. Hersteller setzten das Weißpigment als E171 ein, um Produkten wie Süßigkeiten, Backwaren, Suppen, Soßen und Nahrungsergänzungsmitteln ein frisches weißes Aussehen zu verleihen.

Die Europäische Kommission hatte am 14. Januar 2022 entschieden, dass Titandioxid Lebensmitteln nicht mehr zugesetzt werden darf. Nach einer sechsmonatigen Übergangszeit trat die Regelung am 7. August 2022 in Kraft. Seitdem müssen Lebensmittelhersteller auf die Verwendung von Titandioxid verzichten.

In Arzneimitteln wiederum ist Titandioxid weiterhin als Hilfsstoff erlaubt. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) rief die Hersteller aber auf, nach Alternativen zu suchen. Im April 2024 soll die Sachlage neu evaluiert werden.

Autor:
Stand:
05.12.2022
Quelle:
  1. Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Pressemeldung, 23.11.2022
  2. EU-Kommission, Pressemeldung, 14.01.2022
  3. Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA): Questions and answers: Replacement/removal of titanium dioxide (TiO2) in medicines. Technical and procedural guidance (zuletzt aufgerufen am 2.12.2022)
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