
Hintergrund
Der neue SARS-CoV-2-Proteaseinhibitor Ensitrelvir der japanischen Firma Shionogi, Osaka, konnte im Rahmen einer Phase-III-Studie überzeugen. Ensitrelvir inhibiert wie Nirmatrelvir, ein Wirkstoffpartner in Paxlovid, die virale 3CL-Protease. Im Gegensatz zu Nirmatrelvir benötigt Ensitrelvir jedoch keinen Ritonavir-Booster – was sich sehr wahrscheinlich deutlich auf die Anzahl von Arzneimittelinteraktionen auswirken wird.
Shionogi informierte bereits 2022 in einer Pressemitteilung über die Ergebnisse des Phase-III-Teils einer Phase-II/III-Studie zur Wirksamkeit von Ensitrelvir-Fumarsäure (S-217622). Demnach verkürzte das Virostatikum gegenüber Placebo die Symptome bei leichtem bis mittelschwerem Covid-19-Verlauf um etwa 24 Stunden und zeigte eine verringerte Anzahl der SARS-CoV-2-positiv getesteten Tage [1]. Im Februar 2023 wurden Daten präsentiert, die darüber hinaus auf einen Long-Covid-Schutz hindeuten [2].
Daten von 1.200 Covid-19-PatientInnen ausgewertet
Ensitrelvir wurde an 1.200 Covid-19-PatientInnen unabhängig von ihrem Risiko für einen schweren Verlauf getestet. Über die Hälfte der Studienpopulation waren Männer, das Durchschnittsalter lag bei 35 Jahren, fast alle waren asiatischer Abstammung. Die meisten ProbandInnen (90%) waren gegen Covid-19 geimpft. Bei mehr als 87% wurde eine Omikron-Infektion bestätigt, bei etwa 70% wurde die BA.2-Variante nachgewiesen.
Die Studienteilnehmenden erhielten über fünf Tage entweder 125 oder 250 mg Ensitrelvir täglich. Während einer Follow-up-Phase wurden sie an den Tagen 6, 9, 14, 21 und 28 bezüglich ihrer Symptome befragt. Um das Risiko für das Auftreten von Long Covid zu bewerten, fanden weitere Befragungen nach drei und sechs Monaten (an Tag 89 und 169) statt.
Primärer Endpunkt der Phase-III-Studie war die Zeit bis zum Abklingen von fünf Covid-19-spezifischen Symptomen: verstopfte oder laufende Nase, Halsschmerzen, Husten, Hitzegefühl oder Fieber sowie Antriebslosigkeit oder Müdigkeit. Wichtige sekundäre Endpunkte waren die Reduktion der viralen RNA an Tag 4 gegenüber dem Ausgangswert und die Zeit bis zum ersten negativen SARS-CoV-2-Virustest.
Verkürzte Beschwerdedauer, schneller SARS-CoV-2-frei
Die mit der Niedrigdosis behandelten Personen erholten sich deutlich früher als die Placebogruppe. Mit 125 mg Ensitrelvir war die mediane Zeit bis zum Abklingen der definierten Covid-19-Beschwerden im Vergleich zu Placebo signifikant verkürzt: 167,9 Stunden vs. 192,2 Stunden. Das ergibt einen statistisch signifikanten Unterschied von 24 Stunden (p=0,04).
Darüber hinaus verringerte 125 mg Ensitrelvir den viralen-RNA-Anteil am Tag 4 (nach der dritten Dosis) gegenüber Placebo signifikant (p<0,0001). Zudem wurden die ProbandInnen etwa 29 Stunden früher negativ auf SARS-CoV-2 getestet als diejenigen im Placebo-Arm.
Ensitrelvir wurde gut vertragen; schwerwiegende behandlungsbedingte Nebenwirkungen oder Todesfälle traten nicht auf.
Auswirkungen von Ensitrelvir auf das Long-Covid-Risiko
Ferner scheint Ensitrelvir in der Lage zu sein, das Long-Covid-Risiko zu verringern. In der Subgruppe, in der TeilnehmerInnen drei und sechs Monate nach Beginn der Studie Auskunft über ihre Covid-19-Symptome gaben, wurden diejenigen, die in diesem Zeitraum mindestens zweimal hintereinander zwei oder mehr der gleichen Symptome meldeten, als Long-Covid-PatientInnen definiert. ProbandInnen in der Niedrigdosisgruppe, die in der Frühphase der Krankheit relativ viele Symptome aufwiesen, hatten ein 14%iges Long-Covid-Risiko. In der Placebogruppe lag das Risiko bei 26% [2].
Das deute darauf hin, dass 125 mg Ensitrelvir das Long-Covid-Risiko senken könne, resümiert Shionogi am 21. Februar auf der 30. Konferenz über Retroviren und opportunistische Infektionen (Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections [CROI]) in Seattle, Washington.
Diese Einschätzung wird von einigen WissenschaftlerInnen kritisch gesehen. Professor Dr. Eric Topol vom Scripps Research Translational Instituts in San Diego, der nicht an der Studie beteiligt war, bemängelt gegenüber dem Fachmagazin „Natur“ das Design der klinischen Studie. Diese sei nicht speziell darauf ausgerichtet gewesen, das Risiko für Long Covid zu untersuchen. Da es sich um eine explorative Phase der Studie handelte, lassen sich auch keine eindeutigen Schlussfolgerungen ziehen [3].
Simon Portsmouth, Leiter der klinischen Entwicklung bei Shionogi in Florham Park, New Jersey, erklärt, dass das Unternehmen den Plan für die Analyse von Long-Covid-Daten nicht im Voraus festlegen konnte, weil das Phänomen in der Vergangenheit weniger klar definiert war als jetzt. Er fügt jedoch hinzu, dass die Ergebnisse, obwohl sie nicht endgültig sind, in eine laufende Studie einfließen werden, in der die Wirkung von Ensitrelvir auf Covid-19-Symptome untersucht wird [3].
Fazit
Mit den Ergebnissen der Studie, die während der Omikron-Phase der Coronapandemie durchgeführt wurde, ist Ensitrelvir das erste orale antivirale Prüfpräparat, das im Vergleich zu Placebo eine statistisch signifikante Wirkung auf die Zeit bis zum Abklingen der Symptome gezeigt hat. Mögliche positive Effekte auf das Long-Covid-Risiko müssen weiter untersucht werden.
Ensitrelvir ist bislang nur in Japan unter dem Handelsnamen Xocova® zugelassen.