
Hintergrund
In der Schwangerschaft leiden etwa 10-30% der Frauen unter psychischen Erkrankungen, beispielsweise Angststörungen. Benzodiazepine können helfen, die Symptome von Angststörungen oder Depressionen zu bessern. Weltweit werden Benzodiazepine bei 1,9% der Schwangeren verordnet. Die Sicherheit der Anwendung in der Schwangerschaft ist aufgrund der Wirkung auf das Kind allerdings fraglich. Benzodiazepine können die Plazentaschranke überwinden und wurden im Fruchtwasser und der Muttermilch nachgewiesen.
Im Tiermodell wurde ein Einfluss von Benzodiazepinen auf die Entwicklung der neuronalen Netzwerke im ersten Trimester der Gravidität nachgewiesen. Zum Einfluss von Benzodiazepinen auf die neuronale Entwicklung und mögliche Folgen wie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Autismus gibt es für den Menschen bislang kaum Daten. Auch andere Medikamente, etwa Opioide oder Antipsychotika, stehen im Verdacht, das Autismus-Risiko der Kinder zu beeinflussen [1, 2].
Die Interpretation solcher Daten wird erschwert, weil natürlich auch genetische Faktoren eine Rolle spielen. Eine genetische Prädisposition könnte mit Einfluss nehmen. Studien zeigen ein erhöhtes ADHS-Risiko bei Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft Angststörungen oder Depressionen hatten, verglichen mit Kindern, deren Mütter dies nicht hatten.
Zielsetzung
Forscher um den Erstautor Dr. Vincent Chin-Hung Chen vom Chiayi Chang Gung Memorial Hospital, Chiayi, Taiwan, gingen der Frage nach, ob die pränatale Exposition gegenüber Benzodiazepinen mit der Entwicklung von ADHS oder Autismus im späteren Leben assoziiert ist [3].
Methodik
In dieser Kohortenstudie wurden Daten aus nationalen Geburtsregistern und Daten des Krankenversicherers Taiwan National Health Insurance von Januar 2004 bis Dezember 2017 ausgewertet. Dadurch erhielten die Forscher die Datensätze von 1.138.732 Müttern mit 1.516.846 Lebendgeburten. Die Analyse der Daten erfolgte zwischen Februar 2021 und September 2022.
Die pränatale Exposition gegenüber Benzodiazepinen während der Schwangerschaft wurde über die Erfassung mindestens einer Benzodiazepin-Verschreibung ermittelt. Als Outcome wurden ADHS und Autismus bei den Kindern festgelegt.
Ergebnisse
Die Analysen zeigten, dass 5% der Kinder (n = 76.411) eine pränatale Exposition gegenüber Benzodiazepinen erfahren hatten. Dies war mit einem erhöhten Risiko für ADHS (Exposition im ersten Trimester: Hazard Ration [HR] 1,24; 95% Konfidenzintervall [KI] 1,20 bis 1,28; zweites Trimester: HR 1,27; 95%-KI 1,21 bis 1,34; drittes Trimester: HR 1,25; 95%-KI 1,14 bis 1,37) und Autismus (erstes Trimester: HR 1,13; 95%-KI 1,09 bis 1,21; zweites Trimester: HR 1,10; 95%-KI 0,98 bis 1,22; drittes Trimester: HR 1,21; 95%-KI 1,00 bis 1,47) assoziiert.
Verglichen die Forscher jedoch Geschwister, bei denen keine pränatale Exposition gegenüber Benzodiazepinen stattgefunden hatte, waren die Unterschiede nicht mehr signifikant: Risiko für ADHS (erstes Trimester: HR 0,91; 95% Konfidenzintervall [KI] 0,38 bis 1,00; zweites Trimester: HR 0,89; 95%-KI 0,78 bis 1,01; drittes Trimester: HR 1,08; 95%-KI 0,38 bis 1,41), Risko für Autismus (erstes Trimester: HR 0,92; 95%-KI 0,75 bis 1,14; zweites Trimester: HR 0,97; 95%-KI 0,71 bis 1,33; drittes Trimester: HR 1,07; 95%-KI 0,53 bis 2,16).
Die Ergebnisse waren für langwirksame und für kurzwirksame Benzodiazepine gleich.
Fazit
In dieser Studie zeigte sich kein Einfluss einer pränatalen Benzodiazepin-Exposition auf das Autismus- und ADHS-Risiko bei den Kindern. Die Autoren vermuten, dass Hinweise auf ein solches erhöhtes Risiko in anderen Studien durch eine genetische Prädispositionen bedingt waren.