
Die mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 von BioNTech/Pfizer (Comirnaty) und Moderna (Spikevax) sind die ersten Impfungen Ihrer Art, die für den Gebrauch in Menschen zugelassen und in großem Umfang verwendet wurden. Sie induzieren hohe Konzentrationen an neutralisierenden Antikörpern und zeigten in klinischen Studien und der Realität eine starke Wirksamkeit [1].
Antikörper, die nach einer Infektion oder Impfung produziert werden, unterscheiden sich u.a. in ihrem Auftreten im zeitlichen Verlauf und ihrer spezifischen Funktion. So werden Immunglobuline M (IgM) zuerst produziert, besitzen aber eine niedrige Affinität zum entsprechenden Antigen. Daher werden im Rahmen eines Klassenwechsels später hochaffine IgG produziert, die sich je nach Antigen in ihrem Subtyp unterscheiden.
Die Subtypen IgG1, IgG2 und IgG3 besitzen die Fähigkeit zur Aktivierung des Komplementsystems und wirken dementsprechend proinflammatorisch. Der Subtyp IgG4 hingegen bewirkt keine Aktivierung des Komplementsystems und wird in einem eher antiinflammatorischen Rahmen gebildet, da der Klassenwechsel zu IgG4 durch Interleukin-10 und Interleukin-4 moduliert wird. IgG4 werden u.a. nach einer langen oder wiederholten Exposition gegenüber einem Antigen gebildet oder bei Wurminfektionen und allergischen Erkrankungen [1,2].
Subtypen der IgG gegen das Spike-Protein im zeitlichen Verlauf
In einer neuen Studie wurden die Antikörperantworten nach zwei bzw. drei Dosen Comirnaty für mindestens acht Monate nach der ersten Impfung bei gesunden Freiwilligen im Längsschnitt untersucht. Bisher war unklar, welche der vier IgG-Subtypen nach einer mRNA-Impfung gegen SARS-CoV-2 auch lange Zeit nach der zweiten bzw. dritten Impfung vorherrschen.
Die Studie wurde finanziert durch Projekte des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [1].
Methodik
In einer Kohorte von 29 Probanden, die im Gesundheitswesen arbeiteten, wurden die Antikörperantworten nach drei Dosen des Comirnaty-Impfstoffes analysiert. Dabei wurden die ersten beiden Dosen in einem Intervall von drei bis vier Wochen appliziert und die dritte Impfung als Booster ca. sieben Monate nach der zweiten Impfung.
Mithilfe eines Durchflusszytometrie-basierten Verfahren wurden die anti-Spike-IgG in den Blutseren zehn Tage nach der jeweiligen Impfung und außerdem 210 Tage nach der zweiten Impfung und 180 Tage nach der dritten Impfung untersucht [1].
Ergebnisse
- Zehn Tage nach der zweiten Impfung waren anti-Spike-IgG der Subtypen IgG1, IgG2 und IgG3 nachweisbar, IgG4 jedoch nicht. Die Konzentrationen von IgG2 waren zu diesem Zeitpunkt deutlich kleiner als die von IgG1 und IgG3.
- 210 Tage nach der zweiten Impfung waren in den Blutseren von ca. der Hälfte der Probanden IgG4 nachweisbar. Die Konzentrationen der anderen IgG-Subtypen sanken deutlich.
- Zehn Tage nach der dritten Impfung waren die Konzentrationen von allen IgG-Subtypen erhöht im Vergleich zu 210 Tage nach der zweiten Impfung und erreichten im Fall von IgG1 und IgG2 wieder die Konzentrationen von zehn Tagen nach der zweiten Impfung. Die Konzentration von IgG3 blieb jedoch unter jener kurz nach der zweiten Impfung. Ein großer Anstieg der Konzentration von IgG4 war zu beobachten in fast allen Probanden kurz nach der Booster-Impfung.
- In der Langzeituntersuchung 180 Tage nach der Booster-Impfung fielen die Konzentrationen aller IgG-Subtypen. Dies war besonders für IgG3 der Fall, dessen Konzentration im Gegensatz zu den anderen IgG-Subtypen sogar unter die Konzentration 210 Tage nach der zweiten Impfung fiel.
- Dabei ist zu beachten, dass die Autoren der Studie bestätigte Durchbruchinfektionen bei ca. 40% der Probanden zwischen der Untersuchung zehn Tage nach der dritten Impfung und der Untersuchung 180 Tage nach der dritten Impfung vermeldeten. Zuvor wurden keine Durchbruchinfektionen registriert [1].
Anteil von IgG4 am Gesamt-IgG nimmt im Verlauf stetig zu
Während der Anteil von IgG4 am Gesamt-IgG kurz nach der zweiten Impfung noch 0,04% war, betrug er 210 Tage nach der zweiten Impfung 4,82% und zehn bzw. 180 Tage nach der dritten Impfung 13,91% bzw. 19,27%. Die anteilige Erhöhung von IgG4 ging v. a. zulasten von IgG1, dessen Anteil im zeitlichen Verlauf kontinuierlich sank.
Bei vier von 29 Probanden wurde IgG4 sogar der dominante IgG-Subtyp nach der dritten Impfung. Insgesamt kam es bei Probanden mit einer zusätzlichen Durchbruchinfektion nach der dritten Impfung häufig dazu, dass IgG4 ca. 40–80% der anti-Spike-IgG ausmachte.
Die Autoren der Studie untersuchten auch eine weitere Kohorte mit sehr ähnlichen Impfabständen von drei Comirnaty-Impfungen. Auch hier beobachteten sie eine ähnliche Verteilung der anti-Spike-IgG-Subtypen. Kurz nach der dritten Impfung erreichten die IgG4-Konzentrationen im Mittel das 38,6-fache der Konzentrationen kurz nach der zweiten Impfung.
Bei der Analyse von homologen oder heterologen Impfungen mit dem auf adenoviralen Vektoren basierenden Impfstoff AZD1222 (Vaxzevria) von AstraZeneca zeigte sich, dass weder die homologe noch die heterologe Impfstrategie zu einem vergleichbaren Klassenwechsel zu IgG4 führte [1].
Funktionelle Charakterisierung der IgG nach zweiter bzw. dritter mRNA-Impfung
Weiterhin untersuchten die Autoren der Studie die Avidität der IgG, die Fähigkeit zur Virusneutralisierung, die Komplementaktivierung und die Vermittlung von Phagozytose durch die IgG. Sie stellten fest, dass sowohl die Avidität der IgG als auch Surrogatmarker der Virusneutralisierung nach der dritten Impfung erhöht waren im Vergleich zu den IgG nach der zweiten Impfung. Jedoch vermittelten die Blutseren nach der dritten Impfung weniger Phagozytose und führten zu weniger Komplementaktivierung als jene nach der zweiten Impfung [1].
IgG4 ist nicht dominanter Subtyp bei wiederholter Tetanus-Impfung oder RSV-Infektion
Da stark erhöhte IgG4-Konzentrationen selten nach anderen wiederholten Impfungen oder Infektionen gesehen wurden, analysierten die Autoren der Studie auch die Antikörperantworten von 23 Probanden, die mehrere Dosen (2–16, Median 6) einer Tetanustoxoid-(TT)-Impfung erhalten haben. Dabei wurden bei neun Probanden TT-spezifische IgG4 gefunden, aber nur in sehr geringen Konzentrationen und ohne Korrelation mit der verabreichten Anzahl an TT-Impfungen.
Außerdem untersuchten die Autoren die Blutseren von zehn Probanden auf Antikörper gegen das Respiratory-Syncytial-Virus (RSV), das häufig wiederholte Infektionen bei Menschen verursacht. Sie fanden IgG1 gegen das RSV-F-Protein bei allen Probanden, nicht jedoch IgG4 [1].
Klassenwechsel zu IgG4 nach dreifacher mRNA-Impfung
Insgesamt zeigt die Studie, dass die dritte Impfung mit dem gegen SARS-CoV-2 gerichteten mRNA-Impfstoff Comirnaty auch zu einer Bildung von IgG4 neben den anderen anti-Spike-IgG-Subtypen führt. Die Produktion von IgG3 wurde durch die Booster-Impfung jedoch nicht so effizient gefördert.
Die Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass der Antikörperklassenwechsel (class switch recombination, CSR) prinzipiell konsekutiv von den proximalen Genloci zu den distal Genloci erfolgt, entsprechend den vier Genen der schweren Kette der vier IgG-Subtypen, nämlich von proximal nach distal Cγ3-Cγ1-Cγ2-Cγ4 innerhalb des Immunglobulin-Genkomplexes auf Chromosom 14.
Dafür spricht auch, dass der Klassenwechsel hin zu IgG2 oder IgG4 laut anderer Studien häufiger von IgG1-B-Zellen her erfolgt als von IgM- bzw. IgD-B-Zellen. Allein die mehrfache Exposition gegenüber einem Antigen eines Pathogens scheint jedoch nicht für einen umfangreichen Klassenwechsel hin zu IgG4 zu reichen, da weder Impfserien mit einem adenoviralen Vektorimpfstoff noch eine wiederholte Exposition gegenüber Tetanustoxoid oder RSV zu einem solchen Klassenwechsel führen [1].
Auswirkungen der Ergebnisse auf die Beurteilung der Booster-Impfung
Virusbeseitigung erschwert?
Die Vermittlung von Phagozytose und die Komplementaktivierung geschieht über das kristallisierbare Fragment (Fc) von Antikörpern. Da sich die IgG-Subtypen in ihrem Fc-Fragment unterscheiden, kann die verminderte Eigenschaft zur Vermittlung von Phagozytose eben darüber erklärt werden. IgG4 gelten als antiinflammatorisch und wenig potent hinsichtlich der Vermittlung der Fc-abhängigen Effektorfunktionen.
Daher könnte die endgültige Virusbeseitigung nach einer SARS-CoV-2-Infektion aufgrund einer Booster-Impfung erschwert sein und zu einer längeren Persistenz des Virus führen. Ebenso wäre es aber auch denkbar, dass die nicht-inflammatorischen Effektorfunktionen von IgG4 immunpathologisch günstig wirken und die Schwere des Krankheitsverlauf mindern. Die Frage, ob bzw. wie IgG4-lastige Antikörperantworten virale Infektionen und Booster-Impfungen beeinflussen, sollte zukünftig in Studien mit großen Kohorten mit verschiedenen Krankheitsschweren geklärt werden.
Bessere virusneutralisierende Eigenschaften
Die virusneutralisierenden Eigenschaften von Antikörpern werden durch die variablen Domänen ihres antigenbindenden Fragments (Fab) vermittelt. So überrascht es nicht, dass die Seren der dreifach geimpften Probanden trotz des höheren Anteils an IgG4 sogar bessere virusneutralisierende Eigenschaften besitzen als die Seren von nur zweifach geimpften Probanden.
Da neutralisierende Antikörper als wichtigster Schutz gegen Infektionen mit SARS-CoV-2 gelten, kann dies auch erklären, warum dreifach Geimpfte laut klinischen Studien einen besseren Schutz vor schweren SARS-CoV-2-Infektionen besitzen als ohne mRNA-Booster-Impfung [1].