
Inclisiran gehört zu den RNA-Interferenz-Therapeutika (RNAi). Als synthetisch hergestellte small interfering RNA (siRNA) hemmt Inclisiran die Translation der Serinprotease PCSK9 in den Hepatozyten. Infolgedessen steigt die Anzahl der LDL-Rezeptoren auf der Oberfläche der Leberzellen, LDL-Cholesterin (LDL-C) wird vermehrt abgebaut und die Konzentration von LDL-C im Blut sinkt. Der Cholesterinsenker Inclisiran (Leqvio) ist seit Dezember 2020 für Erwachsene mit primärer Hypercholesterinämie oder gemischter Dyslipidämie zugelassen, bei denen eine Diät und andere Arzneimittel den Cholesterinspiegel nicht ausreichend senken.
ORION-Studien
Die Zulassung von Inclisiran beruht auf drei Phase-III-Studien im Rahmen des ORION Forschungsprogramms (ORION-9, ORION-10 und Orion-11). Die Patienten in den Studien hatten erhöhte LDL-C-Spiegel, obwohl sie bereits meist mit Statinen (91,8%) und teilweise mit Ezetimib (14,2%) behandelt wurden. Inclisiran verringerte die LDL-C-Werte vs. Placebo in allen drei Studien signifikant um etwa 50% [1,2].
Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse?
Nachdem die Zulassungsstudien gezeigt haben, dass Inclisiran eine signifikante Senkung der LDL-Cholesterinwerte erreicht, stellte sich jedoch die Frage, ob mit der LDL-C-Reduktion durch Inclisiran auch tatsächlich das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse verringert werden würde. Um erste Antworten auf diese Frage zu erhalten, führte ein Team von ORION-Autoren um Prof. Dr. Kausik K. Ray, Professor für Public Health am Imperial College London eine gepoolte Analyse mit den Daten der drei zulassungsrelevanten ORION-Studien durch.
Auswertung von Sicherheitsdaten
In die gepoolte Analyse wurden Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie, Patienten atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen und Patienten mit atherosklerotischen Gefäßerkrankungen oder erhöhtem kardiovaskulären Risiko eingeschlossen. Alle Patienten erhielten eine Statintherapie in maximal tolerierter Dosis und wurden im Rahmen der ORION Studien 1:1 in eine Inclisiran- und eine Placebogruppe randomisiert. Die Verumgruppe erhielt 284 mg Inclisiran in der Fertigspritze s.c. an den Tagen 1 und 90, danach alle 6 Monate bis zu 18 Monaten; Placebo wurde analog verabreicht.
Da kardiovaskuläre Ereignisse keine primären Endpunkte in den vorangegangenen klinischen Studien waren, mussten hierfür die Berichte über unerwünschte Ereignisse aus den Sicherheitsdaten der Studien für die Analyse genutzt werden.
Mithilfe der Standard-Nomenklatur des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) Version v20.1 wurden folgende kardiovaskuläre Ereignisse (major cardiovascular events [MACE]) a priori definiert:
- kardiovaskulär bedingter Todesfall
- Herzstillstand
- nicht tödlicher Herzinfarkt
- tödlicher und nicht tödlicher Schlaganfall
Obwohl sie nicht präspezifiziert waren, wurden zudem alle tödlichen und nicht tödlichen Myokardinfarkte und Schlaganfälle evaluiert.
Risikoreduktion für kombinierten Endpunkt
Von den 3655 Patienten, deren Daten in die Analyse einflossen, erlitten 303 (8,3%) in den 18 Monaten der Studienlaufzeit ein MACE. Hiervon traten 131 (7,1%) der MACE unter Inclisiran und 172 (9,4%) unter Placebo auf. Dies entspricht einer relativen Risikoreduktion um 26% durch Inclisiran für den kombinierten MACE-Endpunkt (Odds Ratio [OR]: 0,74; 95%-KI: 0,58 bis 0,94).
Bei einzelnen Endpunkten wie tödliche und nicht tödliche Myokardinfarkte (33 vs. 41 Ereignisse; OR: 0.80; 95%-KI: 0,50 bis 1,27) sowie tödliche und nicht tödliche Schlaganfälle (13 vs. 15 Ereignisse; OR: 0,86; 95%-KI: 0,41 bis 1,81) bestanden allerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen Inclisiran und Placebo.
Ermutigende Ergebnisse, aber kein Beweis
Die Ergebnisse der gepoolten Analyse sind hinsichtlich der potenziellen positiven Effekte von Inclisiran auf das kardiovaskuläre Risiko von Hoch-Risiko-Patienten mit erhöhten LDL-C-Spiegeln ermutigend. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Verträglichkeitsprofil von Inclisiran generell gut ist.
Allerdings ist auch zu beachten, dass die Nachbeobachtung über 18 Monate kurz war, keine der drei Studien ursprünglich kardiovaskuläre Endpunkte aufwiesen und die in der Analyse hierzu verwendeten Daten nicht durch ein unabhängiges Expertenpanel beurteilt wurden.
Die Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf zwei noch laufende Studien (ORION-4 und VICTORION-2) mit rund 15.000 Teilnehmern, die beweisen sollen, das Inclisiran das Risiko vaskulärer Ereignisse verringern kann.
Die Analyse wurden von Novartis Pharma AG, Basel, Switzerland gesponsort. Die ORION-Studien wurden von The Medicines Company gesponsort und sind auf ClinicalTrials unter der Nummern NCT03397121 (ORION-9), NCT03399370 (ORION-10) und NCT03400800 (ORION-11) einzusehen.