
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ vor unumkehrbaren Folgen für das Immunsystem nach mehreren Covid-19-Infektionen. Es sei „bedenklich“, was Menschen mit mehrfachen Corona-Infektionen durchmachten. In diesem Zusammenhang verweist er auf Studien, die mittlerweile sehr deutlich zeigen würden, „dass die Betroffenen es häufig mit einer nicht mehr zu heilenden Immunschwäche zu tun haben.“ Dies könne ein Risikofaktor für die Entstehung von chronischen Erkrankungen sein – von Herz-Kreislauf-Problemen bis hin zur Demenz, so der SPD-Politiker [1].
Kritische Stimmen
Das Interview blieb nicht unkommentiert. Stefan Kluge, Leiter der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, äußerte sich beispielsweise auf Twitter: „Unheilbare Immunschwäche nach Infektionen? Man sollte sich in der Kommunikation wirklich auf validierte, klinische Studien beziehen.“ Dennoch bleibe es wichtig, Infektionen zu vermeiden“, sagt Kluge [3]. Die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt schrieb in einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“: „Es gibt nicht einmal eine vorläufige wissenschaftliche Publikation, 'Preprint' genannt, weil die Befunde eben noch so unreif sind und ihre Urheber erst weiterforschen wollen.“ Es sei unverantwortlich, „dass der Gesundheitsminister vorläufige Daten hinausposaunt und die Menschen in Angst und Schrecken versetzt“, so Berndt [4].
Lauterbach revidiert Aussage
Noch am Sonntagabend revidierte der Minister seine Aussage auf Twitter. Bei der Wortwahl „einer nicht mehr zu heilenden Immunschwäche“ hätte es sich um einen technischen Übertragungsfehler gehandelt. Das Zitat habe gelautet: „Studien zeigen mittlerweile sehr deutlich, dass die Betroffenen es häufig mit einer Immunschwäche zu tun haben, deren Dauer wir noch nicht kennen." Von einer unheilbaren Immunschwäche könne derzeit noch keine Rede sein [2].
Nach zwei Corona-Infektionen weitere Ansteckungen vermeiden
Noch sei keine sichere Aussage möglich, das Phänomen werde aber intensiv erforscht, erklärt Lauterbach. Er verfolge die Studien und diskutiere mit Experten. Unter anderem weist eine in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie auf zahlreiche Komplikationen durch wiederholte SARS-CoV-2-Infektionen hin [5]. Lauterbach rät: „Wenn jemand nach zwei Infektionen ein stark gealtertes Immunsystem hat, ist es ratsam, dass er weitere Covid-Infektionen vermeidet.“ [1]
Long-Covid betrifft etwa 5–10%
Außerdem äußerte sich Lauterbach zum Thema Long-Covid und kündigte eine Initiative für Betroffene an. Es sei davon auszugehen, „dass ein relevanter Anteil derjenigen, die nach einer Corona-Infektion erkrankt sind, mit Long-Covid-Symptomen zu kämpfen haben.“ Schätzungen zufolge dürfte deren Anteil bei etwa 5-10% liegen. „Das bedeutet für den Einzelnen häufig einen harten Schicksalsschlag und kann sogar für den Arbeitsmarkt relevant werden, wenn die Anzahl der Erkrankten weiter steigt.“ [1]
Der US-amerikanische Kardiologe und Coronavirus-Experte Eric Topol schreibt auf Twitter, dass eine Impfung zur Vorbeugung von Long-Covid eine rund 40%ige Risikoreduktion über mehrere Organsysteme hinweg bedeute, einschließlich Lunge, Nervensystem und Diabetes [6].
Informationshotline für Betroffene
Lauterbach plant, zeitnah eine Hotline in seinem Ministerium einzurichten. „Sie soll als Anlaufstelle dienen für Menschen, die auf der Suche nach Informationen zu Long-Covid sind“, so der Minister [1]. Eine solche Informationsplattform könnte das bisherige Wissen bündeln, über den aktuellen Forschungsstand informieren und Auskünfte zu Diagnostik und neuen Therapieansätzen geben.
Bessere Versorgungsforschung bei Long-Covid
Um die Lage von Long-Covid-Betroffenen zu verbessern, will der Bundesgesundheitsminister die Versorgungsforschung künftig mit 100 Millionen Euro fördern. „Bei der Versorgungsforschung geht es um die Frage, was das optimale Versorgungskonzept für Menschen mit Long-Covid ist. Eine bedeutsame Frage ist beispielsweise, welche Form der Reha wirkt. Die falsche Reha kann eine zusätzliche Schwächung zur Folge haben“, erklärt der SPD-Politiker der Rheinischen Post [1].