COVID-19: Weiteres Risikogen für schweren Krankheitsverlauf identifiziert

ELF5 ist ein Transkriptionsfaktor, der sowohl im Riechepithel als auch in den Lungenalveolen aktiv ist. Ebenso scheint G-CSF beim COVID-19-Verlauf eine Rolle zu spielen.

Corona-Forschung

Hintergrund

Warum einige Menschen bei einer SARS-CoV-2-Infektion schwerer erkranken als andere, ist seit Beginn der Corona-Pandemie Gegenstand der Forschung. Schon jetzt wurden etliche Risikofaktoren identifiziert, darunter Adipositas, höheres Lebensalter und organische Vorerkrankungen. Bei jüngeren, anamnestisch gesunden Personen können genetische Varianten, die den Zelleintritt des Coronavirus und/oder seine Replikation erleichtern oder die Immunabwehr hemmen, das Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs erhöhen.

Zu den entschlüsselten genetischen Einflussfaktoren zählen beispielsweise Varianten in der AB0-Transferase. Jetzt haben Forschende am Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité – Universitätsmedizin Berlin weitere Genvarianten entdeckt, die den COVID-19-Krankheitsverlauf beeinflussen. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Großbritannien und Kanada untersuchten sie Gene und Proteine, die das Risiko für eine schwere Corona-Infektion erhöhen können. Ihre Erkenntnisse publizierten sie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.

Methodik

Die Teams analysierten genetische Datensätze von 100.000 Menschen weltweit. Die Ergebnisse der Genom-weiten Assoziationsstudien (GWAS) wurden mit Proteomik-Analysen in Beziehung gesetzt.

Ergebnisse

Bei den gefundenen Übereinstimmungen fielen acht Proteine auf. Zwei von ihnen waren prägnant: ELF5 und G-CSF. ELF5 hatte den größten Einfluss auf den COVID-19-Krankheitsverlauf. So war das Risiko für Hospitalisierung oder Tod bei Personen, die Veränderungen im entsprechenden Gen – das heißt dem Bauplan von ELF5 – aufwiesen, fast fünfmal höher (Odds Ratio (OR): 4,88; 95%-Konfidenzintervall (KI): 2,47–9,63) als bei Personen ohne diese Genvarianten.

Über ELF5

ELF5 enthält die Information für einen Transkriptionsfaktor (TF). Transkriptionsfaktoren sind regulatorische DNA-bindende Proteine, die die Ablesung von anderen Genen beeinflussen.

Die Wissenschaftler fanden ELF5 in allen Epithelzellen von Haut und Schleimhäuten, insbesondere aber in den Atemwegsepithelien. ELF5 wird von denselben Zellen aktiviert, die auch ACE2 und TMPRSS2 produzieren. ACE2 ist der Rezeptor auf der Zelloberfläche, den auch SARS-CoV-2 als Andockstelle nutzt. Das Enzym TMPRSS2 ermöglicht den Viren anschließend den Eintritt in die Zelle.

In den Alveolen wird ELF5 vor allem von den Alveolarzellen Typ II (AT2-Zellen) gebildet, die an der Pneumonie-Entstehung beteiligt sind. Darüber hinaus findet sich ELF5 in den Bowman-Drüsen und den Stützzellen im Riechepithel, deren Infektion und Zerstörung die COVID-19-typischen Geruchsstörungen auslösen.

Damit erscheinen Varianten im Gen ELF5 als Risikofaktor sehr plausibel, so Lorenz Chua, Experte für Single Cell Analysen am BIH. Wie genau ELF5 schwere COVID-19-Verläufe beeinflusst, ist allerdings noch unklar. Eine Erklärung hierfür lässt sich auch nicht so einfach finden, da sich Transkriptionsfaktoren meist auf die Aktivität mehrerer Gene auswirken. ELF5 „steuert, wie häufig oder wie selten andere Gene an- und abgeschaltet werden, und zwar im ganzen Körper“, erklärt Professor Christian Conrad, Leiter der Abteilung für Intelligent Imaging am BIH. Das erschwert entsprechende Therapieansätze.

Über G-CSF

Der Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor (G-CSF) regt als linienspezifischer Faktor unter anderem die Neubildung neutrophiler Granulozyten im Knochenmark an. Menschen, die genetisch bedingt mehr G-CSF produzierten, erkrankten weniger häufig schwer an COVID-19. Demnach könnte sich eine Behandlung mit G-CSF positiv auf das Krankheitsgeschehen auswirken. Da synthetische G-CSF wie Filgrastim und Lenograstim bereits als zugelassene Arzneimittel verfügbar sind, wären entsprechende klinische Studien schon jetzt möglich.

Die Idee ist nicht neu. Eine randomisierte klinische Studie untersuchte bereits im letzten Jahr COVID-19-Patienten, die über drei Tage G-CSF erhielten. Obschon die Lymphozytenzahl erhöht werden konnte, war kein klinischer Nutzen nachweisbar.

Autor:
Stand:
17.08.2022
Quelle:
  1. Pietzner, M. et al. (2022): ELF5 is a potential respiratory epithelial cell-specific risk gene for severe COVID-19. Nat Commun. 2022 Aug; 13(1):4484; DOI: 10.1038/s41467-022-31999-6.
  2. Berlin Institute of Health (BIH), Pressemitteilung: Warum jemand schwer an COVID-19 erkrankt; 11. August 2022.
  3. Cheng, L. et al. (2021): Effect of Recombinant Human Granulocyte Colony-Stimulating Factor for Patients With Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) and Lymphopenia: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2021 Jan; 181(1):71–8; DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.5503.

 

  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige

Orphan Disease Finder

Orphan Disease Finder

Hier können Sie seltene Erkrankungen nach Symptomen suchen:

 

Seltene Krankheiten von A-Z
Schwerpunkt Seltene Erkrankungen