Greift bei Covid-19 die Originalantigensünde?

Erneut wird das Argument der Originalantigensünde in Zusammenhang mit Covid-19 diskutiert. Demnach würde der Körper nach vorherigem SARS-CoV-2-Kontakt bei Infektion mit einer neuen Virusmutation vor allem Antikörper gegen die Epitope bilden, die bereits auf der Ursprungsvariante vorhanden waren.

Antikörperbildung

Die Originalantigensünde-Theorie (Original Antigenic Sin [OAS]) bzw. Immune Imprinting wurde bereits im Zusammenhang mit Influenza beobachtet [1]. Ähnliche Bedenken gibt es nun auch in Bezug auf SARS-CoV-2. Demnach würde eine frühere Impfung oder Infektion mit einer Prä-Omikron-Variante die Reaktion auf die derzeit zirkulierenden Stämme beeinträchtigen. Dr. Sebastian Hoehl und Prof. Sandra Ciesek vom Institut für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt diskutieren im Fachmagazin „The Lancet“ die Frage, ob wir eine Erbsünde begangen haben, indem wir mit dem Spike-Protein einer inzwischen verdrängten SARS-CoV-2-Variante geimpft haben, die fortan unsere Immunreaktion auf die Varianten und Impfstoffe der Zukunft hemmen wird – mit der Folge einer erhöhten Morbidität und Mortalität [2]?

Was bedeutet die Originalantigensünde?

Gemäß der Originalantigensünden-Theorie reagiert das Immunsystem schwächer auf neue Virusvarianten, wenn es zuvor mit einer anderen Virusvariante in Kontakt gekommen war. Bei erneutem Viruskontakt wandeln sich B-Gedächtniszellen aus der Vorinfektion rasch in antikörpersezernierende Plasmazellen um.

Diese Antikörper richten sich vor allem gegen bekannte Epitope des Virus; neu entwickelte immunogene Epitope nach einem Antigendrift werden mit einer geringeren Affinität gebunden. Die bestehende Immunantwort der B-Gedächtniszellen könnte die Reifung naiver B-Zellen unterbinden, die besser zur neuen Virusvariante passen würden – so die Theorie.

Antikörperantwort gegen Ursprungsvirus am höchsten

Die Antikörperantwort auf bivalente Impfstoffe, die neben dem Wildtyp-SARS-CoV-2 auch das Spike-Protein der Omikron-Sublinie BA.5 enthalten, wurde bereits in mehreren Studien mit der auf den ursprünglichen monovalenten Impfstoff verglichen. Unabhängig vom Impfstoff fiel die Immunreaktion gegen die Ursprungsvariante am höchsten aus [2,3].

Zudem zeigten Untersuchungen, dass ein bivalenter Booster gegenüber einer monovalenten Auffrischdosis keinen signifikanten Vorteil bringt [4,5]. Bei beiden Studien war die Teilnehmerzahl mit jeweils 21 und 18 Personen jedoch klein.

Der nur geringgradig höhere Effekt des bivalenten Impfstoffs im Vergleich zur monovalenten Vakzine könnte auf ein mögliches Immune Imprinting hindeuten, wodurch die Induktion neuer Antikörper limitiert werde, so Ciesek und Hoehl [2]. Weiter stimmen sie den Aussagen von Markus Hoffmann und Stefan Pöhlmann vom Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen zu, dass die Überwindung der Immunprägung notwendig sein könnte, um die Impfstoff-Wirksamkeit gegen Reinfektionen mit heute und in Zukunft auftretenden Omikron-Varianten zu optimieren [2].

Zusatznutzen bivalenter Impfstoffe in größeren Studien bewiesen

Untersuchungen mit größeren Studienpopulationen, darunter Studien der Impfstoffhersteller Moderna und BioNTech/Pfizer, kamen zu anderen Ergebnissen. Im Vergleich zur monovalenten Vakzine induzieren Corona-Impfungen mit einem bivalenten Impfstoff gegen die Ursprungsvariante von SARS-CoV-2 und die Omikron-Sublinie BA.5 eine etwa 2–6-fach höhere Antikörperantwort gegen BA.5. Überdies erhöhte der BA.5-adaptierte bivalente Booster im Vergleich zu Auffrischdosen mit dem ursprünglichen monovalenten Impfstoff die Antikörpertiter gegen XBB und XBB.1 [6–7].

Bivalente Booster weiterhin empfohlen

Forschende der Rockefeller University, New York, zeigten, dass die B-Zellantwort durch eine Impfung – und weniger durch eine SARS-CoV-2-Infektion – verbreitert wird [8]. Das sei zunächst günstig und würde eher gegen Immune Imprinting sprechen, sagt Dr. Jörg Timm, Leiter des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, gegenüber dem „Ärzteblatt“ [9]. Allerdings scheint das aber nur bis zum dritten Antigen-Kontakt zu gelten, danach war der Effekt nach einer Omikron-Infektion in einer Folgestudie nicht mehr so deutlich [10].

Timm würde dennoch der STIKO-Empfehlung folgen und für den Fall einer notwendigen Auffrischimpfung den angepassten Impfstoff verwenden. Aktuell gäbe es keine Daten, die diesbezüglich einen Nachteil erkennen lassen würden [9].

Autor:
Stand:
06.02.2023
Quelle:
  1. Arevalo, C. P. et al. (2020): Original antigenic sin priming of influenza virus hemagglutinin stalk antibodies. Proceedings of the National Academy of Sciences, DOI: 10.1073/pnas.1920321117.
  2. Hoehl, S., Ciesek, S. (2023): Recalling ancestral SARS-CoV-2 variants: is it an original sin with benefits? The Lancet Infectious Diseases, DOI: 10.1016/S1473-3099(23)00007-5.
  3. Davis-Gardner, M. E. et al. (2022): Neutralization against BA.2.75.2, BQ.1.1, and XBB from mRNA Bivalent Booster. New England Journal of Medicine, DOI: 10.1056/NEJMc2214293.

  4. Wang, Q. et al. (2023): Antibody Response to Omicron BA.4–BA.5 Bivalent Booster. New England Journal of Medicine, DOI: 10.1056/NEJMc2213907.

  5. Collier, A.-R. Y. et al. (2023): Immunogenicity of BA.5 Bivalent mRNA Vaccine Boosters. New England Journal of Medicine, DOI: 10.1056/NEJMc2213948.

  6. Kurhade, C. et al. (2022): Low neutralization of SARS-CoV-2 Omicron BA.2.75.2, BQ.1.1 and XBB.1 by parental mRNA vaccine or a BA.5 bivalent booster. Nature Medizin, DOI: 10.1038/s41591-022-02162-x.

  7. Chalkias, S. et al. (2022): Safety and Immunogenicity of an Omicron BA.4/BA.5 Bivalent Vaccine against Covid-19. medRxiv, DOI: 10.1101/2022.12.11.22283166.

  8. Muecksch, F. et al. (2022): Increased memory B cell potency and breadth after a SARS-CoV-2 mRNA boost. Nature, DOI: 10.1038/s41586-022-04778-y.

  9. Ärzteblatt, Artikel, 02. Februar 2023.

  10. Wang, Z. et al. (2022): Memory B cell responses to Omicron subvariants after SARS-CoV-2 mRNA breakthrough infection in humans. Journal of Experimental Medicine, DOI: 10.1084/jem.20221006.

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