Virusreservoire von SARS-CoV-2 in extrapulmonalen Organen gefunden

Bei Personen mit einer SARS-CoV-2-Infektion kann das Coronavirus in extrapulmonalen Organen persistieren, insbesondere im Herz und in den Hoden. Diese Virusreservoire könnten ein Entstehungsort für neue, bedenkliche Virusmutationen darstellen.

Corona NK-Zellen

Eine SARS-CoV-2-Infektion kann unterschiedliche Organsysteme befallen. Das geschieht meist im Rahmen einer systemischen Entzündung oder Hypoxie. Darüber hinaus kann das Coronavirus direkt in verschiedene Organe eindringen und eine extrapulmonale Infektion verursachen. Dies ist bereits von anderen Virusinfektionen bekannt. So stellen vor allem die Hoden ein eigenständiges Reservoir für Erreger dar, beispielsweise für das Immundefizienz-Virus (HIV), Flaviviren wie das Zika-Virus und Filoviren wie das Ebola-Virus.

Über die Verteilung und Zirkulationsdynamik von SARS-CoV-2 wurde bislang nur wenig geschrieben. Eine Auswertung genomischer Daten aus Gewebeproben von Personen, die an Covid-19 gestorben waren, ergab neue Erkenntnisse. Bei allen untersuchten ProbandInnen fand sich virale RNA in unterschiedlichen extrapulmonalen Geweben. Die Studienergebnisse wurden im Fachmagazin „Nature Communications“ publiziert [1].

120 Gewebeproben ausgewertet

Forschende um Dr. Erica Normandin vom Broad Institute of MIT and Harvard, einem genomischen Forschungszentrum in Cambridge, Massachusetts, entwickelten experimentelle und computergestützte Arbeitsabläufe für eine hochauflösende SARS-CoV-2-Sequenzierung und feinauflösende Genomnalyse von formalinfixierten, in Paraffin eingebetteten Gewebeproben. Für ihre Studie analysierten sie 120 Proben von sechs Personen (zwei Frauen, vier Männer) mit einem tödlichen Covid-19-Verlauf.

Hohe Viruslasten in mehreren extrapulmonalen Geweben

Die Forschenden konnten bei allen Verstorbenen relativ hohe Viruslasten in mehreren extrapulmonalen Geweben nachweisen. Die meisten der 180 identifizierten viralen Varianten waren einzigartig für die einzelnen Gewebeproben.

ProbandInnen mit einem längeren Covid-19-Krankheitsverlauf hatten im Allgemeinen niedrigere Viruslasten. Diese Befunde lassen die Möglichkeit zu, dass SARS-CoV-2 mit fortschreitender Infektion in einen langsameren Replikationszustand übergeht.

Hochfrequenzvarianten und Zellkompartimentierung

Bei einem Probanden, der bereits einen Tag nach Symptombeginn verstarb, fanden die Forschenden in keinem der fünf extrapulmonalen Gewebe gewebespezifische Hochfrequenzvarianten. Aufgrund des kurzen Krankheitsverlaufs fehlte vermutlich die Zeit, um eine Zellkompartimentierung zu etablieren, so die Annahme des Autorenteams.

Anders verhielt es sich bei längerer Krankheitsdauer. Mit zunehmender Zeitspanne zwischen Symptombeginn und Tod fanden die Forschenden mehr Anzeichen für eine Kompartimentierung. So wies ein Proband, bei dem vom Symptombeginn bis zum Tod neun Tage vergingen, zehn gewebespezifische Hochfrequenzvarianten in extrapulmonalen Geweben auf. Dies deute stark auf eine Kompartimentierung hin, schlussfolgern die WissenschaftlerInnen.

Direkte SARS-CoV-2-Infektion führt zu organspezifischen Folgen

Die bei diesem Patienten im Herzgewebe gefundene kompartimentierte Infektion stand im Einklang mit einer sehr hohen Viruslast und starken histopathologischen Hinweisen auf eine Kardiomyozyten-Infektion. Das deckt sich mit den Ergebnissen früherer Berichte über Coronaviren im Herzen und stärkt die Hypothese, dass eine direkte SARS-CoV-2-Infektion organspezifische Folgen haben kann, so die Forschenden.

Kompartimentierung in den Hoden als Quelle neuer Virusvarianten

Weiterhin fanden sich Anzeichen einer Kompartimentierung in den Hoden, welche zu den immunprivilegierten Organen zählen. Es ist bereits bekannt, dass Hoden kompartimentierte Infektionen mit verschiedenen Krankheitserregern beherbergen können, inklusive Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit und sexuelle Übertragung.

Ein SARS-CoV-2-Virusreservoir im Hoden könnte neben einer anhaltenden gewebespezifischen Pathologie und/oder einer eventuellen Reaktivierung persistente Infektionen begünstigen. Dies böte insbesondere bei Immunsuppression ein Umfeld für neue Mutationen, so die Forschenden. Eine anhaltende virale Evolution innerhalb des infizierten Wirts wird schon länger als potenzielle Quelle für die Entstehung neuer, bedenklicher Virusvarianten vermutet.

Fazit

Die Studienergebnisse zeigen den Befall unterschiedlicher extrapulmonaler Organe bei den untersuchten ProbandInnen. Verallgemeinernde Aussagen über die Dynamik von SARS-CoV-2 bei allen Patienten mit Covid-19 lässt die Arbeit jedoch nicht zu. Das müsste in größeren Studien untersucht werden.

Autor:
Stand:
21.02.2023
Quelle:

Normandin, E. et al. (2023): High-depth sequencing characterization of viral dynamics across tissues in fatal COVID-19 reveals compartmentalized infection. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-022-34256-y.

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