ESMO 2022: Alternative für geschwächte Lungenkrebspatienten

40–50% der NSCLC betroffenen Menschen befindet sich in einem schlechten Allgemeinzustand oder ist so alt oder multimorbide, dass eine Therapie mit einer Platindublette mit oder ohne Immuntherapie nicht infrage kommt. Die IPSOS-Studie eröffnet neue Chancen.

Alter Multimorbidität

Nicht kleinzellige Lungenkrebs (engl. non small cell lung cancer, NSCLC)-Patienten mit einem ECOG Performance-Status (PS) ≥2, einem hohen Lebensalter und/oder mehreren relevanten Komorbiditäten haben eine schlechte Prognose und die Fortschritte durch zielgerichtete Therapien und Immuntherapie ging an ihnen vorbei. Die weltweit durchgeführte Phase-III-Studie IPSOS schloss genau diese Patientinnen und Patienten ein, berichtete Professor Dr. Siow Ming Lee vom University College London Hospital (UCLH) anlässlich des ESMO Congress 2022 [1].

Patientenkohorte wie aus dem Alltag

Die Studienteilnehmerinnen und –teilnehmer litten an einem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC ohne eine EGFR- oder ALK-Treibermutation und kamen für eine Erstlinientherapie mit einer Platindublette aufgrund ihres PS, ihrer Multimorbidität oder eines Alters von über 70 Jahren nicht infrage. Tatsächlich wiesen fast neun von zehn einen PS ≥2 auf und etwa ein Drittel war über 80 Jahre alt. Eine Expression des Immuntherapie-Biomarkers PD-L1 (für engl. Programmed Death Ligand 1) war bei knapp der Hälft der Patientinnen und Patienten nachweisbar.

Atezolizumab tritt gegen Chemotherapie an

Im Verhältnis 2:1 randomisiert erfolgte die Erstlinientherapie entweder mit Atezolizumab (1.200 mg i.v. alle drei Wochen) oder einer Monochemotherapie mit Vinorelbin oder Gemcitabin in drei- oder vierwöchigen Zyklen. Die Wahl der Chemotherapie und die Dosierung oblag dem jeweiligen Prüfarzt. Der primäre Endpunkt der Studie, das Gesamtüberleben (engl. overall survival, OS), zeigte eine signifikante Überlegenheit der Immuntherapie.

24,3% überleben zwei Jahre

Nach einer medianen Beobachtungsdauer von 41,0 Monaten war das OS im Immuntherapie-Arm der Studie um 22% gegenüber der Chemotherapie-Gruppe verbessert (Hazard Ratio [HR] 0,78; 95% Konfidenzintervall [KI] 0,63–0,97; p=0,028). Das mediane OS betrug mit Atezolizumab 10,3 Monate, mit Chemotherapie 9,2 Monate. Nach zwei Jahren lebte in der Immuntherapie-Gruppe noch etwa jeder Vierte, betonte Lee, in der Chemotherapie-Gruppe die Hälfte (2-Jahres-OS-Rate 24,3% vs. 12,4%).

Das OS in der Atezolizumab-Gruppe kann es mit dem Ergebnis einer Platindublette bei jüngeren und fitteren Menschen aufnehmen, meinte er. Das progressionsfreie Überleben ergab dagegen keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.

Immuntherapie mehrheitlich gut durchführbar

Obwohl die mediane Therapiedauer in der Atezolizumab-Gruppe länger war als in der Chemotherapie-Gruppe, war die Toxizität geringer. Ein behandlungsassoziiertes unerwünschtes Ereignis (UE) eines Grads 3 oder 4 wurde im Atezolizumab-Arm bei 16,3% und im Chemotherapie-Arm bei 33,3% der Patientinnen und Patienten berichtet.

Die Rate schwerer, auf die Behandlung zurückgeführter UE lag in den beiden Gruppen bei 11,7% und 15,6%. In beiden Gruppen brachen ähnlich viele Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer die Medikation ab (13,0 vs. 13,6%), die Notwendigkeit einer Dosisreduktion oder Unterbrechung war in der Immuntherapie-Gruppe aber geringer (32,0% vs. 48,3% in der Chemotherapie-Gruppe). Ein immunmediiertes UE des Grads 3 oder 4 entwickelten im Atezolizumab-Arm 6,7%, im Chemotherapie-Arm 2,0%.

Die häufigsten immunabhängigen UE jeden Grads waren in der Atezolizumab-Gruppe Hautausschläge [15,0% (Chemotherapie: 7,5%), Leberwerterhöhungen/Hepatitis (10,7% vs. 6,1%) und Hypothyreoidismus (9,0% vs. 0,7%)]. Damit wurden bei den älteren und/oder multimorbiden Patientinnen und Patienten nicht mehr immunassoziierte UE beobachtete als in andern Studien bei jüngeren und fitteren, betonte Lee.

Lebensqualität weniger beeinträchtigt

Die Funktionsskalen zur Lebensqualität nach dem Instrument EORTC QLQ-C30 belegten einen Vorteil für die Immuntherapie über 48 Wochen hinweg. Die Symptome Husten, Brustschmerz und Appetitverlust besserten sich mit Atezolizumab deutlicher als mit Chemotherapie. Die Zeit bis zur definitiven Verschlechterung des Brustschmerzes wurde durch die Immuntherapie im Vergleich zur Chemotherapie signifikant verlängert.

Atezolizumab-Erstlinientherapie im Alter und bei Multimorbidität klinisch hochrelevant

Alter sollte kein Ausschlusskriterium für das Erwägen einer Immuntherapie sein, schloss Kommentatorin Prof. Dr. Natasha B. Leighl vom Princess Margaret Cancer Center in Toronto. Zudem zeigt die IPSOS-Studie, dass auch Patientinnen und Patienten mit einem PS2 in Studien eingeschlossen werden können.

Auf der ESMO-Skala für klinischen Benefit erreicht die Erstlinientherapie mit Atezolizumab für alte oder multimorbide Menschen mit fortgeschrittenem NSCLC nach dieser Studie ihrer Einschätzung nach den höchsten Grad 5.

Die Studie ist auf ClinicalTrials.gov unter der Nummer NCT03191786 registriert. Sie wurde von Hoffmann-La Roche finanziert.

Autor:
Stand:
16.09.2022
Quelle:

Prof. Dr. Siow Ming Lee: „IPSOS: Results from a phase III study of first-line (1L) atezolizumab (atezo) vs single-agent chemotherapy (chemo) in patients (pts) with NSCLC not eligible for a platinumcontaining regimen“, ESMO Congress 2022, Abstract LBA11, Paris, 12. September 2022. Annals of Oncology. DOI: 10.1016/j.annonc.2022.08.052

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