
Auch wenn sich in den letzten Jahren das Tabu abgebaut hat: Niemand spricht gern darüber, dass man seinen Urin nicht halten kann. Dabei sind viele Frauen davon betroffen. Derzeit wird geschätzt, dass jede dritte Frau unter Inkontinenzbeschwerden leidet. Wobei die Inzidenz altersabhängig ist: Laut Leitlinie liegt die Inzidenz bei 41- 60-Jährigen bei 11,3 Prozent und steigt bei den über 60-Jährigen auf 27,1 Prozent. Allerdings müsse man hier mit einer großen Dunkelziffer rechnen, so die Autoren der neuen Leitlinie.
Drang- und Belastungsinkontinenz in einer Leitlinie
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) die erste S2k-Leitlinie zur Diagnose und Behandlung von Frauen mit Harninkontinenz veröffentlicht. Das 262 Seiten starke Werk wurde unter Mitarbeit von 32 Autoren aus elf Fachgesellschaften erstellt. Darin werden erstmals die wesentlichen Formen der Harninkontinenz, Belastungsinkontinenz und überaktive Blase/Dranginkontinenz in einer Leitlinie zusammengefasst, für die es bislang zwei getrennten Leitlinien gab.
Anamnese: das A und O der Diagnostik
In der neuen Leitlinie wird ausführlich auf die Diagnostik eingegangen. Dabei betonen die Autoren die Bedeutung einer gezielten und ausführlichen Anamnese. Dadurch sei in bis zu 80 Prozent eine Kategorisierung in Belastungs-, Drang- oder Mischharninkontinenz möglich. Wenig evident, aber ebenfalls sehr wichtig, ist laut Leitlinie die klinische Inspektion mit abdomineller Palpation, vaginaler und rektaler sowie urogynäkologischer Untersuchung.
Begleiterkrankungen im Blick
Im Kapitel zu den Behandlungsoptionen legen die Autoren besonderen Wert auf die konservative Therapie. Hier sollten zunächst darauf geachtet werden, dass die anamnestisch erfragten Begleiterkrankungen wie Herzinsuffizienz, Diabetes oder Depressionen suffizient behandelt werden. Dies wirke sich oft positiv auf die Inkontinenzbeschwerden aus.
Weniger Kaffee, weniger Harndrang
Ebenso sollte übergewichtigen Patientinnen die Gewichtsreduktion ans Herz gelegt werden, da Übergewicht ein Risikofaktor für Harninkontinenz sei. Eine weiter Empfehlung ist die Reduktion des Kaffeekonsums. Weniger Kaffee könnte die Miktionsfrequenz und den imperativen Harndrang bessern.
Als weitere Empfehlung in Sachen konservative Therapie gehören generell ein gesunder Lebensstil – und das Angebot zum Beckenbodentraining. Mit einem mindestens dreimonatigen Training könne die Beckenbodenkraft deutlich gesteigert und damit die Inkontinenz gebessert werden, so die Leitlinie.