
Für valide und zuverlässige Schätzungen des Schutzniveaus vor einer SARS-CoV-2-Infektion und einem schweren Covid-19-Verlauf für die deutsche Bevölkerung im Sommer 2022 fehlte es an systematisch erhobenen bevölkerungsbasierten Daten. Dies sollte die IMMUNEBRIDGE-Studie ändern. In dem vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Projekt wurden neun Kohorten- und Querschnittsstudien (NAKO, MuSPAD, STAAB, ELISA, paedSAXCOVID, Wü-KITa-CoV, CorKID und GUIDE) sowie eine neu aufgesetzte Bevölkerungsstichprobe (Panel) ausgewertet.
Die Arbeit umfasst Daten von 33.637 in Deutschland lebenden Bundesbürgern aus dem Zeitraum 2020 bis Ende 2022, dem letzten Auswertungszeitpunkt [1,2].
Was wurde untersucht?
Forschende des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) wollten möglichst rasch repräsentative Daten zum Immunisierungsgrad der hierzulande lebenden Bevölkerung erheben. Dafür ermittelten sie den Anteil der Menschen, die gegen SARS-CoV-2 grundimmunisiert sind – entweder durch Impfung oder Viruskontakt.
Neben den Ergebnissen aus den bevölkerungs- bzw. krankenhausbasierten Studien untersuchten die Forschenden Blutproben von 16.500 Freiwilligen auf Antikörper gegen das Coronavirus. Zusätzlich wurden Fragen zum Gesundheits-, Impf- und Genesenenstatus sowie zu soziodemografischen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung und geografischer Herkunft gestellt.
Überwiegende Mehrheit hat SARS-CoV-2-Antikörper
Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland bereits Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickelt hat. Der geschätzte Anteil liegt bei 94,8%. Je mehr Menschen drei oder mehr bestätigte Expositionen (Infektionen/Impfung) hatten, desto häufiger wurden Anti-Spike-Antikörper nachgewiesen.
Hoher Schutz vor schwerem Covid-19, geringer Schutz vor Ansteckung
In den meisten Altersgruppen besteht ein moderater bis hoher Schutz gegen einen schweren Covid-19-Verlauf durch die aktuell dominierende Omikron-Variante BA.5. Hingegen sei nur ein geringer Schutz gegen Infektionen bzw. einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu verzeichnen.
Kinder seltener geimpft als Erwachsene
Bei Erwachsenen ab 18 Jahre wurden häufiger Anti-Spike-Antikörper nachgewiesen (97–99,1% bei den über 80-Jährigen) als bei Kindern und Jugendlichen (80,4%). Diese werden sowohl nach einer durchgemachten Infektion als auch nach einer Impfung gebildet.
Anti-Nukleokapsid-Antikörper gehen vornehmlich auf eine durchgemachte Infektion zurück. Diese sind vor allem bei den unter 18-Jährigen (68%) zu finden und werden mit zunehmendem Alter immer seltener (28,3% über 80 Jahre). Das sei damit zu erklären, dass Kinder seltener gegen Covid-19 geimpft waren – ganze 62% hatten zum Zeitpunkt der Auswertung noch keine Coronaimpfung erhalten, so das Autorenteam.
Große regionale Unterschiede
Insgesamt berichteten die Forschenden von relevanten Immunschutz-Lücken, unter anderem bei Menschen mit Vorerkrankungen, aber auch in verschiedenen Regionen Deutschlands. Beispielsweise hatte in Chemnitz und Dresden gut jede vierte Person Ende 2022 weniger als drei immunologische SARS-CoV-2-Expositionen, in Schleswig-Holstein lag dieser Anteil bei nur 4%.
Immunschutz-Lücken könnten Gesundheitssystem belasten
Diese Lücken könnten das Gesundheitssystem bei weiteren Infektionswellen nochmal belasten. „Sollte sich eine neue SARS-CoV-2-Variante durchsetzen, die ansteckender ist und/oder schwerere Krankheitsverläufe verursacht, müssten die Länder gegebenenfalls auf zusätzliche Schutzmaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) zurückgreifen“, schreibt das BMBF [2].