
Bei Herz-Kreislauf-Krankheiten zielen die üblichen Präventionsstrategien auf die modifizierbaren kardiovaskulären Standard-Risikofaktoren (standard modifiable cardiovascular risk factors [SMuRFs]) ab. Hierzu zählen Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie und Rauchen. Eine gute Kontrolle dieser Risikofaktoren kann das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen, wie beispielsweise von Myokardinfarkten, nachweislich verringern. Aber Tatsache ist auch, dass auch Personen ohne die bekannten Standard-Risikofaktoren einen Herzinfarkt erleiden können.
Keine Risikofaktoren – bessere Chancen?
Der spezifische Verlauf und Ausgang von Herzinfarkten bei Patienten ohne Standardrisikofaktoren sind bislang kaum bekannt. Intuitiv würde man davon ausgehen, dass die Prognose dieser Patienten besser ist als bei SMuRF-Patienten, zumal die Sekundärprophylaxe bei Herz-Kreislauf-Patienten auch in der Vermeidung oder Behandlung von modifizierbaren Risiken besteht. Doch Wissenschaftler um Prof. Gemma Figtree von der Universität Sydney haben bei einer retrospektiven Analyse von Daten des SWEDEHEART-Registers entdeckt, dass das Sterberisiko 30 Tage nach dem Ereignis für Patienten ohne Risikofaktoren signifikant höher war als für Patienten mit mindestens einem Risikofaktor. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Wissenschaftler in »The Lancet« veröffentlicht [2].
Zielsetzung
Die Studie sollte zeigen, welche Unterschiede zwischen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Patienten ohne (bekannte) Risiken beim Ausgang eines Herzinfarktes bestehen.
Methoden
Die Forscher werteten Datensätze des SWEDEHEART-Registers aus. In die Analyse wurden die Daten von Patienten einbezogen, die zwischen dem 1. Januar 2005 und dem 25. Mai 2018 erstmals einen ST-Hebungsinfarkt (ST-elevation myocardial infarction [STEMI]) erlitten hatten. Ausgeschlossen wurden die Datensätze von Patienten mit zuvor bekannter koronarer Herzkrankheit. Untersucht wurden die Charakteristika und der klinische Ausgang des Infarkts bei Patienten mit und ohne SMuRFs. Zusätzlich zur Gesamtauswertung wurde auch eine geschlechtsspezifische Analyse durchgeführt.
Endpunkte
Als primärer Endpunkt wurde die Gesamtsterblichkeit 30 Tage nach der Vorstellung in der Klinik aufgrund eines STEMIs festgelegt. Die sekundären Endpunkte umfassten die kardiovaskuläre Mortalität, Herzinsuffizienz und erneuten Myokardinfarkt 30 Tage nach dem Erstereignis. Diese Endpunkte wurden auch bis zur Entlassung aus der Klinik und bis 12 Jahre später erfasst.
Ergebnisse
Insgesamt wurden die Datensätze von 62.048 Herzinfarkt-Patienten analysiert. Davon wiesen 9.228 Patienten (14,9%) keine bekannten Risikofaktoren auf. Das mediane Alter war bei Patienten mit (68 Jahre) und ohne SMuRFs (69 Jahre) vergleichbar. Die Rate perkutaner Koronarinterventionen war in beiden Patientengruppen ähnlich hoch. Die Patienten ohne Risikofaktoren erhielten jedoch signifikant seltener Medikamente wie Statine, ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) oder Betablocker bei der Entlassung aus der Klinik.
Gesamtsterblichkeit nach 30 Tagen
Die Gesamtsterblichkeit 30 Tage nach der Vorstellung in der Klinik war bei den Patienten ohne SMuRFs signifikant höher als bei den Risikopatienten (Hazard Ratio [HR] 1,47; 95%-Konfidenzintervall [CI] 1,37-1,57; p<0,0001). Ein besonders hohes Sterberisiko hatten mit 17,6% Frauen ohne klassische Risikofaktoren gefolgt von Frauen mit SMuRFs (11,1%). Auch Männer ohne Risikofaktoren starben häufiger (9,6%) als männliche Risikopatienten (6,1%). Das erhöhte 30-Tage-Sterberisiko in der Patientengruppe ohne SMuRFs bestand auch, wenn man die Daten um Alter, Geschlecht, linksventrikuläre Ejektionsfraktion, Kreatinin und Blutdruck bereinigte. Einzig die Verschreibung von entsprechenden Pharmatherapeutika bei der Entlassung konnte die Todesrate senken.
Sekundäre Endpunkte
Zusätzlich war auch die Mortalität im Krankenhaus bei den Patienten ohne SMuRFs gegenüber den Patienten in der Risikogruppe signifikant erhöht (9,6% vs. 6,5%; p<0,0001). Allerdings hatten die Patienten ohne Risikofaktoren seltener Folgeinfarkte und Herzinsuffizienz. Die Gesamtsterblichkeit in der Gruppe ohne SMuRFs blieb bei den Männern über acht Jahre und bei den Frauen über 12 Jahre gegenüber der Risikogruppe erhöht.
Fazit
Menschen, die einen STEMI erlitten, aber keine modifizierbaren kardiovaskulären Standard-Risikofaktoren (SMuRFs) aufwiesen, hatten gegenüber Patienten mit SMuRFs ein signifikant erhöhtes Sterberisiko in den 30 Tagen nach dem Infarkt. Besonders ausgeprägt zeigte sich dieser Unterschied bei Frauen ohne SMuRFs. Eine leitliniengerechte pharmakologische Behandlung aller Patienten, unabhängig vom wahrgenommenen Risikostatus der Patienten, konnte die Sterberate der Patienten ohne SMuRFs verringern.