Eine Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis) ist häufig die Folge von Blasenentzündungen. Sie ist mit starken Schmerzen und Fieber verbunden und kommt bei Mädchen und Frauen weitaus häufiger vor als bei Männern.
Die Nierenbeckenentzündung ist eine entzündliche Erkrankung der Niere. Im Fachjargon wird sie Pyelonephritis genannt. Ausgelöst wird sie meist durch aus den Harnwegen aufsteigende Bakterien. Betroffen sein können das Nierenbecken, das Interstitium und das Nierenparenchym. Sie unterscheidet sich symptomatisch von einem Harnwegsinfekt durch zusätzlichen Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und Fieber. Eine Nierenbeckenentzündung kann einseitig oder beidseitig auftreten.
Man differenziert zwischen akuten unkomplizierten und komplizierten Nierenbeckenentzündungen sowie chronischen Nierenbeckenentzündungen. Die akute unkomplizierte Nierenbeckenentzündung unterscheidet sich von der komplizierten durch beispielsweise eine strukturelle oder funktionelle Abnormalität des Harntraktes, durch eine bereits vorangegangene Schädigung des Harntraktes, der Gesamtkonstitution der Patienten oder andere den Verlauf der Erkrankung ungünstig beeinflussende Faktoren. Die Definition der chronischen Nierenbeckenentzündung ist kontrovers. Meist wird sie für die chronische atrophische Nierenbeckenentzündung verwendet, bei der die Niere geschädigt worden ist und dadurch das Nierenparenchym verringert ist, die Niere geschrumpft oder vernarbt ist mit deformierten, verplumpten Nierenkelchen. Von bereits vor der Erkrankung bestehenden oder angeborenen Veränderungen lassen sich diese nicht unterscheiden.
Epidemiologie
Nierenbeckenentzündungen zählen zu den häufigsten Nierenerkrankungen. Schätzungsweise 10 bis 20% der Bevölkerung erkranken mindestens ein Mal in ihrem Leben daran. Frauen sind je nach Quelle zwei bis drei Mal oder sogar bis zu 100-mal so häufig betroffen wie Männer. Im Jahr 2012 betrugt die Prävalenz für akute Nierenbeckenentzündungen 0,16%. Bei 5 bis 55% der Patienten mit einem Harnwegsinfekt ist zusätzlich die Niere beteiligt. 2-5% dieser Patienten haben eine klinische Nierenbeckenentzündung und 60% dieser Patienten müssen stationär behandelt werden.
Ursachen
Die meisten Nierenbeckenentzündungen werden ausgelöst durch gramnegative Stäbchen, die Enterobacteriaceae. Der Haupterreger ist Escherichia colia, kurz E. coli, mit ca. 70% der Nierenbeckenentzündungen. Seltener sind Proteus mirabilis, Klebsiellen, Enterokokken, Pseudomonas aeruginosa, Staphylokokken, besonders Staphylococcus saprophyticus, oder andere Erreger verantwortlich für die Erkrankung. Der Hauptinfektionsweg ist über die Blase. Von dort steigen sie entlang des Harnleiters über das Nierenbeckenkelchsystem (NKBS) auf in die Nieren. Sehr selten gelangen die Bakterien über das Blut- oder Lymphgefäßsystem in das Nierenbecken.
Pathogenese
Den meisten Nierenbeckenentzündungen geht ein unkomplizierter Harnwegsinfekt in Form einer Blasenentzündung voraus. Keime beispielsweise aus dem Stuhl gelangen in die Harnröhre und können von da in die Blase aufsteigen. Dies ist aufgrund spezieller Haftfaktoren möglich, die bestimmte Bakterienstämme ausbilden können. Sie ermöglichen es ihnen, die natürliche Abwehr im Urothel und die natürliche negative Oberflächenspannung zu überwinden. Aufgrund der kurzen Länge der weiblichen Harnröhre gelingt dies Bakterien bei Frauen leichter als bei Männern. Dadurch lassen sich die höheren Erkrankungszahlen bei Frauen erklären. Das bakterielle Reservoir sind in diesem Fall das Rektum und das Perineum. Gefördert wird das Infektionsrisiko durch mangelnde Flüssigkeitszufuhr und zu wenig Urinproduktion.
In der Harnblase vermehren sich die Erreger und verursachen am Harnleiter eine Paralyse. Der Harnleiter dilatiert und die Erreger können weiter aufsteigen bis ins Nierenbecken. Das Nierenbecken dilatiert ebenfalls in Folge des Erregerbefalls. Zusätzlich flachen die Nierenpapillen ab. Dadurch kann infizierter Urin zurückfließen und Bakterien an die Nierentubuli binden, wo sie das Parenchym ebenfalls befallen.
Blasenkatheter und Nephrostomie-Drainage sind zusätzliche Risikofaktoren für Blasen- und Nierenbeckenentzündungen. Sie erleichtern Bakterien den Aufstieg in die Blase und von dort weiter in die Nieren. Häufige Erreger bei nosokomialen, also im Krankenhaus erworbenen Infektionen sind Pseudomonas aeruginosa und Staphylococcus epidermis. Auch angeborene oder erworbene Anomalien der Harnwege können Nierenbeckenentzündungen begünstigen. Dazu zählen beispielsweise Megaureter und zystouretraler Reflux, Hydronephrosen, Prostataerkrankungen und Divertikel sowie Druck ausübende Tumoren.
In seltenen Fällen können Nierenbeckenentzündungen auch durch bakterielle Infizierung aus dem Blut oder der Lymphe entstehen. Meist steigt die Infektion dann vom Nierenbecken in die Blase ab.
Symptome
Eine Nierenbeckenentzündung geht unter anderem mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Druckgefühl, Übelkeit, Erbrechen, ausgeprägtem Krankheitsgefühl und Kreislaufbeschwerden einher. Ein Leitsymptom ist der Klopfschmerz in der Flanke – Patienten reagieren hier meist bereits bei leichterem Druck mit starkem Schmerzempfinden. Dieser Klopfschmerz differenziert die Nierenbeckenentzündung bereits von einer Grippeinfektion.
Auch häufiger und nächtlicher Harndrang oder Harnverhalt sowie Schmerzen beim Wasserlassen können auftreten. Inkontinenz und Makrohämaturie (Blut im Urin) zählen ebenfalls zu den Symptomen einer Nierenbeckenentzündung. Der Urin ist meist trüb und riecht auffällig.
Manche Patienten berichten zusätzlich über Durchfall und diffuse abdominelle Schmerzen. In seltenen Fällen können auch Symptome eines beginnenden Nierenversagens oder eines septischen Schocks hinzukommen.
Bei der chronischen Nierenbeckenentzündung können zusätzlich folgende Symptome vorhanden sein: wiederkehrende Harnwegsinfekte in der Vergangenheit, akute Niereninsuffizienz, Bluthochdruck mit Sehstörungen, Kopfschmerzen, Müdigkeit und gesteigertes Durstempfinden (Polydipsie).
Diagnostik
Zu Beginn der Diagnostik steht die Anamnese. Hierbei wird besonders nach Symptomen gefragt, die das Wasserlassen betreffen wie gesteigerter Harndrang und Wasserlassen, Schmerzen beim Wasserlassen, untypische Urinfarbe und -geruch, Blut im Urin (Hämaturie), etc. Auch nach vorangegangenen Harnwegsinfekten sollte gefragt werden. Bei Frauen ist zusätzlich abzufragen, ob vaginale Schmerzen, Juckreiz oder Ausfluss bestehen.
In der körperlichen Untersuchung wird auf Klopfschmerz in den Flanken untersucht sowie der Bauch abgetastet. Bei kleinen Kindern sollte zusätzlich der Windelgeruch überprüft und die Schleimhäute begutachtet werden, um ein Austrocknen zu verhindern.
Labor
Um die Diagnose zu sichern und andere Differenzialdiagnosen auszuschließen, werden sowohl Urin- als auch Blutproben untersucht.
Für die Urinprobe wird Mittelstrahlurin verwendet. Die Harnröhrenmündung muss vorher gereinigt werden, um zu verhindern, dass die Testergebnisse verfälscht werden. In ambulanten Arztpraxen kann zunächst eine Teststreifenuntersuchung vor Ort gemacht werden, die Auskunft über den pH-Wert, Proteingehalt (Proteinurie), Glukosegehalt (Glukosurie), gegebenenfalls Blut im Urin (Hämaturie), Ketonkörper, Urobilinogen, Bilirubin, Leukozyten, Erythrozyten und Nitrit im Urin gibt. Eine Sedimentuntersuchung im Labor kann bei unklarem Befund die Diagnose erhärten. Heilt ein ambulant behandelter Infekt nicht innerhalb von einer Woche aus, sollte zwingend eine mikrobiologische Labordiagnostik, einschließlich Kultur, erfolgen. Meist empfiehlt sich diese Diagnostik jedoch schon früher, wenn der begründete Verdacht einer Nierenbeckenentzündung besteht, da die Teststreifenuntersuchungen in ihrer Genauigkeit variieren. Werden mehr als 105 keimbildende Kolonien pro Milliliter gefunden, gilt ein Harnwegsinfekt als gesichert. Bei Nierenbeckenentzündungen sind diese Werte meist deutlich höher.
Blutproben werden auf allgemeine Infektionszeichen untersucht, auf Elektrolytentgleisungen– vor allem vermehrter Verlust von Wasser und Natrium – und erhöhte Retentionswerte sowie schlechter werdende Nierenwerte getestet.
Bildgebung
Die Sonographie ist die primäre Bildgebung. Sie ist kostengünstig, schnell verfügbar und kommt ohne Strahlenbelastung aus. Dank Sonographie können anatomische Anomalien abgeklärt werden, der Restharn bestimmt und bereits entstehende Nierenschädigungen entdeckt werden. Besonderer Fokus liegt unter anderem auf Abszessen, renalen Obstruktionen, erhöhter Pyelonwandstärke und der Nierengröße.
Weiterführend können Ausscheidungsurogramme, Miktionszysturethrographie und Nierenfunktionsszintigraphie, CT oder MRT eingesetzt werden. Sie dienen vor allem als diagnostische Tools bei wiederkehrenden Infektionen und chronischer Nierenbeckenentzündung, oder bei dem begründeten Verdacht, dass sich die Nierenfunktion aufgrund der Infektion deutlich verschlechtert. Bei unklarer Diagnose können die Computertomographie oder die Kernspinntomographie schnelle Aufklärung bieten.
Therapie
Ist die Diagnose gesichert, sollte möglichst direkt mit einer Antibiotikatherapie begonnen werden, um zu verhindern, dass die Krankheit weiter fortschreiten kann oder die betroffene Niere irreparabel geschädigt wird. Das Antibiotikum wird oral verabreicht. Eine intravenöse Gabe sollte nur vorübergehend erfolgen, wenn aufgrund von Begleitsymptomen wie Übelkeit und Erbrechen das Antibiotikum nicht oral gegeben werden kann oder kein für das spezifische Erregerspektrum passendes orales Antibiotikum verfügbar ist.
Das Antibiotikum wird nach verschiedenen Gesichtspunkten ausgewählt:
individuelles Risiko des Patienten
Erregerspektrum und Antibiotikaempfindlichkeit
Effektivität der antimikrobiellen Substanz
Auswirkungen des Antibiotikaeinsatzes auf die Resistenzlage und Kollateralschäden
Bei der oralen Therapie werden Cephalosporine der Gruppe zwei oder drei, Fluorchinolone oder Kombinationen aus Aminopenicillin und β-Laktamase-Inhibitoren eingesetzt, beispielsweise Cefpodoxim, Ceftibuten, Ciprofloxacin, Levofloxacin. Die Therapiedauer liegt je nach Mittel zwischen sieben und zehn Tagen. Muss das Antibiotikum parenteral über die Vene gegeben werden, sollten Cephalosporine der Gruppe drei oder Fluorchinolone mit hoher renaler Ausscheidung gewählt werden, beispielsweise Cefotaxim, Ceftriaxon, Ciprofloxacin oder Levofloxacin.
Schwangere sollten vorrangig mit Cephalosporinen der Gruppe zwei und drei behandelt werden. Eine stationäre Therapie kann empfehlenswert sein.
Ein Sonderfall ist die chronische Nierenbeckenentzündung. Dort muss die Therapie auf den jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Ist die Nierenfunktion sehr schlecht, kann sogar eine Nephrektomie (operative Entnahme der Niere) notwendig werden.
Zusätzlich zur medikamentösen Therapie sollten die Patienten angehalten werden, ausreichend zu trinken. Ist der Harntrakt fehlgebildet, kann auch ein operativer Eingriff notwendig sein, um Verengungen oder ähnliches zu beheben und die Ursache für die Infektanfälligkeit oder die Nierenbeckenentzündung bekämpfen zu können.
Prognose
Die akuten Formen der unkomplizierten und komplizierten Nierenbeckenentzündung sind meist gut therapierbar. Unter Antibiose heilen sie in der Regel innerhalb von ein bis zwei Wochen aus. Wird die Therapie früh genug begonnen, sind Folgeschäden bei sonst gesunden Patienten selten. Bei etwa 10 bis 13% der Patienten kommt es nach 14-tägiger Therapie zu einem Rückfall. In dem Fall muss eine weitere 14-tägige Therapie angeschlossen werden.
Die chronische Nierenbeckenentzündung ist ein Sonderfall. Sie wird häufig nur zufällig entdeckt und kann bereits mit chronischen Nierenschäden oder einer Urosepsis einhergehen. In diesem Fall ist die Prognose abhängig vom Ausmaß des Schadens, wie weit die Sepsis bereits fortgeschritten ist und den Behandlungsoptionen. In Einzelfällen kann aufgrund einer schlechten Nierenfunktion eine operative Entfernung der betroffenen Niere notwendig werden.
Weitet sich eine Nierenbeckenentzündung aufgrund einer Obstruktion oder eines gleichzeitig bestehenden Diabetes zu einer emphysematösen Nierenbeckenentzündung aus, verschlechtert sich die Prognose deutlich. Die Letalität bei dieser seltenen und schwerwiegenden Komplikation beträgt etwa 43%
Prophylaxe
Viele Nierenbeckenentzündungen können durch Vorsorge-Maßnahmen vermieden werden. Dazu zählen eine ausreichende Trinkmenge von mindestens zwei Litern Flüssigkeit am Tag, im Idealfall Wasser. Wer Harndrang verspürt, sollte zeitnah eine Toilette aufsuchen und langes Einhalten vermeiden.
Außerdem sollte auf eine ausreichende Hygiene geachtet werden. Dazu zählt, dass Frauen nach dem Stuhlgang von der Scheide aus zum After reinigen sollten und auf eine übertriebene Genitalhygiene verzichten sollten. Auch Wasserlassen nach dem Geschlechtsverkehr verringert das Risiko für Harnwegsinfektionen. Männer sollten täglich die Vorhaut/Eichel bis zur Kranzfurche reinigen, um die Erregerzahl zu verringern. Nach dem Schwimmen sollte nasse Badekleidung direkt ausgezogen werden und Unterkühlung vermieden werden. Da besonders Diabetiker und Schwangere anfällig für Nierenbeckenentzündungen sind, sollten diese Gruppen besonders vorsichtig sein.
Nach einer durchmachten Infektion sollten Patienten zusätzlich regelmäßig zum Urologen gehen, um sich auf mögliche Folgeschäden untersuchen zu lassen. Besteht eine Abflussstörung im Harntrakt, sollte diese zeitnah behoben werden.
Hinweise
Eine Nierenbeckenentzündung kann in die Blutbahnen ausstreuen und dadurch eine Urosepsis verursachen. Sie sollte deshalb und zum Schutz der Niere immer behandelt werden.
Schwangere und Diabetiker haben ein höheres Risiko, an einer Nierenbeckenentzündung zu erkranken.
Techniker Krankenkasse: Dr. med. Sigrid Tapken, Dr. med. Dirk Nonhoff. Was ist eine Nierenbeckenentzündung [Online]. 07.03.2019 [aufgerufen am 29.09.2019].
Universitätsklinikum Heidelberg. Pyelonephritis [Online]. [aufgerufen am 29.09.2019].