Die Polymyalgia rheumatica ist eine entzündlich-rheumatische Autoimmunerkrankung und charakterisiert sich durch starke Schmerzen, sowie Versteifungen in Nacken-, Rücken-, Schulter- und Hüftmuskulatur. Sie ist eng mit der Riesenzellarteriitis assoziiert.
Bei einer Polymyalgia rheumatica (PMR) kommt es zu starken Schmerzen und Versteifungen in Nacken-, Rücken-, Schulter- und Hüftmuskulatur. Sie betrifft überwiegend ältere Menschen. Kennzeichnend ist der symmetrische Befall und der tageszeitliche Verlauf der Schmerzen. Die PMR ist eng mit der ebenfalls autoimmunvermittelten Riesenzellarteriitis (RZA) assoziiert, die beiden treten häufig zusammen auf. Die Ursache der Erkrankung ist noch unbekannt und die Diagnose kann meist erst nach Ausschluss klinisch ähnlicher Differentialdiagnosen gestellt werden.
Epidemiologie
PMR tritt fast ausschließlich bei Menschen über 50 Jahren auf, dabei sind Frauen 3-mal häufiger betroffen. Die Inzidenz reichte in Studien von 64 bis 96/100.000 Einwohner für Menschen über 50 Jahre und steigt mit dem Alter bis 80 Jahre an, um danach wieder abzufallen. In Deutschland lag die Inzidenz zwischen 2011 und 2019 bei 18,6/100.000.
Die Polymyalgia rheumatica ist die zweithäufigste rheumatische Autoimmunerkrankung nach rheumatoider Arthritis im höheren Lebensalter.
Ursachen
Die Ursachen der PMR sind nicht bekannt. Es ist handelt sich um eine Autoimmunerkrankung und es bestehen Hinweise auf einen Zusammenhang mit Synovitiden und Bursitiden.
Zudem wird aufgrund familiärer Häufung von einer genetischen Veranlagung ausgegangen. Polymorphismen des HLA-DRB1-Gens begünstigen die Erkrankung offenbar.
Pathogenese
Die Pathogenese der PMR ist noch nicht vollständig geklärt. Vermutlich tragen genetische Faktoren, Infektionen, Störungen des Immunsystems, des Gefäßsystems und der endokrinen Achsen zur Entstehung der Erkrankung bei. Möglicherweise handelt es sich um eine frühe subklinische Vaskulitis mit systemischer, artikulärer und periartikulärer Entzündungssymptomatik.
Patienten mit PMR haben eine verminderte Anzahl an zirkulierenden B-Lymphozyten, dies kann für den Anstieg von Interleukin-6 im Serum der Patienten mit PMR verantwortlich sein. Die Konzentration von Interleukin-6 korreliert mit der Krankheitsaktivität der PMR.
Symptome
Die Symptome der PMR treten meist plötzlich, teilweise aber auch schleichend auf.
Leitsymptom ist eine ausgeprägte symmetrische Steifheit der proximalen Extremitätenmuskulatur, v.a. im Bereich der Schultern, mit Muskelschmerzen. Im tageszeitlichen Verlauf beginnen die Schmerzen meist nachts und sind morgens am stärksten. Im Laufe des Tages und zum Abend hin bessern sie sich.
Durch starke Schmerzen sind Einschränkungen in der Mobilität möglich, sodass das morgendliche Aufstehen mühsam sein kann und/oder ein kleinschrittiger Gang zu beobachten ist.
Häufig leiden die Patienten zudem an erhöhten Temperaturen und Abgeschlagenheit, sowie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust.
Mit Krankheitsbeginn sind auch depressive Verstimmungen möglich, welche sich nur zum Teil psychoreaktiv erklären lassen. Häufig liegt ihnen vielmehr eine Arteriitis cranialis zugrunde. Durch die Behandlung mit Glukokortikoiden verschwinden die Verstimmungen schlagartig.
Diagnostik
Die Diagnose einer PMR basiert auf typischer Symptomatik und Entzündungsparametern und soll möglichst frühzeitig rheumatologisch abgeklärt werden – idealerweise innerhalb einer Woche nach Verdacht. Eine differenzialdiagnostische Abklärung, insbesondere zum Ausschluss einer Riesenzellarteriitis (RZA), ist essenziell.
Folgende Laborparameter weisen auf eine PMR hin
Eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) (>40 mm in der ersten Stunde, Sturzsenkung) ist üblich. Patienten mit niedriger BSG haben weitaus seltener systemische Symptome wie Fieber, Gewichtsverlust und Anämie.
C-reaktives Protein (CRP) ist üblicherweise ebenfalls erhöht und gilt als sensitiverer Parameter für die Krankheitsaktivität, während die BSG der bessere Parameter für ein Rezidiv ist. Es kann sowohl eine normozytäre Anämie, als auch eine Thrombozytämie auftreten.
Die Leberenzyme und vor allem die alkalische Phosphatase sind gelegentlich erhöht. Serologische Marker wie Antinukleäre Antikörper (ANA), Rheumafaktor (RF) und Antikörper gegen citrullinierte Proteine (Anti-CCP-AK) sind negativ.
Bildgebende Verfahren
Ein Ultraschall sollte zur Einschätzung einer subakromialen oder subdeltoidalen Bursitis, einer Tenosynovitis der langen Bizepssehne und einer glenohumeralen Synovitis gemacht werden. Eine Magnetresonanztomografie kann ebenfalls eingesetzt werden und ist sensitiver für die Detektion von Befunden im Hüftbereich und am Becken.
Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) zeigt einen F-18 Desoxyglukose-uptake in den Schultern, den Tubera ischiadica, im Trochanter Major beidseits, sowie in den Glenohumeral- und Sternoclaviculargelenken.
2012 American College of Rheumatology/European League Against Rheumatism PMR Klassifikationskriterien
Voraussetzung für die Klassifikation sind Patienten im Alter von 50 Jahren oder älter mit bilateralen Schulterschmerzen und abnormalen CRP- und/oder BSG-Werten. Zur Klassifikation dienen dann folgende Kriterien:
Morgendliche Steifheit über einen Zeitraum von 45 Minuten (zwei Punkte)
Hüftschmerz oder verminderter Bewegungsumfang (ein Punkt)
Negative Befunde für Rheumafaktor oder Anti-CCP-AK (zwei Punkte)
Keine Beteiligung anderer Gelenke (ein Punkt)
Sonografiekriterien: mindestens eine Schulter mit dem Befund einer subdeltoidalen Bursitis, einer Tenosynovitis der Bizepssehne, oder einer glenohumeralen Synovitis und mindestens eine Hüfte mit dem Befund einer Synovitis oder Bursitis des Trochanter major (Ein Punkt)
beide Schultern mit dem Befund einer subdeltoidalen Bursitis, einer Tenosynovitis der Bizepssehne, oder einer glenohumeralen Synovitis (ein Punkt)
Bei mindestens vier (ohne Sonografie) bzw. fünf Punkten (mit Sonographie) lässt sich mit einer Sensitivität von 68% (mit Sonografie %) und einer Spezifität von 78% (mit Sonografie 81%) eine PMR klassifizieren.
Die Diagnosewahrscheinlichkeit erhöht sich, wenn Patienten rasch auf die Gabe von Glukokortikoiden ansprechen.
Therapie
Therapie der ersten Wahl ist die Behandlung mit Glukokortikoiden. Sie sollte unmittelbar nach Diagnosestellung eingeleitet werden. Ziel ist die rasche Symptomkontrolle und das Erreichen einer vollständigen Remission unter konsequentem Treat-to-Target-Ansatz mit regelmäßiger Kontrolle der Krankheitsaktivität (anfangs alle 1–4 Wochen, später alle 3–6 Monate). Es wird eine Initialdosis von 15-25 mg Prednison-Äquivalent pro Tag (morgens als Einzeldosis) empfohlen. Eine initiale Dosis-Reduktion auf 10 mg pro Tag Prednison-Äquivalent sollte innerhalb von vier bis acht Wochen erreicht werden, danach erfolgt die weitere Reduktion um 1 mg alle vier Wochen bis zum Absetzen des Glukokortikoids.
Bei einem Rezidiv wird die zuletzt wirksame Prednisondosis wieder aufgenommen und nach klinischer Stabilisierung erneut schrittweise reduziert. Parallel sollte geprüft werden, ob eine Add-on-Therapie (z. B. Methotrexat oder ein IL-6-Rezeptor-Inhibitor) indiziert ist, um erneute Rückfälle und hohe kumulative Glukokortikoiddosen zu vermeiden.
Eine orale Therapie mit Glukokortikoiden wird bevorzugt, jedoch kann alternativ Methylprednisolon intramuskulär gegeben werden.
Bei Glukokortikoidtherapie ist eine regelmäßige Kontrolle auf Nebenwirkungen erforderlich, insbesondere in Bezug auf Osteoporose, Blutzucker und Blutdruck. Eine aktive Osteoporoseprophylaxe mit Risikoevaluation, Vitamin-D-Supplementation und ggf. spezifischer Therapie wird empfohlen.
Die Gabe von Methotrexat kann schon frühzeitig in Betracht gezogen werden, wenn ein hohes Rezidivrisiko besteht, Komorbiditäten vorliegen, eine Kontraindikation gegen Biologika vorliegt oder Begleitmedikationen, die glukokortikoidinduzierte Nebenwirkungen verabreicht werden.
Auch bei unzureichendem Ansprechen auf Glukokortikoide oder Auftreten von Nebenwirkungen kann ebenfalls auf Methotrexat zurückgegriffen werden. Der Einsatz erfolgt off-label und erfordert engmaschige Kontrolle.
Interleukin-6-Rezeptor-Inhibitoren (z.B. Sarilumab) werden in der S2e-Leitlinie als zusätzliche Therapie bei rezidivierender PMR oder bei hohem Risiko für Glukokortikoid-Nebenwirkungen empfohlen. Sie können die Remissionsrate erhöhen und die kumulative GC-Dosis verringern.
NSAR und/oder Analgetika sollten nur bei Schmerzen anderer Ursache zusätzlich angewendet werden. Von TNFα-Inhibitoren wird abgeraten.
Ergänzend zur medikamentösen Therapie empfiehlt die Leitlinie ein individualisiertes Bewegungsprogramm, insbesondere bei älteren oder gebrechlichen Patienten. Physiotherapeutische Maßnahmen zur Muskelkräftigung, Sturzprävention und zur Erhaltung der Funktionalität können die Lebensqualität verbessern.
Therapiedauer
Die maximale Dauer einer Glukokortikoid-Monotherapie sollte zwölf Monate nicht überschreiten. Bei Kombination mit IL-6-Rezeptor-Inhibitoren ist eine Therapiedauer von etwa 16 Wochen vorgesehen, mit Methotrexat von sechs bis acht Monaten.
Prognose
Bei frühzeitiger Diagnosestellung und leitliniengerechter Therapie ist die Prognose günstig. Durch strukturierte Verlaufskontrolle und gezielte Kombinationstherapien (z. B. IL-6-Blockade, MTX) können Rückfälle und steroidbedingte Komplikationen deutlich reduziert werden. Die Mortalität ist im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht signifikant erhöht.
Raheel S et al. (2017): Epidemiology of Polymyalgia Rheumatica 2000-2014 and Examination of Incidence and Survival Trends Over 45 Years: A Population-Based Study. Arthritis care & research (Hoboken). DOI: 10.1002/acr.23132
Partington RJ et al. (2018): Incidence, prevalence and treatment burden of polymyalgia rheumatica in the UK over two decades: a population-based study. Annals of the rheumatic diseases. DOI: 10.1136/annrheumdis-2018-213883
Colombo et al. (2022): Polymyalgia rheumatica. Geschlechtsspezifische Epidemiologie, diagnostisch-therapeutisches Vorgehen und ärztliche Versorgung. Deutsches Ärzteblatt International. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0218
Acharya S, Musa R. (2022): Polymyalgia Rheumatica. [Updated 2022 Jun 21]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; Online.
Liozon E et al. (2009): Familial aggregation in giant cell arteritis and polymyalgia rheumatica: a comprehensive literature review including 4 new families. Clinical and experimental rheumatology.
Weyand CM et al. (1994): HLA-DRB1 alleles in polymyalgia rheumatica, giant cell arteritis, and rheumatoid arthritis. Arthritis & rheumatology. DOI: 10.1002/art.1780370411
Dejaco C et al. (2016): [Diagnostics and treatment of polymyalgia rheumatica]. Zeitschrift für Rheumatologie. DOI: 10.1007/s00393-016-0105-3
van der Geest KS et al. (2014): Disturbed B cell homeostasis in newly diagnosed giant cell arteritis and polymyalgia rheumatica. Arthritis & rheumatology. DOI: 10.1002/art.38625
Buttgereit F et al. (2016): Polymyalgia Rheumatica and Giant Cell Arteritis: A Systematic Review. Journal of the American Medical Association. DOI: 10.1001/jams.2016.5444
Matteson EL, Dejaco C. (2017): Polymyalgia Rheumatica. Annals of internal medicine. DOI: 10.7326/AITC201705020
Chuang TY et al. (1982): Polymyalgia rheumatica: a 10-year epidemiologic and clinical study. Annals of internal medicine. DOI: 10.7326/0003-4819-97-5-672
González-Gay MA et al. (1997): Polymyalgia rheumatica without significantly increased erythrocyte sedimentation rate. A more benign syndrome. Archives of internal medicine. DOI: 10.1001/archinte.1997.00440240081012
Cantini F et al. (2000): Erythrocyte sedimentation rate and C-reactive protein in the evaluation of disease activity and severity in polymyalgia rheumatica: a prospective follow-up study. Seminars in arthritis and rheumatism. DOI:10.1053/sarh.2000.8366
Dasgupta B et al. (2012): Provisional classification criteria for polymyalgia rheumatica: a European League Against Rheumatism/American College of Rheumatology collaborative initiative. Arthritis and rheumatism. DOI: 10.1002/art.34356
Yuge S et al. (2018): Diagnosing polymyalgia rheumatica on 18F-FDG PET/CT: typical uptake patterns. Annals of nuclear medicine. DOI: 10.1007/s12149-018-1269-5