Eine Sepsis ist eine lebensbedrohliche Organfunktionsstörung, die durch eine dysregulierte Reaktion des Körpers auf eine Infektion verursacht wird. Die Krankheit bleibt oft unerkannt oder wird unterschätzt, obwohl eine schnelle Therapie für die Prognose essenziell ist.
Bei einer Sepsis handelt es sich um eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion als Folge einer dysregulierten Immunantwort auf eine (nachgewiesene oder vermutete) Infektion [6].
Zur Beurteilung der Organdysfunktion dient der sog. SOFA-Score (Sequential Organ Failure Assessment), bei dem mindestens 2 Punkte für das jeweilige betroffene Organ erreicht werden müssen [6].
Hohe Katecholamindosis (z.B. Dopamin > 15 µg/kg/min oder Adrenalin > 0,1 µg/kg/min)
Gerinnung
Thrombozyten (x103/µl)
≥ 500
<150/nL
<100/nL
<50/nL
<20/nL
ZNS
Glasgow Coma Scale
15
13-14
10-12
6-9
<6
Quick SOFA-Score
Zum präklinischen Einsatz oder zur Diagnostik auf Normalstation kann der Quick-SOFA-Score als vereinfachte Version des SOFA-Scores angewandt werden. Treffen mindestens 2 der folgenden Kriterien zu, wird eine septische Organdysfunktion mit schlechter Prognose wahrscheinlicher:
Atemfrequenz mind. 22/min
Systolischer Blutdruck ≤100 mmHg
Vigilanzminderung oder Veränderung des mentalen Status (Glasgow Coma Scale <15)
Septischer Schock
Ein septischer Schock stellt die schwerste Verlaufsform einer Sepsis dar. Kriterien für die klinische Diagnose eines septischen Schocks sind die Erforderlichkeit einer Therapie mit Vasopressoren bei Hypotonie (mittlerer arterieller Blutdruck <65 mmHg) trotz adäquater Volumengabe in Kombination mit einem Serum-Laktatspiegel von > 2mmol/L [6].
Epidemiologie
Blutvergiftungen sind häufig und bleiben dennoch oft unerkannt. In einer Analyse für die Global Burden of Disease Study wurden 2017 weltweit knapp 49 Millionen Fälle einer Sepsis angegeben, elf Millionen Menschen starben daran [10].
Da viele Sepsis-Fälle nicht erfasst werden oder unerkannt bleiben, könnten die Zahlen insgesamt deutlich höher sein. Ein besonders hohes Risiko haben immunsupprimierte, vorerkrankte und ältere Meschen sowie Neugeborene und Schwangere [9]. Insgesamt erkranken Männer etwas häufiger an einer Sepsis als Frauen und auch die ethnische Zugehörigkeit scheint eine Rolle zu spielen, da Schwarze häufiger von einer Sepsis betroffen sind als Weiße [7].
Ursachen
Die septische Reaktion des Körpers kann prinzipiell durch alle möglichen Infektionen getriggert werden. I.d.R. sind Bakterien ursächlich für die Infektion; selten spielen auch Pilze, Viren oder Parasiten eine Rolle. Am häufigsten geht sie von Pneumonien aus, welche für die Hälfte der Sepsis-Fälle verantwortlich gemacht werden; es kommen jedoch z. B. auch Harnwegsinfekte oder intraabdominelle Infektionen als Fokus in Frage [7].
Pathogenese
Generelles Prinzip der Sepsis
Eine Sepsis beginnt mit einer Infektion, auf die der Körper mit einer fehlregulierten Immunantwort reagiert. Die dysbalancierte Immunantwort des Körpers schädigt im Rahmen einer generalisierten Entzündung letztlich die eigenen Gewebe und Organe und kann dadurch schnell lebensbedrohlich werden. Die durch die Pathophysiologie der Sepsis am häufigsten angegriffenen Organsysteme sind das respiratorische und das kardiovaskuläre System [7].
Pathophysiologische Detailvorgänge
An der Pathogenese der Sepsis sind zahlreiche Mechanismen beteiligt. Sog. „Pathogen Associated Molecular Patterns“ (PAMPs) wie z. B. Endotoxine oder die DNA der Erreger lösen durch Interaktion mit den „Pattern Recognition Receptors“ der angeborenen Immunität eine Immunantwort des Körpers aus.
Im Rahmen einer kaskadenartigen Aktivierung der angeborenen und erworbenen Immunität wird die Produktion von proinflammatorischen Mediatoren, wie z.B. des Tumor-Nekrose-Faktors (TNF) oder Interleukin-1 stark stimuliert. Die Wirtsantwort steigert sich weiter durch die Aktivierung des Komplementsystems, die Aktivierung von Leukozyten sowie das Triggern anderer Signalwege. Dauer und Ausmaß der Wirtsreaktion werden durch Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen oder Erregerlast modifiziert. Die Balance zwischen der anti-infektiösen Immunreaktion und den antiinflammatorischen Mechanismen des Körpers ist im Gegensatz zu normalen Reaktionen bei Infektionen gestört [1,7].
Gerinnungsstörungen
Durch die vermehrte Bildung des „Tissue Factors“ auf Monozyten und Endothelzellen wird vermehrt Thrombin produziert. Zudem treten Störungen in der Fibrinolyse auf, sodass prokoagulatorische Mechanismen die Überhand gewinnen und die Gefahr für eine disseminierte intravasale Gerinnung (disseminated intravascular coagulation [DIC]) steigt [7].
Endothelzellfunktionsstörungen
Da das Endothel aufgrund der oben beschriebenen Vorgänge generalisiert aktiviert wird, kommt es zu einer Vasodilatation und einer vermehrten Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO). Die hieraus resultierende Barrierestörung führt zum Austritt von Flüssigkeiten und einer generellen Ödembildung und erklärt, warum Betroffene einen extrem erhöhten Flüssigkeitsbedarf haben und trotz Vasopressoren und Volumentherapie instabil sein können [7, 8].
Symptome
Die Symptomatik einer Sepsis kann sehr variabel und ggf. auch nur subtil sein. Potenzielle Alarmzeichen sind die Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Fieber, Schüttelfrost, Hypotonie, Tachykardie, Ödembildung und die Kriterien des quick SOFA-Scores (s. o.). Weitere klinische Hinweise sind die Zentralisation mit kalten Extremitäten und marmorierter Haut sowie evtl. Petechien bei Thrombopenie. Spezifische Symptome wie Dyspnoe bei Pneumonie oder Entzündungszeichen bei Katheterinfektionen können Hinweise auf einen möglichen Infektfokus geben [7].
Diagnostik
Die Diagnose „Sepsis“ fußt auf einem klinischen Verdacht und kann mit Hilfe der oben genannten Kriterien für eine Sepsis-assoziierte Organdysfunktion (SOFA-Score) auch schon vor einem Erregernachweis gestellt werden [2].
Mikrobiologische Diagnostik
Zur mikrobiologischen Diagnostik sollten vor dem Beginn einer Antibiose mindestens zwei Blutkulturpaare (aerob, anaerob) an separaten Punktionsstellen abgenommen werden. Auch andere Materialien wie z. B. Trachealsekret können zur Diagnostik sinnvoll sein [5,7].
Laborchemische Diagnostik
Auch wenn keine Sepsis-spezifischen Biomarker existieren, kann neben einem kleinen Blutbild mit Hinweisen auf eine Anämie, Leukozytopenie oder Leukozytose und Thrombozytopenie die Bestimmung der folgenden laborchemischen Parameter sinnvoll sein:
Ein wichtiger Wert bei der Sepsis-Diagnostik ist Procalcitonin (PCT) als sensitivster Marker für eine bakterielle Infektion. PCT dient zudem als Verlaufsparameter während der Sepsis und scheint mit der Erkrankungsschwere und der Wirksamkeit antibakterieller Therapien zu korrelieren.
Laktat ist zwar kein Biomarker für eine Infektion, kann jedoch als Marker für gestörte Mikrozirkulation zur Abgrenzung einer Sepsis von einem septischen Schock hilfreich sein. Das CRP spielt in der Sepsis-Diagnostik eher eine untergeordnete Rolle.
Parameter einer Verlaufskoagulopathie sind ein Absinken von Fibrinogen und Antithrombin III und ein Anstieg von D-Dimeren [5].
Fokussuche
Da die Sanierung des Infektes für den Verlauf einer Sepsis essentiell ist, kommt der Fokussuche eine besondere Bedeutung zu. Diagnostische Möglichkeiten umfassen je nach klinischem Verdacht z. B. ein Röntgen-Thorax, eine CT-Bildgebung, eine Bronchoskopie oder eine Sonographie [7].
Therapie
1-Hour-Bundle
Für die Prognose einer Sepsis sind Sofortmaßnahmen innerhalb der ersten Stunde entscheidend! Zu diesem Zweck wurde im Rahmen der Surviving-Sepsis-Campaign eine Leitlinie, das sog. „1-Hour-Bundle“ entwickelt, nach welchem folgende Maßnahmen innerhalb einer Stunde ergriffen werden sollten [3]:
Laktatmessung (Kontrolle, bis Laktat <2 mmol/L beträgt)
Katecholamintherapie, sofern der MAP trotz Volumensubstitution <35 mmHg beträgt
Weiterführende Maßnahmen
Weitere Maßnahmen umfassen nach der initialen Therapie die Reevaluation und ggf. Anpassung der Antibiose, eine Fokussanierung, die Anwendung kreislaufwirksamer Substanzen (Noradrenalin), intravaskuläre Volumenersatztherapien (balancierte Kristalloide) und bei starkem Hb-Abfall (< 7,0 g/dl) die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten.
Zudem kann die Gabe von Sauerstoff indiziert sein. Auch die optimale Einstellung des Blutzuckers und eine vorsichtige Ernährung, falls möglich enteral, scheint Einfluss auf die Prognose zu haben. Außerdem sollte eine Thromboseprophylaxe erfolgen. Besteht ein Risko für gastrointestinale Blutungen, kann mit einer Stressulkusprophylaxe begonnen werden [2].
Prognose
Die Prognose einer Sepsis hat sich in den letzten Jahren stetig verbessert und ist dennoch insgesamt ungünstig. Die Hälfte der Betroffenen muss intensivpflichtig behandelt werden. Eine Sepsis erhöht auch nach Krankenhausentlassung das Sterblichkeitsrisiko; über 40% der Genesenen müssen innerhalb von 90 Tagen erneut stationär aufgenommen werden [7].
Prophylaxe
Zur Vorbeugung von Blutvergiftungen empfiehlt das Robert-Koch-Institut die Vermeidung von Infektionen mittels allgemeiner Hygienemaßnahmen zuhause und im klinischen Setting sowie eine vermehrte Aufklärung über Infektionskrankheiten und Sepsiszeichen. Außerdem rät es dazu, empfohlene Impfungen wahrzunehmen. Risikopatienten sollten möglichst frühzeitig identifiziert und ggf. behandelt werden [4].
Hinweise
SIRS
Seit der neuen Sepsis-Definition von 2016 sind alte Definitionen des Krankheitsbildes nicht mehr bindend. Dennoch kann es im klinischen Alltag sinnvoll sein, die Kriterien des sog. SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrome) zu kennen. Sind mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt, liegt ein unspezifisches Inflammationssyndrom (SIRS) vor, welches im Gegensatz zur Sepsis nicht nur infektiöser, sondern auch nicht-infektiöser Genese sein kann [7]:
Körpertemperatur ≥ 38°C oder ≤36°C
Herzfrequenz ≥90/min
Atemfrequenz ≥20/min oder Hyperventilation (in BGA-Analyse)
Leukozyten >12.000/µl oder <4000/µl oder mindestens 10% unreife Neutrophile im Differentialblutbild
Angus, Poll (2013): Severe sepsis and septic shock. The New England Journal of Medicine, DOI: 10.1056/NEJMra1208623.
Deutsche Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG), S3-Leitlinie, 31. Dezember 2018.
Levy et al. (2018): The Surviving Sepsis Campaign Bundle: 2018 Update, Critical care medicine, DOI: 10.1097/CCM.0000000000003119.
Robert-Koch-Institut (RKI), Infografik, März 2019.
Schürholz (2018): Diagnostik der Sepsis, Intensivmedizin up2date, DOI: 10.1055/s-0043-121124.
Singer et al. (2016): The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3), JAMA, DOI: 10.1001/jama.2016.0287.
Suttorp et al. (2020): Harrisons Innere Medizin, DOI: 10.1055/b000000107.
Thiel, Roewer (2021): Anästhesiologische Pharmakotherapie. Von den Grundlagen der Pharmakologie zur Medikamentenpraxis, DOI: 10.1055/b000000110.
World Health Organisation (WHO), Infografik, 26. August 2020.
Rudd et al. (2020): Global, regional, and national sepsis incidence and mortality, 1990–2017: analysis for the Global Burden of Disease Study, Lancet, DOI: 10.1016/S0140-6736(19)32989-7.