Hypotonie

Als arterielle Hypotonie werden Blutdruckwerte unter 100/60 mmHg bezeichnet. Typische Symptome sind Müdigkeit, Schwindel, Zittern, Tachykardie und Synkopen.

Hypotonie

Definition

Als arterielle Hypotonie (ICD-10 I95.0) wird ein niedriger Blutdruck mit einem Blutdruckwert systolisch kleiner als 100 mmHg (USA < 90) und diastolisch kleiner als 60 mmHg bezeichnet. Eine international festgelegte Grenze gibt es nicht. Ursächlich ist ein Missverhältnis von vaskulärem Volumen und zirkulierender Blutmenge, zum Beispiel aufgrund einer zu geringen Flüssigkeitszufuhr, Blutverlust, Schock oder Herzinsuffizienz. Abhängig von der Ätiologie werden die primäre, sekundäre und orthostatische Hypotonie unterschieden; nach zeitlichem Ablauf die akute und chronische Hypotension. Typische Symptome sind Müdigkeit, Schwindel, Zittern, Übelkeit, Kopfschmerzen, Tachykardie, Kollapsneigung und Synkopen. Die Diagnose wird anhand der Anamnese und Klinik unter Zuhilfenahme von Testverfahren (Schellong-Test, Kipptischuntersuchung) und apparativen Untersuchungsmethoden wie der 24-Stunden-Blutdruckmessung gestellt. Ohne zugrundeliegende Erkrankung ist eine Behandlung nur bei klinischer Symptomatik indiziert. Medikamentöse Maßnahmen sind nur selten erforderlich. Prognostisch ist eine Hypotonie besser zu bewerten als eine Hypertonie [1,2].

Begrifflichkeiten

Eine international einheitliche Definition der Blutdruckwerte für das Krankheitsbild Hypotonie existiert nicht. In den USA gilt niedriger Blutdruck ab einem systolischen Blutdruckwert kleiner als 90 mmHg und diastolisch kleiner als 60 mmHg. Als orthostatische Hypotonie wird ein Absinken des systolischen Blutdrucks um mindestens 20 mmHg oder des diastolischen Blutdrucks um mindestens 10 mmHg innerhalb von drei Minuten nach dem Aufstehen definiert [1,3,7].

Hierzulande haben sich folgende Kriterien als Arbeitshypothese bei arterieller Hypotonie bewährt:

  • systolischer Blutdruck < 100 mmHg und diastolischer Wert < 60 mmHg in der Praxismessung oder
  • Auftreten von Hypotonie-Symptomen wie Schwindel, Synkope bis hin zum Schock [4]

Die orthostatische Hypotension ist als ein anhaltender systolischer Blutdruckabfall um ≥ 20 mmHg (bzw. ≥ 30 mmHg bei Vorliegen eines Liegendhypertonus) und/oder ein diastolischer Blutdruckabfall um ≥ 10 mmHg oder ein absoluter systolischer Blutdruckabfall unter 90 mmHg innerhalb von drei Minuten nach dem Hinstellen definiert [8].

Neben der klassischen orthostatischen Hypotension werden zwei weitere Varianten unterschieden:

  • initiale orthostatische Hypotension: vorübergehender Blutdruckabfall um > 40 mmHg systolisch und/oder > 20 mmHg diastolisch innerhalb von 15 Sekunden nach aktivem Aufstehen
  • verzögerte orthostatische Hypotension: orthostatischer Blutdruckabfall (Grenzwerte wie bei der klassischen Form) ohne Bradykardie nach mehr als drei Minuten nach dem Aufstehen

Ferner gibt es das posturale Tachykardiesyndrom (POTS). Diese Sonderform der orthostatischen Hypotension ist definiert durch eine Herzfrequenzerhöhung von ≥ 30 Schlägen pro Minute oder von ≥ 120 Schlägen pro Minute ohne bedeutsamen Blutdruckabfall bei Lagewechsel von der liegenden in eine stehende Position [5,6,8].

Epidemiologie

Aufgrund mangelnder Studienlage sind epidemiologische Daten zur arteriellen Hypotonie nur schwer zu erheben. Von einer primären Hypotonie ohne Krankheitswert sind vor allem Ausdauersportler betroffen.

Die Prävalenz der orthostatischen Hypotonie steigt mit zunehmendem Alter und den damit verbundenen Komorbiditäten (vor allem neurodegenerative, kardiovaskuläre, metabolische und renale Erkrankungen) an. Bei Personen unter dem 50. Lebensjahr sind weniger als 5 Prozent von einer orthostatischen Hypotonie betroffen, bei den über 70-Jährigen leiden bis zu 30 Prozent an einer orthostatischen Dysregulation. Die Studienlage ist allerdings inkonsistent, selbst bei ähnlichen Studienpopulationen.

Das POTS betrifft vorwiegend weibliche Jugendliche und Frauen zwischen 15 und 50 Jahren. Die geschätzte Prävalenz liegt bei 0,2 Prozent [2,4–9].

Ursachen

Abhängig von der Ursache wird die arterielle Hypotonie in drei Formen eingeteilt: primäre (essenzielle, idiopathische) Hypotonie, sekundäre Hypotonie und orthostatische Hypotonie.

Primäre Hypotonie

Die primäre Hypotonie wird auch als essenzielle, konstitutionelle oder idiopathische Hypotonie bezeichnet. Die Ursache ist unklar. Betroffen sind vor allem junge schlanke Menschen (insbesondere leptosome Frauen) und Ausdauersportler [2].

Sekundäre Hypotonie

Bei der sekundären (symptomatischen) Hypotonie ist der niedrige Blutdruck Leit- oder Nebensymptom einer anderen Erkrankung oder unerwünschte Folge bei der Anwendung von Arzneimitteln.

Zu den ursächlichen Faktoren gehören [2,4,7,10]:

Neurogene Erkrankungen

Endokrine Erkrankungen

  • Nebennierenrindeninsuffizienz
  • primär: Morbus Addison
  • sekundär: Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
  • tertiär: Hypothalamusunterfunktion
  • Phäochromozytom
  • Diabetes mellitus
  • isolierter Hypoaldosteronismus
  • Thyreopathien
  • hereditäre Genese, zum Beispiel adrenogenitales Syndrom, Gitelman-Syndrom, Bartter-Syndrom, Pseudo-Hypoaldosteronismus Typ 1, Aldosteron-Synthese-Mangel, Dopamin-ß-Hydroxylase-Mangel

Kardiovaskuläre Ursachen

  • Arrhythmien (Bradykardie, Tachykardie, Vorhofflimmern)
  • Herzinsuffizienz (valvulär, ischämisch, Perikarderkrankungen, obstruktive, restriktive oder dilatative Kardiomyopathie)
  • Füllungsbehinderung des linken Ventrikels (Perikarderguss, ausgeprägte pulmonale Hypertonie, schwere akute Lungenembolie)
  • Hypovolämie (Blutung, Diarrhoe, Dehydratation, orthostatisch bedingter Volumenshift, Emesis, Polyurie, Volumenverlust im 3. Raum)
  • systemische Vasodilatation (Sepsis, Anaphylaxie, neurogener Schock, autonome Dysfunktion, spinaler Schock)
  • obstruktiv (Lungenembolie, schwere pulmonale Hypertonie, Perikarderguss)
  • Anämien

Renale Erkrankungen

  • nephrotisches Syndrom
  • chronisch interstitielle Nephritis

Medikamentös bedingt, vor allem durch

Orthostatische Hypotonie

Die orthostatische Dysregulation kann als sympathikotone orthostatische Hypotonie (nicht autonom-neurogen) oder als asympathikotone orthostatische Hypotonie (autonom-neurogen) auftreten. Die Differenzierung ist literaturabhängig uneinheitlich. Ätiologisch findet sich häufig folgende Einteilung:

  • asympathikotone orthostatische Hypotonie: auf eine Schädigung des autonomen Nervensystems mit konsekutiv verminderter oder ausbleibender sympathisch vermittelter Vasokonstriktion zurückzuführen
  • sympathikotone orthostatische Hypotonie: Folge einer hypersympathischen Dysregulation mit überschießendem Pulsanstieg

In den letzten Jahren haben sich allerdings die Begriffe orthostastische Dysregulation und orthostatische Intoleranz bzw. posturales Tachykardiesyndrom (POTS) durchgesetzt. Das POTS wird als Sonderform der orthostatischen Dysregulation bewertet. Die Ursache ist noch nicht vollständig verstanden [3,5–9].

Pathogenese

Pathophysiologisch ist eine arterielle Hypotonie auf ein Missverhältnis von Gefäßvolumen und zirkulierendem Blutvolumen zurückzuführen. Hierfür kommen mehrere Mechanismen infrage [2,4]:

  • absoluter oder relativer Volumenmangel (Hypovolämie)
  • Behinderung des venösen Rückstroms
  • reduzierter kardialer Output infolge einer systolischen Dysfunktion (akut oder chronisch)
  • eine gestörte periphere Vasokonstriktion bzw. Abfall des peripheren Gefäßwiderstands

Davon unabhängig oder erschwerend kann eine orthostatische Dysregulation hinzukommen. Bei jedem Lagewechsel vom Liegen zum Stehen sammeln sich rund 400 bis 800 ml Blut in den Beinvenen und im Splanchnikusgebiet (venöses Pooling) – diese Menge fehlt also dem zentralen Kreislauf. Damit reduziert sich der venöse Rückfluss zum Herzen, was einen circa 40%igen Abfall des Schlagvolumens zur Folge hat.

Ohne gegenregulatorische Mechanismen würde der Blutdruck systolisch um rund 50 mmHg oder mehr abfallen. Um dies zu verhindern, melden sensorische Mechanorezeptoren – das heißt Barorezeptoren des Hochdrucksystems im Aortenbogen und Sinus caroticus, kardiopulmonale Rezeptoren des Niederdrucksystems in Rechtsherz und Lunge sowie Mechanorezeptoren im kardiovaskulärem Zentrum der Medulla oblongata – den Zustand zum medullären Kreislaufregulationszentrum. Als Folge wird der Sympathikus aktiviert und der Parasympathikus (Vagusnerv) gehemmt. Dies hat folgende Effekte:

  • Steigerung der kardialen Inotropie und Chronotropie (+ 25 Prozent)
  • Tonuserhöhung der Kapazitätsgefäße
  • Vasokonstriktion der Widerstandsgefäße (periphere Arteriolen)
  • Reduktion der abdominalen, renalen und peripheren Durchblutung im Sinn einer Kreislaufzentralisation
  • Erhöhung des totalen peripheren Widerstands (+ 40 Prozent)

Im Ergebnis steigt die Herzfrequenz vorübergehend um etwa 10 bis 25 Schläge pro Minute an und der diastolische Blutdruck sinkt um etwa 10 mmHg ab. Der systolische Blutdruckwert verändert sich nicht oder nur marginal. Bei längerem Stehen werden die gegenregulatorischen Maßnahmen über eine Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems erweitert und der Blutdruck über eine Natrium- und Flüssigkeitsretention stabilisiert.

Die rein autonom vermittelte Orthostasereaktion dauert nur etwa 30 Sekunden. Aufgrund der regulativen Einflüsse sinkt das Herzminutenvolumen statt um 40 Prozent nur um rund 20 Prozent ab. Dieser Mechanismus bleibt von den meisten Menschen unbemerkt. Kann der orthostatische Blutdruckabfall aber weder kardial (Herzminutenvolumen) noch durch Vasokonstriktion (peripherer Widerstand) kompensiert werden, zum Beispiel durch Dysregulationen im Reflexbogen, ist eine Kreislaufdekompensation mit arterieller Hypotonie und konsekutiver zerebraler Minderperfusion möglich [3–5,7,8].

Besonderheiten beim POTS

Bei Patienten mit POTS sinkt das Schlagvolumen etwas weiter ab als bei gesunden Menschen. Das Herz reagiert übermäßig stark tachykard, das Herzminutenvolumen fällt weniger deutlich ab und der periphere Widerstand steigt nicht so stark an. Nach der Ohmschen Formel (Blutdruck = Herzminutenvolumen x peripherer Widerstand) ergibt sich ein konstanter mittlerer Blutdruck. Der systolische Blutdruck fällt und der diastolische Wert erhöht sich etwas mehr als normal. Die Blutdruckstabilisierung in aufrechter Körperhaltung wird also eher durch die kardiale Aktivierung als durch eine periphere Vasokonstriktion vermittelt. Hierfür können mehrere Ursachen verantwortlich sein [5,6,9]:

  • eine insuffiziente periphere Vasokonstriktion
  • postviral
  • erhöhte Noradrenalin-Blutkonzentration beim Stehen
  • fehlende Rezeptoren des autonomen kardialen Nervensystems
  • sekundär bei anderen Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes mellitus, Ehlers-Danlos-Syndrom, Mastzellerkrankung, chronischem Erschöpfungssyndrom und Mitralklappenprolaps

Symptome

Niedriger Blutdruck kann asymptomatisch und ohne Krankheitswert sein, aber auch Beschwerden verursachen. Das klinische Bild ist oft unspezifisch und variabel. Hinweisgebende Symptome sind [2,8,11]:

  • Benommenheits- oder Schwächegefühl, ggf. mit Nacken- oder Schulterschmerzen
  • Schwarzwerden vor den Augen, Augenflimmern
  • Schwindel
  • Leere- oder Wattegefühl im Kopf
  • Kopfschmerzen
  • Blässe
  • Frieren, kalte Extremitäten
  • Ohrensausen, Tinnitus
  • Übelkeit
  • kardiale Sensationen, Palpitationen
  • Tachykardie
  • Kollapsneigung, Synkope
  • Stürze und sturzbedingte Verletzungen
  • rasche Müdigkeit, Abgeschlagenheit
  • Leistungsschwäche, Konzentrationsstörungen
  • Schlafstörungen
  • Depressive Verstimmung
  • Belastungsintoleranz

Die Beschwerden können vorübergehend auftreten oder anhalten. Körperliche Anstrengungen oder reichhaltige Mahlzeiten (postprandiale Hypotonie) verstärken die Symptomatik mitunter.

Orthostatische Hypotonie

Bei der orthostatischen Hypotonie sinkt der Blutdruck beim raschen Lagewechsel vom Liegen zum Stehen (Orthostase) bzw. nur in aufrechter Haltung übermäßig stark ab. Die Patienten neigen zu Kreislaufkollaps und Synkopen.

Bei der Sonderform POTS steigt die Herzfrequenz (mit und ohne Blutdruckabfall) beim Wechsel von einer liegenden in eine stehende Position. Die Symptome können von milder Ausprägung (Schwäche, Übelkeit, Schwindel) bis hin zu starker Beeinträchtigung (Angst, Panik, Hyperventilation und Synkope) variieren [3,5–7].

Diagnostik

Eine Hypotonie wird mittels Anamnese (inklusive Medikamentenanamnese und Begleitsymptomatik), Klinik, körperlicher Untersuchung (unter anderem Hydrationszustand, kardiale und kardiovaskuläre Befunde, neurologische Auffälligkeiten), Funktionstests und apparativen Verfahren diagnostiziert. Überdies sollte der Fokus auf Erkrankungen liegen, die niedrigen Blutdruck als Leit- oder Nebensymptom haben.

Apparative Diagnostik

Zur Basisdiagnose einer arteriellen Hypotonie wird der Blutdruck des Patienten mehrmals in Ruhe gemessen. Zur Diagnosesicherung schließt sich meist eine 24-Stunden-Blutdruckmessung an. Weiterführend können ein Elektrokardiogramm (EKG), eine Echokardiografie (insbesondere bei Verdacht auf oder bei bereits diagnostizierter Herzerkrankung), eine Ergometrie und eine elektrophysiologische Diagnostik (EPU) sowie neurologische Untersuchungen indiziert sein. Bei rezidivierenden Synkopen ohne Prodromi und Verletzungsgefahr sollte ein implantierbarer Ereignisrekorder (ILR) erwogen werden [2,8].

Testverfahren

Diagnostische Testverfahren kommen insbesondere bei Verdacht auf orthostatische Hypotonie zur Anwendung, speziell der aktive Stehtest (Schellong-Test) und die Kipptisch-Untersuchung (Tilt-Test). Weitere standardisierte kardiovaskuläre autonome Funktionstests wie das Valsalva-Manöver und vertiefte Atmung können zur Unterscheidung einer neurogenen und nicht neurogenen Ursache einer vorliegenden orthostatischen Hypotension nützlich sein [8].

Aktiver Stehtest

Beim aktiven Stehtest werden Puls und Blutdruck in zweiminütigem Abstand über zehn Minuten in liegender Position gemessen, danach sofort nach dem Aufstehen und minütlich über mindestens drei Minuten im freien Stand (ggf. auch länger). Physiologisch sinkt der systolische Blutdruckwert nicht mehr als 20 mmHg während der Stehzeit. Für das Vorliegen einer orthostatischen Hypotension sprechen ein Blutdruckabfall ≥ 20 mmHg systolisch und/oder ≥ 10 mmHg diastolisch oder ein systolischer Blutdruckwert < 90 mmHg nach drei Minuten Stehzeit.

Bei Verdacht auf POTS sollte die Stehphase mindestens zehn Minuten umfassen. Als Diagnose ist ein Pulsanstieg ≥ 30 Schlägen pro Minute (bei Jugendlichen unter 19 Jahren ≥ 40) oder eine absolute Pulsrate ≥ 120 Schlägen pro Minute nach zehn Minuten beweisend, wenn eine mit der Stehdauer zunehmende orthostatische Intoleranz berichtet wird und im Schellong-Test reproduziert werden kann [8].

Kipptischtest

Bleibt der Verdacht auf eine orthostatische Hypotension oder POTS trotz negativem Schellong-Test bestehen, wird eine Kipptisch-Untersuchung über drei bzw. zehn Minuten (ggf. länger) empfohlen. Der Test kann prinzipiell ohne oder mit einer zusätzlichen pharmakologischen Provokation (zum Beispiel Nitroglycerin sublingual) durchgeführt werden. Für eine hohe Sensitivität sollte die Untersuchung am Morgen und nüchtern erfolgen [8].

Bei der Kipptisch-Untersuchung wird die hämodynamische Reaktion auf eine passive Orthostase (ohne Aktivierung der Beinmuskelpumpe) untersucht. Der Patient befindet sich in Rückenlage gesichert im Kipptisch (mindestens 5–10 Minuten). Aus der horizontalen Position wird der Tisch nebst Patient langsam auf 60–80° (optimal scheinen 70°) aufgerichtet. Dabei werden möglichst kontinuierlich Puls und Blutdruck gemessen, ein EKG aufgezeichnet und die Symptome registriert – in der vertikalen Phase über mindestens fünf Minuten, danach erfolgt die Rückkippung.

Mögliche klinische Outcomes sind Hypotonie-assoziierte Beschwerden und die Auslösung einer Reflexsynkope oder eines POTS. Für eine orthostatische Hypotonie-Diagnose sind Symptome nicht zwingend erforderlich. Der Test ist positiv, wenn der Blutdruck bei der Orthostasebelastung schnell absinkt, im Vergleich zur Baseline niedrig bleibt und sich nicht erholt, bis die horizontale Haltung wiederhergestellt wird. POTS wird durch einen anhaltenden Anstieg der Herzfrequenz von ≥ 30 Schlägen pro Minute (≥ 40 bpm für Patienten < 20 Jahre) innerhalb von zehn Minuten definiert [10].

Weitere Diagnoseverfahren

Zum Ausschluss einer sekundären Hypotonie sind weitere diagnostische Maßnahmen erforderlich, zum Beispiel laborchemische Untersuchungen, Belastungstests, Sonografie, Röntgen, Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT), Echokardiographie oder eine Positronen-Emissions-Tomografie (PET-CT). Wahl und Umfang richten sich nach dem jeweiligen Ursachenverdacht [8].

Zur Beurteilung eines begleitenden Liegendhypertonus hilft die einfache Blutdruckmessung im Liegen sowie ein Blutdruck-Tagebuch, in dem der Patient seine Blutdruckwerte im Liegen, Stehen, Sitzen am Morgen, mittags und am Abend notiert. Bei erhärtetem Verdacht auf eine Hypertonie im Liegen sollte sich ein 24 Stunden Blutdruck-Monitoring anschließen.

Therapie

Nicht jeder Hypotonus muss zwingend behandelt werden. Besteht jedoch Therapiebedarf, etwa bei Beschwerden (speziell Synkopen), kommen nicht-medikamentöse Maßnahmen und pharmakotherapeutische Interventionen zur Anwendung. Mit beiden Methoden soll das intravasale Volumen erhöht und das versackende Blutvolumen beim Aufstehen beziehungsweise Stehen verringert werden. Ziel ist es, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern und das Auftreten von präsynkopalen Episoden und Synkopen zu verhindern.

Darüber hinaus ist es unabdingbar, etwaige Grunderkrankungen zu erkennen und frühzeitig zu behandeln [8,12].

Nicht-medikamentöse Behandlung

Bei mild ausgeprägter Hypotonie reichen oft physikalische Maßnahmen und veränderte Lebensgewohnheiten, um mit niedrigen Blutdruckwerten assoziierte Symptome zu vermeiden. Dazu gehören [8][12]:

  • Oberkörperhochlage während der Nachtruhe um mindestens 12°, besser 45° gegenüber der Horizontalen
  • Erhöhung der Trinkmenge (2–2,5 Liter pro Tag), ausreichende Kochsalzzufuhr (Kontraindikationen beachten!)
  • Tragen einer elastischen abdominellen Kompressionsbinde
  • Tragen von Kompressionsstrümpfen bzw. -strumpfhosen
  • Meiden von Risikosituationen, zum Beispiel langes Stehen, Aufenthalt in überwärmter Umgebung
  • in synkopalen Prodromalphasen isometrische Gegenmanöver im Stehen, zum Beispiel Überkreuzen der Beine (sogenannte Cocktail-Party-Stellung), Hinknien oder Hinhocken, Anspannung der Bein-, Gesäß-, Bauch- und Armmuskeln
  • Steigerung des körperlichen Aktivitätsradius, Sport

Medikamentöse Therapie

In der medikamentösen Therapie werden zwei Ansätze verfolgt:

  • blutdrucksteigernde Arzneimittel bei einer primären Hypotonie
  • Anpassung der pharmakotherapeutischen Behandlung bei medikamentös induziertem niedrigem Blutdruck

Blutdrucksteigernde Medikation

Haben physikalische und andere Maßnahmen nicht zum gewünschten Therapieerfolg geführt, kann ein zu niedriger Blutdruck medikamentös auf Normalwerte gebracht werden. Zur Unterstützung der peripheren Vasokonstriktion helfen kurzwirksame Sympathomimetika wie der α1-Rezeptoragonist Midodrin (Gutron) und der Cholinesterasehemmer Pyridostigmin (Mestinon). Letzterer ist bei (orthostatischer) Hypotension aber nur off-label einsetzbar. Als Kurzzeittherapie ist das Mineralokortikoid Fludrocortison (Astonin H) zugelassen, mit dem das Blutvolumen durch Unterstützung der Flüssigkeitsretention angehoben werden soll. Dihydroergotamin, ein gefäßverengender Wirkstoff aus der Gruppe der Mutterkornalkaloide, hat heute kaum noch eine Bedeutung in der medikamentösen Hypotoniebehandlung. Die zeitgleiche Einnahme mit einem Sympathomimetikum kann jedoch dessen Bioverfügbarkeit erhöhen.

Bei mäßig ausgeprägtem Hypotonus und intakten postganglionären sympathischen Efferenzen zu Vasokonstriktoren und Kapazitätsgefäßen können gemischt direkt und indirekt wirkende Sympathomimetika eingesetzt werden, beispielsweise das α- und β-Sympathomimetikum Etilefrin. Bei neurodegenerativen Erkrankungen mit stark geschädigten sympathischen Efferenzen ist damit allerdings keine zufriedenstellende Anhebung des Blutdrucks zu erreichen. Hier sind Sympathomimetika wie Midodrin die bessere Wahl.

Cave: Bei der blutdrucksteigernden Therapie ist ein möglicher Liegendhypertonus zu beachten. Daran leiden etwa 50 Prozent der Patienten mit nachgewiesener neurogener orthostatischer Hypotonie. Diese Konstellation stellt besondere Anforderungen an die medikamentöse Behandlung [8,12].

Anpassung der pharmakotherapeutischen Behandlung

Bei einer sekundären medikamentös induzierten Hypotension – hier speziell bei einer orthostatischen Symptomatik – sind die Beschwerden oft durch eine medikamentöse Neueinstellung zu beseitigen. Auslösende oder verstärkende Arzneimittel wie Alpha-Blocker, Diuretika, Vasodilatatoren, Dopamin-Agonisten, tri- und tetrazyklische Antidepressiva oder Venodilatatoren sollten reduziert, abgesetzt oder gewechselt werden; zum Beispiel Ersetzen eines tri- oder tetrazyklischen Antidepressivums auf selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluvoxamin oder Paroxetin, die Umstellung einer antihypertensiven Therapie bei Bluthochdruck oder der Wechsel eines Dopa-Agonisten auf α-Dihydroergocryptin bei Morbus Parkinson [8,12].

Posturales Tachykardiesyndrom (POTS)

Die Behandlung des posturalen Tachykardiesyndroms zielt vor allem auf die Vermeidung einer Hypovolämie durch eine gesteigerte Trinkmenge und der Aufnahme von Kochsalz ab. In der Behandlung haben sich die bereits beschriebenen physikalischen Maßnahmen bewährt. Regelmäßiger Konditionssport kann die orthostatische Intoleranz deutlich verbessern. Medikamentöse Therapien sind nur nach Ausschöpfung der nicht pharmakologischen Maßnahmen zu erwägen. In Einzelfällen wurden positive Erfahrungen mit Betablockern oder mit Ivabradin (off-label) berichtet. Off-label könnte ferner das Mineralokortikoid Fludrocortison (Astonin H) versucht werden. Aufgrund der typischerweise jungen Patientenklientel bestehen jedoch Bedenken hinsichtlich der langfristigen Sicherheit.

Prognose

Primärer niedriger Blutdruck ist in den meisten Fällen ungefährlich, Kollaps und Synkopen sind selten. Beim sekundären Hypotonus hängt die Prognose vor allem von der Grunderkrankung ab. Bei der orthostatischen Hypotonie ist die sympathikotone Hypotonie prognostisch günstiger als die meist chronisch progredient verlaufende asympatikotone Variante. Die Prognose des posturalen Tachykardiesyndroms (POTS) im Langzeitverlauf wird als gut bewertet: Mindestens 18 Monate nach der initialen Untersuchung verspürten 80 Prozent von 40 POTS-Patienten eine deutliche Besserung der orthostatischen Beschwerden [2,5,8,13].

Prophylaxe

Prinzipiell eignen sich die beschriebenen therapeutischen Maßnahmen gleichermaßen, um hypotonen Episoden vorzubeugen. Im Alltag und in der klinischen Praxis bewährt haben sich [2,8]:

  • passive Maßnahmen zur Venenkompression (Kompressionsstrümpfe, Stützstrumpfhosen oder Wickeln der Beinen
  • Vermeidung von venösem Pooling (abdominelle Kompressionsbinde)
  • Schlafen mit um 20–30 cm erhöhtem Kopfende
  • Erhöhung der Salzzufuhr auf 5–10 g NaCl/Tag, Vermeidung einer kochsalzarmen Diät
  • Tägliches Trinken von 2–2,5 Liter (natriumreichen) Mineralwasser, insbesondere kurz vor Stehbelastung und vor Mahlzeiten
  • Duschen statt Baden, Kneipp-Anwendungen: Wechselduschen, Trockenbürstungen, kalte Güsse, Wassertreten etc.
  • regelmäßige körperliche Aktivität, erhöhter Bewegungsradius, Sport (Ausdauertraining und Gymnastikübungen)
  • Vermeidung von übermäßiger Bettruhe und körperlicher Schonung
  • langsames Aufstehen aus dem Liegen oder Sitzen
  • häufige kleine Mahlzeiten anstatt eines großen Mahls
  • Vermeidung von langem ruhigem Stehen, insbesondere in warmer Umgebung und bei hoher Luftfeuchtigkeit
  • isometrische Gegenmanöver während des Stehens wie Kreuzen der Beine, willkürliche Muskelanspannung der Bein- und Gesäßmuskeln sowie Hinhocken
Autor:
Stand:
18.05.2022
Quelle:
  1. National Heart, Lung, and Blood Institute: Low Blood Pressure – Hypotension; abgerufen am 28. September 2021.
  2. Baumgartner, G.: Arterielle Hypotonie. Pschyrembel online, Walter de Gruyter GmbH; Stand August 2018; abgerufen am 16. August 2021.
  3. Bradley, J. G., Davis, K. A. (2003): Orthostatic hypotension. Am Fam Physician 2003 Dec 15; 68(12):2393–8; PMID: 14705758.
  4. Schwarz, S., Battegay, E., Babians-Brunner, A.: Hypotonie. In: Battegay, E. (Hrsg.): Differenzialdiagnose Innere Krankheiten, Thieme, 2017 Apr; S. 570–84; DOI: 10.1055/b-0037-142708.
  5. Diehl, R. R. (2003): Posturales Tachykardiesyndrom: In Deutschland bislang zu selten diagnostiziert. Dtsch Arztebl 2003; 100(43): A-2794 / B-2330 / C-2185.
  6. Hollstein, G.: Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS). Pschyrembel online, Walter de Gruyter GmbH; Stand Juli 2019; abgerufen am 16. August 2021.
  7. Ricci, F., de Caterina, R., Fedorowski, A. (2015): Orthostatic Hypotension: Epidemiology, Prognosis, and Treatment. J Am Coll Cardiol 2015 Aug; 66(7):848–60.  DOI: 10.1016/j.jacc.2015.06.1084.
  8. Diehl, R. R. et al. (2020): S1-Leitlinie: Synkopen. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 2020 Jan; abgerufen am 16. August 2021.
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  12. Braune, S., Lücking, C. H. (1997): Orthostatische Hypotonie: Pathophysiologie, Differentialdiagnose und Therapie. Dtsch Arztebl 1997; 94(50): A-3413 / B-2877 / C-2673.
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