Urtikaria

Die Urtikaria stellt ein häufiges Krankheitsbild dar. Die charakteristische Effloreszenz der Urtikaria ist die Quaddel. Meist geht die Erkrankung mit Juckreiz einher.

ICD-10 Code
Urtikaria

Definition

Der Begriff Urtikaria umfasst eine heterogene Gruppe von Erkrankungen. Es liegt eine pathologische Reaktion der Haut mit Rötungen, Quaddeln und Pruritus und/oder einer Entwicklung von Angioödemen vor. Man unterscheidet zwischen einer akuten spontanen Urtikaria (<6 Wochen Dauer), welche in der Regel einige Tage andauert, und einer chronischen Form, die ohne symptomfreies Intervall länger als sechs Wochen anhält.

Epidemiologie

Etwa 10 bis 25% der Menschen leiden mindestens einmal in ihrem Leben unter einer akuten spontanen Urtikaria. Sie ist damit eine der häufigsten Erkrankungen. Die Urtikaria betrifft vor allem Menschen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Allerdings können auch Kinder betroffen sein.

Die chronische spontane Urtikaria betrifft hingegen nur 0,5-1% der Bevölkerung. Frauen sind häufiger als Männer von der chronischen Urtikaria betroffen. Meist erkranken Betroffene in der vierten bis sechsten Lebensdekade.

Ursachen

Auslöser der Urtikaria sind meist immunologische Prozesse, die zu einer Histaminfreistetzung aus Mastzellen führen. Dies führt zu einer erhöhten Permeabilität der dermalen Blutgefäße und Ödembildung in der Dermis. Es bilden sich die typischen Quaddeln.

Die Urtikaria wird gemäß der gültigen Leitlinie wie folgt klassifiziert:

Spontane Urtikaria

  • akute spontane Urtikaria (Dauer <6 Wochen)
  • chronische spontane Urtikaria (Dauer >6 Wochen)

Physikalische Urtikaria

  • Kältekontakturtikaria
  • Verzögerte Druckurtikaria
  • Wärmekontakturtikaria
  • Lichturtikaria
  • Reibung (Urticaria factitia)
  • Vibratorische Urtikaria/Angioödem

Weitere Urtikariatypen

  • Aquagene Urtikaria
  • Cholinerge Urtikaria
  • Kontakturtikaria
  • Anstrengungsurtikaria

Urtikaria kann ferner ausgelöst werden durch verschiedene Medikamente (v.a. ACE-Hemmer, Acetylsalicylsäure), Autoimmunerkrankungen und durch Kontakt mit bestimmten Lebensmitteln. Hierbei handelt es sich in den meisten Fällen nicht um eine IgE-vermittelte Typ-1 Reaktion auf Nahrungsmittel, sondern um eine pseudoallergische Reaktion, meist auf Farb-, Konservierungs- oder Aromastoffe.

Chronisch spontane Urtikaria

Die chronische spontane Urtikaria ist häufig mit entzündlichen und infektiösen Erkrankungen assoziiert. Häufig liegen Infektionen des Gastrointestinaltraktes (z.B. mit Helicobacter pylori) vor, oder Infektionen im Nasen-Rachen-Bereich wie z.B. Sinusitiden oder Tonsillitiden. Auch Darmparasiten können in seltenen Fällen zu einer chronischen Urtikaria führen.

Akute Urtikaria

Auch die akute Urtikaria ist häufig Infekt-assoziiert (etwa 40% der Fälle). Sie kann auch Wochen nach dem Infekt auftreten. Psychischer Stress wird zudem als Auslöser und Verstärker der Urtikaria diskutiert.

Häufig kann der Auslöser einer Urtikaria jedoch nicht bestimmt werden. In diesem Falle handelt es sich um eine idiopathische Urtikaria.

Pathogenese

Pathogenese der akuten spontanen Urtikaria

Bei der akuten spontanen Urtikaria sind v.a. die Mastzellen an der Pathogenese der Urtikaria beteiligt. Sie degranulieren nach ihrer Aktivierung und setzen hierbei Histamin und weitere Entzündungsmediatoren frei. Die Aktivierung erfolgt durch eine Vielzahl von Auslösern. Durch die Mediatorausschüttung kommt es zu einer Dilatation und erhöhten Permeabilität der Gefäße. Klinisch macht sich dies als Rötung und intrakutanes Ödem, den typischen Quaddeln, bemerkbar. Durch Aktivierung der Hautnerven entsteht zudem der typische Juckreiz und durch die Freisetzung weiterer Entzündungsmediatoren entsteht das Reflexerythem in der Umgebung der Quaddel.

Ferner führen modulierende Faktoren zu einer veränderten Reizschwelle bei den betroffenen Patienten.

Pathogenese der chronisch spontanen Urtikaria

Bei der chronischen spontanen Urtikaria werden verschiedene komplexe autoimmune Mechanismen diskutiert: Zum einen wird eine Typ-1-Autoimmunität vermutet, bei der IgE-Autoantikörper an Autoallergene (z.B. Thyreoperoxidase) an Mastzellen binden und zur Degranulation selbiger führen. Zudem konnte gezeigt werden, dass es u.a. zu einem perivaskulären Infiltrat aus Entzündungszellen kommt sowie einer milden bis moderaten Erhöhung der Mastzell-Zahl. Es scheinen auch eine veränderte Regulation von Adhäsionsmolekülen und eine veränderte Zytokinexpression eine Rolle zu spielen.

Symptome

Die typische Effloreszenz der Urtikaria ist die Quaddel. Diese zeigt drei typische Merkmale:

  • sie ist flüchtig (das Erscheinungsbild der Haut normalisiert sich innerhalb von 1-24 Stunden)
  • es liegt Juckreiz oder auch selten Brennen vor
  • es liegt eine oberflächliche Schwellung der Haut vor, welche fast immer von einem Erythem umgeben ist

Ist die Schwellung in tieferen Hautschichten lokalisiert, fehlen die typischen Quaddeln und es treten stattdessen unscharf begrenzte, teigige Schwellungen auf: Angioödeme.

Diese sind charakterisiert durch:

  • eine plötzliche Schwellung der tieferen Dermis und Subkutis
  • häufig Beteiligung der Schleimhäute
  • eine Rückbildung dauert mitunter bis zu 72 Stunden

Die Urtikaria kann in etwa der Hälft der Fälle gemeinsam mit einem Angioödem auftreten, welches vor allem im Hals-Nasen-Ohrenbereich zu lebensbedrohlichen Erscheinungen führen kann (Larynxödem).

Die Größe der Quaddeln kann zwischen wenigen Millimetern oder Handteller-Größe variieren. Meist bildet sich um die Quaddeln herum ein Erythem, das sogenannte Reflexerythem. Gelegentlich wandert die Urtikaria über den Körper. Die Rückbildung der akuten Urtikaria dauert in der Regel zwischen 3 und 4 Stunden.

Die Erkrankung verursacht zusätzlich zur Einschränkung der Lebensqualität auch eine Reduktion der Leistungsfähigkeit bei der Arbeit und in der Schule.

Schweregrad

Der Schweregrad der Urtikaria kann u.a. mittels Urtikaria-Aktivitäts-Score (AUS) erfasst werden. Dieser basiert auf der Beurteilung der Quaddeln und des Juckreizes. Dieser Score ist vor allem für Patienten mit chronisch spontaner Urtikaria geeignet. Ergänzend steht seit 2014 der Urtikaria-Kontrolltest zur Verfügung, der die Faktoren Krankheitsaktivität, Lebensqualität, Therapie und Krankheitskontrolle erfasst.

Zur Beurteilung der Lebensqualität kann z.B. der CU-Q20L (chronic Urticaria Quality of Life Questionnaire) verwendet werden.

Diagnostik

Die Diagnostik der Urtikaria beginnt mit einer ausführlichen Anamnese, durch die oft schon Begleitumstände (z.B. vorhandene Allergien, Urtikaria in der Anamnese, (abgelaufener) Infekt, Medikamente) abgeklärt werden können. Folgen sollte der Anamnese eine körperliche Untersuchung, welche die Untersuchung eines Dermographismus miteinschließen sollte. Bei der chronischen spontanen Urtikaria sollte zudem eine laborchemische Abklärung (Differentialblutbild, BSG oder CRP) gemäß der aktuell gültigen Leitlinie erfolgen. Weitere diagnostische Schritte sollten von der Art der Urtikaria abhängig gemacht werden.

Diagnostik bei spezifischem Verdacht

Bei Verdacht auf eine physikalische Urtikaria kann diese mittels physikalischen Provokationstests bestätigt werden. Bei Verdacht auf eine allergische Genese sollte eine Allergieabklärung durchgeführt werden (z.B. Prick-Test, Intrakutan-Test, RAST-Test). Steht eine Nahrungsmittelallergie im Verdacht die Urtikaria auszulösen, sollte man daran denken, dass in diesem Falle meist pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittelbestandteile und Nahrungsmittelzusatzstoffe die Ursache der chronischen Urtikaria sind und eine vorhandene Urtikaria auch verschlimmern können. Besteht der Verdacht auf eine pseudoallergische Reaktion auf Nahrungsmittelzusatzstoffe sollte gemäß der aktuellen Leitlinie eine pseudoallergenarme Diät für mindestens vier Wochen durchgeführt werden. Bei einem Ansprechen auf die Diät sollte eine Provokationstestung zur Diagnostik der Pseudoallergie durchgeführt werden.

Bei Verdacht auf eine ASS-Intoleranz kann eine Provokationstestung erfolgen. Bei Verdacht auf eine infektiöse Erkrankung sollte eine Suche nach einer Infektquelle erfolgen. Bei Verdacht auf Parasiten kann eine Stuhluntersuchung indiziert sein. Bei Verdacht auf eine autoreaktive Urtikaria kann ein autologer Serumtest (ASST) durchgeführt werden. Hierbei wird dem Patienten entnommenes Vollblut intrakutan injiziert. Bei positiver Reaktion zeigt sich eine Quaddelbildung.

Therapie

Die Therapie der Urtikaria gemäß der aktuellen S3-Leitlinie (Stand 2022) erfolgt in einem stufenweisen Schema:

Basistherapie:

  • H1-Antihistaminika: Die erste Therapiestufe umfasst den Einsatz von modernen, nicht-sedierenden H1-Antihistaminika der zweiten Generation in Standarddosis.
  • Dosiserhöhung: Bei unzureichender Symptomkontrolle kann die Dosis dieser Antihistaminika schrittweise bis zum Vierfachen der empfohlenen Tagesdosis erhöht werden.

Zweitlinientherapie:

  • Omalizumab: Falls die Dosissteigerung nicht ausreicht, wird Omalizumab, ein Anti-IgE-Antikörper, hinzugefügt. Es ist insbesondere bei chronisch spontaner Urtikaria effektiv.

Drittlinientherapie:

  • Ciclosporin A: Bei weiterhin persistierenden Symptomen kann Ciclosporin A in Betracht gezogen werden. Es reduziert die Freisetzung von Mastzellmediatoren, ist aber aufgrund seines Nebenwirkungsprofils nicht als Standardtherapie empfohlen.

Systemische Glukokortikosteroide

  • Der langfristige Einsatz von systemischen Glukokortikosteroiden bei chronischer Urtikaria wird aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen nicht empfohlen.
  • Eine Kurzzeitbehandlung über maximal 10 Tage kann bei akuten Exazerbationen der Urtikaria zur Reduktion der Krankheitsaktivität und -dauer hilfreich sein.

Spezifische Therapien:

  • Vermeidung von Triggerfaktoren: Wenn identifizierbar, sollten auslösende Faktoren (z.B. Medikamente, Nahrungsmittel, physikalische Reize) vermieden werden.
  • Phototherapie: Eine Phototherapie (UV-A/UV-B) kann ergänzend eingesetzt werden, insbesondere bei Patienten mit physikalischer Urtikaria.

Prognose

In der Regel ist die akute Urtikaria selbstlimitierend und von kurzer Dauer. Meist tritt eine akute Urtikaria einmalig auf. Bei einem kleinen Teil der Patienten geht die akute Urtikaria in eine chronische Urtikaria über.

Die chronische Urtikaria hingegen dauert bei den meisten Betroffenen zwischen 6 Monaten und 3 Jahren. Allerdings variiert die Dauer der Erkrankung mit 0-40 Jahren erheblich. Falls die Ursachen, Auslöser und aggravierenden Faktoren nicht vermieden werden können, können die Symptome in einem großen Teil der Patienten durch Medikamente wirksam unterdrückt werden. Die Prognose der chronischen Urtikaria ist gut. Sie heilt in der Regel von selbst aus, dies kann jedoch Jahre dauern.

Prophylaxe

Mögliche Triggerfaktoren der Urtikaria sollten, sofern bekannt, vermieden werden. Bei einer Druckurtikaria können zum Beispiel spezielle Polster in der Kleidung oder Verbreiterung von Handtaschengürteln verwendet werden, um die Haut zu schützen.

Ähnliches gilt auch für die Lichturtikaria. Hier kann die exakte Identifizierung des auslösenden Wellenlängenbereiches notwendig sein, um eine passende Auswahl von Sonnenschutzmitteln bzw. UV A-Filtern zu ermöglichen. Häufig ist jedoch die Auslöseschwelle für den physikalischen Faktor sehr niedrig und die Vermeidung des selbigen daher nahezu unmöglich.

Hinweise

AWMF: S3-Leitlinie: Klassifikation, Diagnostik und Therapie der Urtikaria, 2022

Autor:
Stand:
03.09.2024
Quelle:
  1. AWMF Leitlinie, Urtikaria, Klassifikation, Diagnostik und Therapie
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