
Blutgruppenhypothese bestätigt
Bereits seit Wochen wird ein gewisser Zusammenhang zwischen dem AB0-Blutgruppensystem und dem Krankheitsverlauf von COVID-19 vermutet. Mittlerweile untermauern Studien und Preprint-Veröffentlichungen aus Deutschland/Norwegen, China und den USA diese Hypothese. So scheint die Schwere der Symptomatik tatsächlich mit bestimmten Genvariationen zu korrelieren. Menschen mit Blutgruppe A haben demnach ein bis zu 50% höheres Risiko für ausgeprägte Atemwegssymptome. Die Blutgruppe 0 vermittelt offenbar eine protektive Wirkung. Mit diesem Verständnis kann es zukünftig noch leichter gelingen, Risikopatienten klarer einzugrenzen und besser zu schützen.
Studie Kiel-Oslo
Internationale Forscherteams der „Covid-19 Host Genetics Initiative“ verglichen retrospektiv genetische Merkmale von schwer an COVID-19 erkrankten Patienten (definiert durch Atemversagen) mit Proben gesunder Menschen. Eine Publikation erzeugt derzeit besondere Aufmerksamkeit.[1] Professor Andre Franke vom Institut für klinische Molekularbiologie der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und Professor Tom Hemming Karlsen vom Universitätsklinikum in Oslo werteten zusammen mit weiteren Arbeitsgruppen DNA-Material von 1980 Patienten aus italienischen und spanischen Corona-Epizentren wie Barcelona, Madrid, Mailand, Monza oder San Sebastian aus. In die abschließende Analyse flossen Daten von 835 Patienten und 1255 Kontrollpersonen aus Italien sowie 775 Patienten und 950 Kontrollpersonen aus Spanien ein.
Ergebnisse
Die genomweite Assoziationsstudie (GWAS) sollte Auskunft über mögliche genetische Prädispositionen bei COVID-19 geben. Die Studienergebnisse basieren auf der Analyse von mehr als 8,5 Millionen Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP). Auffallend waren vor allem zwei SNP: rs11385942 auf dem Chromosom 3 (3p21.31) und rs657152 auf dem Chromosom 9 (9q34).
- Die SNP rs657152 auf dem 9. Chromosom liegt im AB0-Gen, das die Blutgruppeneigenschaft des Menschen bestimmt. Nach Auswertung aller Untersuchungen zeigten Menschen mit Blutgruppe A mehr beatmungspflichtige und letale Krankheitsverläufe als Erkrankte mit anderen Blutgruppen. Personen mit Blutgruppe 0 wiesen das geringste Risiko fulminanter Symptome auf.
- Auf dem 3. Chromosom umfasste das Assoziationssignal sechs Gene – darunter SLC6A20, das bei Patienten mit COVID-19 überexprimiert wird. Dieses Gen kodiert für ein funktionelles Interaktionsprotein des Angiotensin-Converting-Enzyms 2 (ACE2) den zellulären Rezeptor, mit dem SARS-CoV-2 in die Zelle gelangt. In unmittelbarer Nähe finden sich ferner Gene, die Chemokinrezeptoren kodieren. Das könnte den Krankheitsverlauf ebenfalls negativ beeinflussen.
Die biologischen Marker könnten sich als weitere Puzzlesteine in die Reihe der Risikofaktoren einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 einreihen.
Studie China
Eine bereits zuvor veröffentlichte Früh-Studie aus China zeigt ebenfalls einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppeneigenschaft und COVID-19.[2] Die Forscher untersuchten retrospektiv 2173 COVID-19-Patienten aus Krankenhäusern in Wuhan und Shenzhen. Als Kontrolldaten wurden Ergebnisse verwendet, die etwa zehn Jahre vor dem Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie erhoben wurden.
Ergebnisse
Nach Auswertung der Daten sind Menschen mit der Blutgruppe A empfänglicher für eine Infektion mit SARS-CoV-2 – verglichen mit Personen, die eine andere Blutgruppe aufweisen. Personen mit der Blutgruppe 0 haben im Vergleich mit den Blutgruppen A, B oder AB das geringste Erkrankungsrisiko.
Studie USA
US-amerikanische Wissenschaftler untersuchten unlängst, ob die Blutgruppe mit einer erhöhten Morbidität oder Mortalität von COVID-19 assoziiert ist.[3] Die dazu verwendeten Beobachtungsdaten stammen von 1559 Personen mit bekannter Blutgruppe, die im NewYork-Presbyterian Hospital auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Die Blutgruppeneigenschaft (AB0+Rh) wurde in Relation zum allgemeinen Infektionsstatus, der maschinellen Beatmungspflicht infolge respiratorischer Insuffizienz und dem Tod von COVID-19-Patienten gesetzt.
Ergebnisse
Nach Bereinigung anderer Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Adipositas und chronisch kardiovaskulärer sowie pulmonaler Erkrankungen fanden die Forscher unter den positiv auf COVID-19 getesteten Patienten einen höheren Anteil der Blutgruppe A und einen niedrigeren Anteil der Blutgruppe 0 als bei COVID-negativen Personen. In beiden Fällen war der Unterschied jedoch nur bei Rh-positiven Blutgruppen signifikant. Eindeutige Beweise für einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und einer Intubationspflicht oder dem Tod bei COVID-19-Patienten konnten in dieser vorläufigen Beobachtungsstudie nicht erbracht werden.
Hintergrund
Der biologische Hintergrund einer Blutgruppen-Assoziation bei COVID-19 ist bisher noch nicht vollständig entschlüsselt. Möglicherweise wirken sich Ähnlichkeiten von viralen und Blutgruppen-Antigen-spezifischen glykolysierten Oberflächenstrukturen auf die Fähigkeit der Immunabwehr aus. Darüber hinaus könnten erhöhte Interleukin-6-Konzentrationen eine Rolle spielen. Als weitere These wird das Gerinnungssystem diskutiert. So haben Menschen mit Blutgruppe 0 eine geringere Konzentration an Blutgerinnungsfaktoren als Träger der Blutgruppen A, B und AB. Infolge dürfte sich das Risiko für Myokardinfarkte, zerebrale Ischämien oder Lungenembolien als COVID-19-Komplikationen verringern.
Assoziationen zwischen Blutgruppen und anderen Krankheiten
Zusammenhänge zwischen den Blutgruppen und der Anfälligkeit von Krankheiten wurden bereits in der Vergangenheit festgestellt. Abschließende Erklärungen für das genaue Risikoprofil jeder einzelnen Blutgruppe gibt es bislang aber noch nicht bzw. liegen diese nur in Ansätzen vor. Untersuchungen ergeben unter Anderem folgende Assoziationen:
- Träger der Blutgruppe 0 haben bessere Überlebenschancen bei Malaria.
- Die Blutgruppen A, B, und AB bieten einen gewissen Schutz vor einer Pest-Erkrankung.
- Patienten mit chronischer Pankreatitis besitzen offenbar häufiger die Blutgruppe B.
- Bei Trägern der Blutgruppen A oder AB wird ein erhöhtes Risiko für Diarrhoe infolge einer Infektion mit Rotaviren diskutiert.
- Gedächtnisverlust im Alter scheint öfter Menschen mit der Blutgruppe AB zu treffen.
- Kardiovaskuläre Krankheiten finden sich eher bei Trägern der Blutgruppen A, B und AB.
- Menschen mit Blutgruppe 0 erleiden eher seltener einen Herzinfarkt.