
Bei B- und T-Zell-depletierenden Therapien kann es zu einer langwierigen COVID-19-Erkrankung und einer anhaltenden Virusausscheidung kommen.
Gemäß einer vorab veröffentlichten Studie auf dem Preprint-Server medRxiv wies eine mit SARS-CoV-2 infizierte US-amerikanische Patientin 335 Tage persistierend positive SARS-CoV-2-Nasopharyngealabstriche auf. Drei Jahre zuvor hatte sie sich einer CAR-T-Zelltherapie unterzogen. Innerhalb der elfmonatigen Viruspersistenz veränderte sich das Genom von SARS-CoV-2 stark.
Dies gibt Anlass zur Sorge über die virale Evolution und die Entstehung von Varianten, insbesondere während der Behandlung mit Rekonvaleszenzplasma.
Fallbeschreibung
Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Elodie Ghedin, Expertin auf dem Gebiet der molekularen Parasitologie und Virologie von den National Institutes of Health in Bethesda/Maryland, berichtet in einer Vorabveröffentlichung über eine Patientin um die 40 mit Diabetes mellitus Typ 2, die nahezu ein Jahr mit SARS-CoV-2 infiziert war. Drei Jahre zuvor erkrankte die Frau an einem diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom, woraufhin sie sich mehreren Behandlungen unterzog – darunter eine CAR-T-Zell-Therapie, die gegen das B-Lymphozytenantigen CD19 gerichtet war. Neben der erfolgreichen Elimination der Krebszellen kam es zu einer B-Zell-Aplasie und CD4-Lymphopenie. Die Frau war daraufhin nicht mehr in der Lage, Antikörper gegen das SARS-CoV-2 zu entwickeln, was sich auch in negativen Antikörpertests widerspiegelte.
COVID-19-Verlauf
Die Patientin wurde mit Fieber, Kopfschmerzen, verstopfter Nase und produktivem Husten vorstellig. Eine bei der Aufnahme durchgeführte Computertomografie (CT) des Brustkorbs ergab verstreute, bilaterale, glasige Radiodensitäten und Konsolidierungen. Am ersten Tag (Mai 2020) wurde eine bronchoalveoläre Lavage (BAL) durchgeführt, am zweiten Tag erhielt die Patientin Rekonvaleszenzplasma und intravenöse Immunglobuline. Remdesivir war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfügbar, über den Einsatz von Steroiden in der akuten Situation von COVID-19 gab es keine Evidenz.
Die Patientin wurde nach einem Monat entlassen. Die PCR-Abstriche blieben intermittierend positiv, allerdings mit hohen Ct-Werten von 37 und 38. Aufgrund der insgesamt milden bis fehlenden Symptomatik nahm man an, dass die positiven SARS-CoV-2-Tests lediglich auf die Ausscheidung nicht lebensfähiger Viruspartikel zurückzuführen waren. Wiederholte Thorax-CTs zeigten jedoch bilaterale, zunehmende multifokale Mattigkeitstrübungen mit „Crazy-Paving“ (Pflastersteinmuster) und weitere Veränderungen. Der Sputumbefund war negativ für bakterielle, pilzartige oder mykobakterielle Erreger.
Am Tag 242 wurde Prednison angesetzt, was zu einer mäßigen Verbesserung der Symptome und einer leichten Verbesserung der Röntgenbilder führte. Am Tag 284 stieg die Viruslast mit einem Ct-Wert von 27,5 wieder deutlich an. Eine Echtzeit-PCR für subgenomische RNA (sgRNA) deutete mit einem Ct-Wert von 32,7 auf eine kürzliche Virusreplikation hin. Der SARS-CoV-2-Antikörpertest fiel negativ aus. Kurz darauf verschlechterten sich die Atemsymptome und der Sauerstoffbedarf stieg. Am Tag 313 erfolgte eine erneute Hospitalisation. Die Patientin erhielt Rekonvaleszentenplasma mit einem hohen Antikörpertiter und eine 10-tägige Behandlung mit Remdesivir. Damit konnte die Infektion gestoppt und die Patientin entlassen werden. Das Prednison wurde langsam abgesetzt. In den folgenden drei Monaten erholte sich die Frau und die Milchglastrübungen in der Thorax-Aufnahme waren rückläufig.
Virus-Sequenzierung
Da die diagnostischen Tests zehn Monate nach der Erstdiagnose immer noch eine hohe Viruslast anzeigten, wurde zum Ausschluss einer erneuten Infektion das gesamte SARS-CoV-2-Genom von unterschiedlichen Proben aus der ersten und zweiten stationären Aufnahme sequenziert. Alle Muster konnten der Pango-Stammlinie B.1.332 zugeordnet werden, sodass tatsächlich von einer Infektion über 335 Tage und nicht von einer erneuten Infektion auszugehen ist.
Interessanterweise hatte sich das Virus stark verändert. So enthielten die späteren Proben zwei Deletionen: eine einzigartige In-Frame-Deletion in der N-terminalen Domäne (NTD) des Spike-Proteins und eine vollständige Deletion der kodierenden Regionen ORF7b und ORF8. Letztere betraf 497 Nukleotide in den ORF7b- und ORF8-Genen und ist damit die längste Deletion, die in dieser Region des Genoms gemeldet wurde. Möglicherweise würde die Struktur aufgrund der Abwehrschwäche nicht mehr benötigt; ORF8 hätte sich auch in Zellkulturen als entbehrlich erwiesen, so Ghedin.
Bemerkenswert ist ferner, dass mehrere der Aminosäureveränderungen, die in den späteren Proben (Tag 313 und 314) identifiziert wurden, als Minderheitsvarianten in den ersten Proben vorhanden waren, was eine frühe heterogene Infektion nahelegt. Umgekehrt fand sich eine in den frühen Proben nachgewiesene Konsensänderung auch als Minderheitsvariante in der letzten Probe an Tag 335.
Fazit
Laut Ghedin handelt es sich um die bisher langwierigste bekannte chronische Infektion mit SARS-CoV-2. Alle beobachteten Veränderungen deuten darauf hin, dass sich das Virus bei dieser Patientin mit ungefähr der gleichen Evolutionsrate entwickelt hat, die für SARS-CoV-1 und für SARS-CoV-2 in der globalen Population berichtet wurde – das bedeutet etwa zwei feste Mutationen pro Monat. Theoretisch könnten die neuen Varianten Ausgangspunkt einer neuen Krankheitswelle werden.
Noch ist unklar, warum eine Deletion in den ORF7b- und ORF8-Genen bei einem immungeschwächten Patienten auftritt. Eventuell handelt es sich um eine Reaktion auf die Serumtherapie, die die Viren vor der Beseitigung durch die neutralisierenden Antikörper schützte, so Ghedin. Um die Entwicklung von SARS-CoV-2 in immungeschwächten Wirten zu verstehen, sind weitere Untersuchungen notwendig – insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Virusübertragung und die Entstehung von Mutationen.