
Hintergrund
In zwei parallel durchgeführten Studien untersuchten kanadische Forschende mögliche Zusammenhänge zwischen einer zurückliegenden symptomatischen Covid-19-Erkrankung und neurokognitiven Funktionen sowie psychiatrischen Symptomen. Die Beurteilung erfolgte anhand von Denkaufgaben, funktioneller Hirnbildgebung und einer prospektiven Bevölkerungsumfrage. Nach Auswertung aller Daten scheint sich Long-Covid tatsächlich negativ auf die kognitive Leistung auszuwirken, ebenso auf psychiatrische Symptome wie Angstzustände und Depression – insbesondere bei älteren Frauen. Ungeimpfte Personen waren geringfügig stärker betroffen. Die Ergebnisse der Studien wurden in der Fachzeitschrift „Brain, Behavior & Immunity – Health“ veröffentlicht [1].
Labor-Querschnittsstudie und zweiwellige Bevölkerungserhebung
Studie 1 war eine Labor-Querschnittsstudie, die zwischen dem 3. Mai und 16. November 2022 mit 120 vollständig geimpften Erwachsenen im Alter von 18 bis 84 Jahren durchgeführt wurde. Die Arbeit untersuchte, inwiefern sich eine frühere symptomatische Covid-19-Erkrankung auf die kognitive Leistung auswirkt – gemessen anhand von drei Computeraufgaben zur Bewertung der neurokognitiven Funktion (Eriksen-Flanker-Interferenz, zeitliche Diskontierung und einfache Reaktionszeit). Zudem wurde die Sauerstoffsättigung im präfrontalen Kortex mittels funktioneller Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS) bestimmt.
Bei Studie 2 handelte es sich um eine zweiwellige Bevölkerungserhebung mit 2.002 KanadierInnen zwischen 18 und 56 Jahren. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom 28. September 2021 bis 21. März 2022. Die Forschenden ermittelten den Zusammenhang zwischen symptomatischem Covid-19 und selbstberichteten kognitiven Defiziten, depressiven Symptomen, Angststörungen und Unruhe. Geimpfte und ungeimpfte Personen waren in gleicher Zahl vertreten.
Ergebnisse der Labor-Querschnittsstudie
Eine symptomatische Covid-19-Erkrankung wirkte sich signifikant auf die Flanker-Interferenz-Scores und die zeitliche Diskontierung aus.
Flanker-Interferenz
Höhere Flanker-Interferenzwerte (= verlangsamte Reaktionszeit) waren bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern und manifestierten sich eher bei kognitiver Verarbeitung mit hohen Anforderungen (inkongruente Flanker-Versuche) als bei weniger anspruchsvollen Aufgaben.
Das Interferenzphänomen wurde von aufgabenbezogenen Veränderungen der zerebralen Sauerstoffversorgung im rechten Gyrus frontalis superior begleitet.
Zeitliche Diskontierung
Verglichen mit coronanaiven Personen zeigten Menschen nach einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung eine verstärkte Verzögerungsdiskontierung. Dieser Effekt war bei älteren erwachsenen Frauen stärker ausgeprägt als bei jüngeren Frauen und allen Männern.
Die Ergebnisse, insbesondere die geschlechtsspezifischen Merkmale, stimmen mit mehreren anderen Untersuchungen überein, in denen Frauen ebenfalls anfälliger für kognitive Auswirkungen von Long-Covid sind, schreiben die StudienautorInnen.
Ergebnisse der bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe
In Studie 2 war eine symptomatische Covid-19-Anamnese zu Studienbeginn nach sechs Monaten mit selbstberichteten kognitiven Funktionsstörungen und psychiatrischen Symptomen wie Angst, Depression und Unruhe assoziiert. Neurokognitive Dysfunktionen hatten dabei einen erheblichen Einfluss auf depressive Beschwerden und Angststörungen.
Weiterhin fiel auf, dass ungeimpfte Personen eine geringfügig höhere Wahrscheinlichkeit hatten, nach einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung psychiatrische Symptome zu entwickeln.
Fazit: Assoziation zwischen Covid-19 und kognitiven Einschränkungen/psychiatrischen Symptome wahrscheinlich
Die übereinstimmenden Ergebnisse von Labor- und Bevölkerungsumfragedaten stützen die These, dass eine symptomatische Covid-19-Erkrankung sowohl mit kognitiven Einschränkungen als auch mit psychiatrischen Symptomen assoziiert ist, schlussfolgert das Studienteam.
Vielfach schienen die Befunde bei Frauen stärker ausgeprägt zu sein als bei Männern und bei älteren Frauen stärker als bei jüngeren. Das sollte in weiteren Studien untersucht werden – ebenso ein möglicherweise protektiver Effekt der Impfung, so die Forschenden.
Einschränkungen der Studie
Die Ergebnisse beider Studien wurden während einer früheren Pandemiephase erhoben. Somit gibt es keine Anhaltspunkte, ob die Omikron-Variante und spätere SARS-CoV-2-Mutationen die gleichen zerebralen Auswirkungen haben wie die damals zirkulierenden Virusvarianten.