
Hintergrund
Eine MMR (Masern, Mumps, Röteln) Impfung könnte als vorbeugende Maßnahme zur Dämpfung von septischen Entzündungen im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion dienen, wie ein Expertenteam diese Woche in mBIO der American Society of Microbiology postulierte. Da die Impfung mit MMR bei immunkompetenten Personen keine Kontraindikationen aufweist, könne diese nach Ansicht der Autoren besonders wirksam für Beschäftigte im Gesundheitswesen sein, die COVID-19 ausgesetzt sind.
Warum könnte ein Lebendimpfstoff schützen?
Ihre Hypothese basiert auf der Annahme, dass die Verabreichung eines attenuierten Lebendimpfstoffs wie bspw. MMR einen unspezifischen Schutz gegen tödliche Infektionen bieten kann, obwohl diese nicht mit dem Zielpathogen zusammenhängen. Grund sei, dass die Produktion unspezifischer angeborener Immunzellen induziert werden würde, welche dann die Reaktionen des Wirts gegen nachfolgende Infektionen verbessert, indem sie Leukozytenvorläuferzellen im Knochenmark trainieren.
Gibt es Belege?
Aufbauend auf Forschungen aus anderen Ländern untersuchte das Team den Versuch eines Labors, in dem abgeschwächter Lebendimpfstoff gegen Mycobacterium bovis (BCG) gegen tödliche polymikrobielle Sepsis eingesetzt wurde. Sie entdeckten, dass der beobachtete Schutz durch langlebige myeloide Suppressorzellen (MDSCs) hervorgerufen wurde, von denen bereits bekannt war, dass sie septische Entzündungen unterdrücken können. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass auch ein MMR-Impfstoff in der Lage sein sollte, MDSCs zu induzieren, welche dann die mit COVID-19 verbundene schwere Lungenentzündung / Sepsis hemmen oder reduzieren könnten.
Hospitalisierungsrate
Die Hypothese wird weiterhin von den Vorkommnissen auf der USS Roosevelt gestützt. Von 955 COVID-19-positiven Seeleuten der Roosevelt musste nur ein Patient hospitalisiert werden. Ein Grund der geringen Hospitalisierungsrate auf der Roosevelt sehen die Autoren in den strengen Impfrichtlinien für alle neuen Rekruten: Im Gegensatz zur allgemeinen Bevölkerung, die normalerweise nur im Kindesalter MMR-Impfungen erhält, werden beim US-Militär alle neuen Rekruten bei der Einreise unabhängig von der vorherigen Impfgeschichte mit MMR geimpft.
Nach Angaben des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums CDC (Centers for Disease Control and Prevention) beträgt die Hospitalisierungsrate bei 20- bis 44-Jährigen COVID-19 Patienten normalerweise 14,3% bis 20,8%. Übertragen auf die Hospitalisierungsrate der Roosevelt, hätte es über 100 Krankenhausaufenthalte geben müssen.
Strukturelle Ähnlichkeit
Wissenschaftler der Universität Cambridge weisen in einem Preprint zudem auf die strukturelle Ähnlichkeit des Rötelnvirus und SARS-CoV-2 hin. Die Makrodomänen von SARS-CoV-2 und des Rötelnvirus weisen eine Aminosäuresequenzidentität von 29% auf. Weiterhin fand das Team bei COVID-19-Patienten einen erhöhten Röteln-IgG-Spiegel.
Grund warum Kinder besser geschützt sind?
Mit ihrer Hypothese versuchen die Autoren auch die milden Corona-Verläufe bei Kindern zu erklären. Sie nehmen an, dass ihre häufigere Exposition gegenüber abgeschwächten Lebendimpfstoffen (MMR, Rotavirus, Windpocken), die die MDSCs induzieren können, Entzündungen durch Infektionen begrenzen und damit das Risiko für eine Sepsis bzw. für einen schweren Verlauf von COVID-19 reduzieren.
Aussicht
Die Forscher schlagen eine klinische Studie vor, in der nun untersucht werden soll, ob ein MMR-Impfstoff vor COVID-19 bzw. vor einem schweren Verlauf der Erkrankung schützen kann. Dr. Paul Fidel, Autor der Publikation und stellvertretender Dekan für Forschung an der Louisiana State University Health School of Dentistry appelliert: „Wenn Erwachsene als Kind die MMR bekommen haben, haben sie wahrscheinlich immer noch ein gewisses Maß an Antikörpern gegen Masern, Mumps und Röteln, aber wahrscheinlich nicht die myeloiden Suppressorzellen. Ein MMR-Booster würde die Antikörper gegen Masern, Mumps und Röteln verstärken und die MDSCs wieder aktivieren.“