
Bis zum Ausbruch im Mai 2022 traten Affenpocken beim Menschen außerhalb von West- und Zentralafrika nur äußerst selten auf. Über die virale Dynamik oder die Dauer der Virusausscheidung gibt es keine validen Daten, ebenso wenig über die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Behandlungsmethoden. In Europa ist Tecovirimat das bisher einzige von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Therapie einer Affenpockeninfektion zugelassene Arzneimittel. Ebenso ist der Wirkstoff bei Pocken und Kuhpocken sowie zur Behandlung von Komplikationen infolge der Replikation des Vaccinia-Virus nach einer Pockenimpfung indiziert.
Brincidofovir wurde hierzulande noch keine Zulassung erteilt. In den USA ist der Wirkstoff für die Therapie von Pocken genehmigt. Zum Einsatz bei Affenpocken gibt es keine Erkenntnisse. Daten aus In-vitro-Studien lassen zwar auf eine Wirksamkeit bei Affenpocken schließen, tierexperimentelle oder humane Daten fehlen aber bislang. Ursprünglich war Brincidofovir zur Behandlung und Prophylaxe von Zytomegalievirus-Infektionen bei Patienten nach Stammzelltransplantation entwickelt worden. Ferner kam das Breitspektrum-Virostatikum während der Ebola-Epidemie in Westafrika zwischen 2014 und 2016 zum Einsatz.
Zielsetzung
Eine Arbeitsgruppe um Dr. Hugh Adler, Tropenmediziner an der Universitätsklinik in Liverpool, untersuchte den Verlauf von Affenpocken bei sieben Patienten. Analysiert wurden die klinischen Merkmale, virologische Längsschnittbefunde, etwaige Komplikationen und das Behandlungsmanagement. Letzteres erfolgte als antivirale Therapie mit Tecovirimat oder Brincidofovir.
Methodik
Die retrospektive Beobachtungsstudie umfasste vier Männer und drei Frauen. Bei allen wurden zwischen 2018 und 2021 in Großbritannien Affenpocken diagnostiziert (definiert als kompatible klinische Erkrankung mit positiver Affenpockenvirus-PCR an einer beliebigen anatomischen Stelle). Vier von ihnen waren Reiserückkehrer aus Westafrika, drei infizierten sich im Vereinigten Königreich: Ein Patient arbeitete im Gesundheitswesen und erwarb das Virus nosokomial bei der Betreuung eines Affenpocken-Patienten; zwei steckten sich in häuslicher Umgebung bei einem Patienten an, der das Virus aus Nigeria importierte.
Drei Patienten wurden mit 200 mg Brincidofovir dreimal wöchentlich behandelt, einer nahm zweimal täglich 600 mg Tecovirimat über zwei Wochen ein.
Ergebnisse
Alle sieben Patienten hatten pleomorphe Hautläsionen, einschließlich Papeln, Bläschen, Pusteln, ulzerierende Läsionen und Schorf. Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) für Affenpockenvirus-DNA war positiv. Bei allen Patienten konnte Affenpockenvirus-DNA in Abstrichen der oberen Atemwege nachgewiesen werden. Sechs Patienten zeigten zudem virale DNA im Blut und vier im Urin.
Unter Brincidofovir stiegen die Leberwerte bei allen drei Patienten so stark an, dass die Therapie vorsorglich abgebrochen wurde. Eine klinische Wirksamkeit gegen Affenpocken war nicht zu verzeichnen. Allerdings wurde die Behandlung erst sieben Tage nach dem Auftreten der Hautsymptome eingeleitet. Möglicherweise wären die Ergebnisse bei früherem Therapiebeginn oder einem anderen Dosierschema besser ausgefallen, so die Studienautoren.
Die Tecovirimat-Therapie wurde kurz nach dem Auftreten von Hautläsionen begonnen. Hier verkürzten sich die Virusausscheidung und Symptomdauer im Vergleich zu den anderen Affenpocken-Fällen. Mit zehn Tagen lag die Hospitalisierungszeit deutlich unter der der übrigen Patienten, die aufgrund anhaltend positiver PCR-Tests mehr als drei Wochen (Bereich 22–39 Tage) auf einer Isolationsstation verbringen mussten. Unerwünschte Wirkungen wurden nicht registriert.
Unabhängig von der erhaltenen Behandlung erholten sich alle Patienten nach Abklingen der Virämie und Abheilen aller Hautläsionen vollständig.
Fazit
Die Studienergebnisse weisen auf eine Wirksamkeit von Tecovirimat bei Affenpocken hin, zudem auf eine gute Verträglichkeit. Aufgrund der sehr geringen Stichprobe ist eine abschließende sichere Bewertung aber nicht möglich. Hierfür sind weitere Untersuchungen erforderlich. Die Studienautoren sehen einen dringenden Bedarf an prospektiven Studien über Virostatika für diese Krankheit.
Tecovirimat in Europa nur eingeschränkt verfügbar
Tecovirimat ist für Erwachsene und Kinder mit einem Körpergewicht ab 13 kg einsetzbar. Aufgrund des Risikos einer raschen Resistenzentwicklung sollte die Indikation streng gestellt werden. Die Behandlung ist primär Personen mit der Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs vorbehalten.
Derzeit ist Tecovirimat in Europa nur sehr eingeschränkt erhältlich. Bei fehlender Verfügbarkeit oder Kontraindikationen gegen den Wirkstoff kann bei fulminantem Verlauf die Anwendung humaner Vaccinia-Immunglobuline erwogen werden. Vaccinia Immunglobulin (VIGIV, Emergent Biosolution) ist zur Behandlung von Komplikationen der klassischen Pockenimpfung zugelassen. Daten zur Behandlung oder Prophylaxe von Affenpocken sind bislang nicht vorhanden. Dennoch empfehlen die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bei Patienten mit schweren T-Zell-Defekten, bei denen eine Impfung kontraindiziert ist, eine Behandlung und prophylaktische Gabe mit dem Vaccinia Immunglobulin in Betracht zu ziehen.