
Hintergrund
Das Arzneimittel Zolgensma der Novartis-Tochter Avexis ist in den USA bereits seit Mai 2019 für die Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA) zugelassen und wird nun auch ab dem 1. Juli in Deutschland erhältlich sein, nachdem im Mai die Europäische Kommission die bedingte Zulassung für das Gentherapeutikum erteilt hatte. Das Medikament geriet immer wieder aufgrund seines hohen Preises von rund zwei Millionen Dollar pro Dosis in die Schlagzeilen. Nach Angaben von Novartis werde in Europa die endgültige Preisgestaltung und die Entscheidung über die Kostenerstattung auf lokaler Ebene getroffen. Weiterhin habe man ein sog. "Day One"-Zugangsprogramm initiiert, das so konzipiert sei, dass es innerhalb bestehender lokaler Preis- und Erstattungsrahmen funktioniere und den Gesundheitsministerien und Erstattungsstellen eine Vielzahl flexibler Optionen bieten solle. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbands kann Zolgensma nach der offiziellen Markteinführung sofort von Ärzten zulasten der GKV verordnet werden. In den ersten zwölf Monaten nach Markteintritt eines Arzneimittels gilt zunächst der vom Hersteller festgelegte Preis. Erst danach wird der Preis gelten, der zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt wurde und der auf der Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) beruht.
Anders als das bisher einzige für diese Indikation zugelassene Medikament Spinraza (Nusinersen) soll Zolgensma in der Lage sein, mit nur einer Anwendung die Erkrankung zu heilen.
Was ist Zolgensma und wofür wird es angewendet?
Zolgensma ist eine Vektorgenom Infusionslösung (Onasemnogen-Abeparvovec), die durch DNS-Rekombinationstechnologie in menschlichen embryonalen Nierenzellen gebildet wird und das humane Survival-Motoneuron- (SMN) Protein exprimiert (die Ursache der spinalen Muskelatrophie ist eine Mutation des SMN1-Gens).
Es handelt sich um einen nicht replizierenden rekombinanten adeno-assoziierten Vektor auf der Basis des Virus-Serotyps 9 (AAV9), der die cDNA des humanen SMN-Gens unter der Kontrolle des Cytomegalievirus-Enhancers/Hühner-β-Aktin-Hybrid-Promotors enthält.
Zolgensma wird angewendet zur Behandlung von:
- Patienten mit 5q-assoziierter spinaler Muskelatrophie (SMA) mit einer biallelischen Mutation im SMN1-Gen und einer klinisch diagnostizierten Typ-1-SMA, oder
- Patienten mit 5q-assoziierter SMA mit einer biallelischen Mutation im SMN1-Gen und bis zu 3 Kopien des SMN2-Gens
Die SMA ist eine seltene, fortschreitende neuromuskuläre Erkrankung, die mit schweren Schädigungen der Muskelfunktionen einschließlich der Atmung einhergeht. Sie ist die häufigste Erbkrankheit mit Todesfolge im Säuglingsalter, von der rund 1 von 10.000 Neugeborenen betroffen ist.
Wie wird Zolgensma angewendet?
Zolgensma ist zur intravenösen Anwendung bestimmt und sollte mit der Spritzenpumpe als einzelne intravenöse Infusion langsam über einen Zeitraum von etwa 60 Minuten verabreicht werden und darf nicht als schnelle intravenöse Infusion oder Bolus appliziert werden.
Die Behandlung sollte in klinischen Zentren erfolgen und von einem Arzt überwacht werden, der über Erfahrung in der Therapie von Patienten mit SMA verfügt. Vor der Therapie sind Ausgangs-Laboruntersuchungen erforderlich einschließlich:
- AAV9-Antikörpertestung mit einem entsprechend validierten Test
- Leberfunktion: Alaninaminotransferase (ALT), Aspartataminotransferase (AST) und Gesamtbilirubin
- Thrombozytenzahl
- Troponin-I
Bei der Therapie müssen eine engmaschige Überwachung der Leberfunktion, der Thrombozytenzahl und des Troponin-I-Spiegels sowie eine begleitende Kortikosteroid-Behandlung erfolgen. Bei Vorliegen einer akuten oder chronischen, unkontrollierten aktiven Infektion sollte die Behandlung so lange aufgeschoben werden, bis die Infektion abgeklungen oder unter Kontrolle ist.
Dosierung
Die Patienten erhalten eine Dosis von nominal 1,1 x 1014 vg/kg Onasemnogen-Abeparvovec. Das Gesamtvolumen wird anhand des Patientenkörpergewichts bestimmt. Genaue Angaben können der Fachinformation entnommen werden.
Wie wirkt Zolgensma?
Bei Onasemnogen-Abeparvovec handelt es sich um eine Gentherapie, die darauf abzielt, eine funktionsfähige Kopie des Survival-Motoneuron-Gens (SMN1) in die transduzierten Zellen einzubringen, um die monogenetische Grundursache der Erkrankung zu behandeln. Durch das Bereitstellen einer alternativen Quelle der SMN-Proteinexpression in Motoneuronen werden voraussichtlich das Überleben und die Funktion der transduzierten Motoneuronen gefördert.
Gegenanzeigen
Zolgensma darf nicht angewendet werden bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der genannten sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
Nebenwirkungen
Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen nach der Anwendung von Zolgensma waren in klinischen Studien eine vorübergehende Erhöhung der Leber-Transaminasen (12,4%) und Erbrechen (8,2%).
Wechselwirkungen
Für Onasemnogen-Abeparvovec wurden keine Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen durchgeführt. Allerdings sollte wenn möglich der Impfplan des Patienten an die begleitende Kortikosteroid-Gabe vor und nach der Infusion von Zolgensma angepasst werden.
Studienlage
Die Zulassung basiert auf den abgeschlossenen Phase-III-STR1VE-US- und Phase-I-START-Studien, in denen Wirksamkeit und Sicherheit einer einmaligen intravenösen Infusion von Zolgensma bei SMA-Typ-1-Patienten jünger als sechs Monate bewertet wurde.
STR1VE-US-Studie
Insgesamt nahmen 22 Patienten mit SMA Typ-1 an der klinischen Phase-III-STR1VE-Studie teil. Das Durchschnittsalter der Patienten zum Zeitpunkt der Behandlung betrug 3,7 Monate (Bereich 0,5 bis 5,9 Monate). Es konnte gezeigt werden, dass Zolgensma die Notwendigkeit einer künstlichen Beatmung bei Babys mit spinaler Muskelatrophie verringert. 20 der 22 Babys, denen Zolgensma verabreicht wurde, waren nach 14 Monaten ohne permanentes Beatmungsgerät noch am Leben. Ohne Behandlung überleben normalerweise nur ein Viertel der Patienten ohne Beatmungsgerät.
Das Gentherapeutikum zeigte weiterhin eine schnelle Verbesserung der motorischen Funktionen sowie die Möglichkeit ohne Unterstützung sitzen (bei 50% der Patienten) oder krabbeln und gehen zu können. Derartige motorische Fähigkeiten wurden bislang bei unbehandelten SMA-Typ-1-Patienten nie erreicht.
START-Studie
15 Patienten mit SMA Typ 1 nahmen an der klinischen Phase-I--Studie teil. Die Patienten in der Studie wurden in 2 Gruppen aufgeteilt. 3 Patienten in Gruppe 1 erhielten eine niedrige Dosis Zolgensma und 12 Patienten in Gruppe 2 erhielten eine hohe Dosis. Das Durchschnittsalter der Patienten zum Zeitpunkt der Behandlung betrug 6,3 Monate (Bereich 5,9 bis 7,2 Monate) in Gruppe 1 und 3,4 Monate (Bereich 0,9 bis 7,9 Monate) in Gruppe 2. 24 Monate nach der Behandlung waren 100% (12/12) der Patienten in Gruppe 2 (hohe Dosis) am Leben und benötigten keine dauerhafte Atemunterstützung. 75 Prozent der Patienten (9/12) konnte ohne Hilfe für mindestens 30 Sekunden sitzen und 17 Prozent (2/12) konnte ohne Hilfe Stehen oder Laufen. Von den 3 Patienten in Gruppe 1, die eine niedrige Dosis erhielten benötigte 1 Patient dauerhafte Atemunterstützung und einer der Patienten konnte ohne Hilfe sitzen oder stehen.