
Die Behandlung von Harnwegsinfektionen umfasst sowohl antibiotische als auch nicht-antibiotische Therapeutika wie verschiedenen Phytopharmaka. Antibiotika sind insbesondere bei akuten Blasenentzündungen (Zystitis) indiziert und verkürzen die Krankheitsdauer. Sie sind jedoch nicht in jedem Fall notwendig, da unkomplizierte Blasenentzündungen meist selbstlimitierend sind und innerhalb von einer Woche abheilen.
Die eingesetzten pflanzlichen Mittel enthalten unter anderem Cranberry, Bärentraubenblättern, Kapuzinerkressekraut oder Meerrettichwurzel. Sie sollen keimhemmend, entzündungshemmend oder harntreibend wirken und so die Krankheitsdauer verkürzen oder ein Rezidiv vermeiden.
Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat ein Wissenschaftsteam unter der Federführung der »Gesundheit Österreich GmbH« in Wien die Datenlage zu pflanzlichen Präparaten zur Akutbehandlung und Prophylaxe von Harnwegsinfektionen analysiert. Die meisten der Studien beschäftigten sich mit Cranberry-Produkten.
Harnwegsinfektionen sind häufiges Problem
Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten Gründen für einen Arztbesuch und können entstehen, wenn Bakterien, wie Escherichia coli durch die Harnröhre in die Blase aufsteigen. Frauen sind aufgrund anatomischer Gegebenheiten häufiger davon betroffen.
Zu den typischen Symptomen zählen schmerzhafter, häufiger und unbeherrschbarer Harndrang, Schmerzen beim Wasserlassen sowie Schmerzen oberhalb des Schambeins.
Eine akute unkomplizierte Zystitis ist in der Regel selbstlimitierend und dauert etwa eine Woche an. Von einer rezidivierenden Harnwegsinfektion spricht man, wenn ≥2 symptomatische Episoden innerhalb von 6 Monaten oder ≥3 symptomatische Episoden innerhalb von 12 Monaten auftreten.
Antibakterielle Effekte der Cranberry
Den Inhaltsstoffen der Cranberry wie Proanthocyanidinen, Fructose, Xyloglucan und Phenolderivaten wird ein Fimbrien-blockierender Effekt zugeschrieben, der das Anhaften von Bakterien an der Blasenwand verhindert.
Es sind verschiedene Darreichungsformen wie Kapseln, Tabletten, Säfte und getrocknete Beeren auf dem Markt erhältlich.
Studienlage
Für die vom IQWiG beauftragte Analyse wurden 15 randomisiert-kontrollierte Studien mittels Literaturrecherche identifiziert, um die Wirksamkeit pflanzlicher Mittel bei Blasenentzündungen zu beurteilen. Über die Gegenüberstellung der Ergebnisse der Einzelstudien hinaus wurden Metaanalysen und Sensitivitätsanalysen durchgeführt sowie Effektmodifikatoren untersucht.
Die meisten Studien (12) beschäftigten sich mit Cranberry-Präparaten, davon verglichen 8 Studien die Cranberry-Präparate mit Placebo, 2 mit Antibiotika, 1 Studie mit weiteren pflanzlichen Präparaten und 1 untersuchte unterschiedliche Dosierungen. Die drei verbliebenen Studien untersuchten anderen pflanzliche Präparate (Bärentraubenblätter und Löwenzahn bzw. Liebstöckelwurzel, Rosmarinblätter und Tausendgüldenkraut).
Zur Behandlung einer bestehenden, unkomplizierten Blasenentzündung wurden keine Studien gefunden.
Vorteil gegenüber Placebo
In einer Metaanalyse der beauftragten Autorengruppe, in die 6 Studien eingeschlossen wurden, zeigte sich bei der Vermeidung von Rezidiven ein statistisch signifikanter Vorteil von Cranberry-Präparaten im Vergleich zu Placebo (Inzidenzratenverhältnis [IRR]=0,58; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,38-0,89; n=1.151) über einen Zeitraum von meist 6 bis 12 Monaten.
Zudem konnte ein Hinweis auf eine Verlängerung des Zeitraums bis zum nächsten Rezidiv aus drei der untersuchten Studien abgeleitet werden (IRR=0,47; 95%-KI 0,34-0,65; n = 645).
Vergleich mit Antibiotika
Im Vergleich zur Antibiotika-Therapie zur Prophylaxe von Harnwegsinfektionen zeigten sich in einer der zwei identifizierten Studien ein Anhaltspunkt für einen geringen Nutzen der Cranberry-Präparate gegenüber Trimethoprim/Sulfamethoxazol. Allerdings ist eine antibiotische Langzeittherapie keine Therapieoption erster Wahl zur Vorbeugung von Harnwegsinfektionen.
Andere pflanzliche Präparate
Die Studie zu Bärentraubenblättern und Löwenzahn lieferte Anhaltspunkte für einen Zusatznutzen im Vergleich zu Placebo. Die Studie zu einem Präparat aus Liebstöckelwurzel, Rosmarinblättern und Tausendgüldenkraut in der Kombination mit Antibiotika gab Hinweise auf einen Zusatznutzen im Vergleich zur alleinigen Behandlung mit Antibiotika.
Limitationen
Die Studien waren insgesamt sehr heterogen hinsichtlich der untersuchten Studienpopulationen, der Interventionen und Vergleichsinterventionen sowie der Endpunkterhebung. Das Verzerrungspotential wurde als hoch eingestuft.
Nur eine der Studien schloss Ergebnisse zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität ein, obwohl wiederkehrende Blasenentzündungen mit vielen persönlichen Belastungen verbunden sein können. Diese zeigte keinen Unterschied zwischen der Interventions- und Vergleichsgruppe. Nebenwirkungen wurden insgesamt wenig bis gar nicht untersucht.
Zudem unterschieden sich die Präparate hinsichtlich ihrer Zusammensetzung. Es wurden in 8 Studien Monopräparate, in 3 Studien Kombinationspräparate und in einer Studie beides verwendet. Oft ließ sich nicht genau nachvollziehen, welche Wirkstärken und Dosierungen verwendet wurden, was die Übertragbarkeit auf verfügbare Cranberry-Produkte erschwert.
Fazit
Laut S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) können Cranberry-Präparate derzeit aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Daten nicht bei Harnwegsinfektionen empfohlen werden. Die vom IQWiG beauftragte Analyse schließt allerdings neuere Studien mit ein, die zum Zeitpunkt der Erstellung der Leitlinie noch nicht vorlagen.
Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass Cranberry-Präparate das Risiko für eine rezidivierende unkomplizierte Blasenentzündung reduzieren können. Die Produkte zeigen eine gute Verträglichkeit. Allerdings muss eine dauerhafte Einnahme erfolgen und die Präparate müssen von den Patienten selbst bezahlt werden.
Im Vergleich zur Antibiotika-Gabe sind Cranberry-Präparate wahrscheinlich weniger wirksam. Allerdings eignen sich Antibiotika nur bedingt zur Vorbeugung von Harnwegsinfektionen, da das Risiko für eine Resistenzbildung erhöht ist und Nebenwirkungen wie Verdauungsstörungen, Hautausschlag und vaginale Pilzinfektionen auftreten können.
Weitere Studien nötig
Cranberry-Präparate sind sowohl als Nahrungsergänzungsmittel als auch Arzneimittel auf dem deutschen Markt verfügbar. Patientinnen sind daher mit einem sehr unübersichtlichen Angebot konfrontiert.
Die Autoren erläutern, dass weitere, qualitativ hochwertige Studien nötig zu Cranberry-Präparaten nötig seien, die genaue Angaben zur Dosierung sowie den Gehalt an Proanthocyanidinen benennen. Zuvor seinen keine klaren Aussagen zur Wirksamkeit der Mittel sowie der Übertragbarkeit auf in Deutschland verfügbare Präparate möglich. Auch zu der Frage, ob pflanzliche Präparate den Einsatz von Antibiotika verringern können. fehlen aussagekräftige Studien.