DZT 2021: Die vielseitigen Wirkungen von Metformin

Die Wirkmechanismen von Metformin sind vielseitig, aber bisher nicht vollständig geklärt. Derzeit rücken Effekte auf den Darm in den Fokus, aber auch Wirkungen bei PCOS, kardiovaskulären und Krebserkrankungen sowie Anti-Aging-Prozessen werden diskutiert.

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Metformin gilt als Mittel der ersten Wahl bei der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. Obwohl der Wirkstoff seit Jahrzehnten eingesetzt wird, ist der Wirkmechanismus aufgrund seiner Komplexität nicht vollständig geklärt. Metformin greift in verschiedenste Stoffwechselwege ein. Neuere klinische Erkenntnisse deuten darauf hin, dass insbesondere die Wirkung im Darm die meisten vorteilhaften Effekte bedingt. Die unterschiedlichen Angriffspunkte bieten ein Potenzial für weitere Anwendungsgebiete von Metformin.

Auf dem XXXII. Internationalen Fortbildungskurs in praktisch-klinischer Diabetologie des Diabeteszentrums Thüringen e.V. (DZT) stellte Prof. Dr. Amelie Lupp vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie des Universitätsklinikums Jena neue Erkenntnisse zur Wirkweise von Metformin vor.

Wirkmechanismus von Metformin

Bekannt ist, dass Metformin in der Leber den Komplex I der Atmungskette in den Mitochondrien hemmt. Daraufhin kommt es zu einer verminderten ATP-Synthese und zum Anstieg der AMP-Konzentration. AMP stimuliert zum einen die AMP-Kinase (AMPK), die wiederum verschiedene nachgeschaltete Proteine aktiviert, wodurch sich vor allem die insulinsensitive Wirkung von Metformin erklären lässt.

Zum anderen scheint AMP die Glucagon-induzierte cAMP-Synthese zu reduzieren, sodass die hepatische Gluconeogenese gehemmt wird. Metformin scheint zudem unabhängig von der AMPK mit dem Redoxpotential der Mitochondrien zu interferieren, was ebenfalls die Gluconeogenese vermindert, aber auch mit einer verringerten Umsetzung von Laktat zu Pyruvat und damit wahrscheinlich der Neigung zu Laktatazidosen einhergeht.

Effekte der Metforminwirkung

Die folgenden Effekte sind auf die Metforminwirkung zurückzuführen.

  • Hemmung der Glucoseproduktion und der Gluconeogenese in der Leber
  • Erhöhte Fettsäure-β-Oxidation
  • Verbesserte Glucoseaufnahme in Muskel- und Fettzellen
  • Verstärkter Glucoseabbau (Glykolyse)
  • Erhöhte Insulinwirkung, verminderte Insulinresistenz
  • Bei Diabetikern und adipösen Nicht-Diabetikern Senkung der VLDL-Triglyceride, Anstieg des HDL-Cholesterins
  • Hemmung der Glucoseresorption aus dem Darm
  • Appetitdämpfung, Gewichtsabnahme

Daneben zeigt Metformin eine vielfältige Wirkungen über die metabolischen Effekte hinaus, wie beispielsweise durch den Einfluss auf Inflammationsprozesse, Zellproliferation und Seneszenz. Der Wirkstoff reduziert zudem Sauerstoffradikale und damit oxidativen Stress [2].

Metforminwirkung im Darm

Neuere Erkenntnisse lassen vermuten, dass nicht die Effekte von Metformin in der Leber, sondern die auf den Darm hauptsächlich (zu ca. 75%) für die Wirkung verantwortlich sind. Gründe dafür sind beispielsweise, dass Metformin schlecht resorbiert wird und nur nach oraler Applikation wirksam ist, erklärt Lupp. Weiterhin werden sehr hohe Dosen benötigt, um eine Wirkung in der Leber zu erzielen. Polymorphismen des hepatischen OTC1-Transportproteins, über das Metformin in die Leber gelangt, haben jedoch einen vernachlässigbaren Effekt auf die Metforminwirkung. Außerdem zeigen Immediate release und Delayed release-Formulierungen keine Wirksamkeitsunterschiede.

Freisetzung von GLP-1 und PYY

Als Wirkmechanismus im Darm wird die teilweise AMPK-vermittelte Steigerung der postprandialen Freisetzung von GLP-1 und Peptid YY (PYY) diskutiert. PYY wird nach Aufnahme fettreicher Nahrung aus dem Darms sezerniert. Das Peptid hat ähnliche Wirkungen wie GLP-1. Dazu zählen eine verminderte Darmmotilität und -Entleerung, eine verringerte Magen- und Pankreassekretion sowie ein verstärktes Sättigungsgefühl.

GDF15 und Gewichtsabnahme

Metformin stimuliert außerdem die Freisetzung von GDF-15. Dabei handelt es sich um ein Protein aus der TGF-β-Familie (transformierende Wachstumsfaktoren beta). Es konnte gezeigt werden, dass die GDF-15-Konzentration mit der Metforminwirkung korreliert. Der spezifische Rezeptor des Proteins sitzt unter anderem im Hirnstamm in der Area postrema. Hierüber werden Appetit und Nahrungsaufnahme reguliert. Es wird angenommen, dass die Effekte auf GDF-15 substanziell für die Gewichtsabnahme durch Metformin sind [2].

Metformin und Mikrobiom

Der Einfluss des Mikrobioms auf verschiedene Krankheiten wird immer wieder diskutiert. Eine Studie zur Untersuchung von Darm-Metagenomen zeigte, dass Typ-2-Diabetiker ein verändertes Darmmikrobiom mit einem reduzierten Vorkommen Butyrat-produzierender Keime aufweisen. Metformin konnte diese Verschiebung zum Teil mildern.

Die erhöhte Konzentration kurzkettiger Fettsäuren unter Metformin-Therapie könnte eine Ursache für die Magen-Darm-Unverträglichkeiten sein. Als Ursache diskutiert werden außerdem eine Bindung an Pepsin, die Hemmung der Gallensäure-Rückresorption und bei längerer Einnahme eine verminderte Vitamin B12-Resorption [3].

PCOS

Das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist eine endokrine Erkrankung, die zu Zyklusstörungen führt und Infertilität verursachen kann. In Europa sind etwa 4% bis 12% der Frauen betroffen. Mit dem PCOS gehen häufig metabolische Komplikationen einher. Diese umfassen unter anderen die Entwicklung einer Insulinresistenz bei bis zu 95% der Patientinnen. Das Risiko zur Entwicklung eines Diabetes mellitus ist bei PCOS-betroffenen vier- bis fünffach erhöht im Vergleich zu gleichaltrigen gesunden Frauen.

Metformin senkt Androgenkonzentration

Aufgrund der Hyperinsulinämie beim PCOS kommt es zur verstärkten Stimulation der ovariellen Androgenproduktion und einer verminderten Expression sexualhormonbindenden Globulins. Dies resultiert in einer erhöhten Bindung von freiem Testosteron am Androgenrezeptor. Unter der Einnahme von Metformin sinken die Androgen-Level, die Zyklusunregelmäßigkeiten werden vermindert und die Anzahl der Ovulationen wird erhöht [2,4].

Seltener Komplikationen

In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass Metformin bei PCOS-Patientinnen die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft erhöht sowie das Risiko für Früh-, Fehl- oder Totgeburten senkt. Zudem tragen weniger Fälle an Schwangerschaftshypertonie und -Diabetes auf [4].

Kardiovaskuläre Erkrankungen

Etwa zwei Drittel der Todesfälle von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 sind auf kardiovaskuläre Komplikationen, wie koronare Herzkrankheit, diabetische Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall zurückzuführen. Hinzu kommt ein erhöhtes Thromboserisiko aufgrund einer gesteigerten Konzentration und Aktivität von Gerinnungsfaktoren (Fibrinogen, von-Willeband-Faktor, Tissue-Faktor, Thrombin) und Hypofibrinolyse. Eine gestörte Endothelfunktion, verstärktes kardiovaskuläres Remodelling sowie eine erhöhte Thrombozytenaktivität verstärken das Risiko für kardiale Komplikationen bei Typ-2-Diabetikern.

Verbesserte Endothelfunktion durch Metformin

In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Metformin die Endothelfunktion verbessert, den oxidativen Stress und die Expression zelladhäsiver Moleküle vermindert. Zu den antiinflammatorischen Mechanismen zählen eine reduzierte Umwandlung von Monozyten in Makrophagen sowie eine verminderte Expression proinflammatorischer Zytokine.

Antithrombotische Wirkung

Durch eine verstärke Synthese des Tissue Plasminogen Activator (t-PA) und eine Hemmung des Gegenspielers Plasmminogenaktivator-Inhibitor-1 sowie des von-Willebrand-Faktors wird die Fibrinolyse durch Metformin gesteigert und die Thrombozytenadhäsion gehemmt. Atherogene Faktoren wie die Schaumzellenbildung und Thrombozytenaggregation werden ebenso inhibiert. Metformin verbessert außerdem den Glukose- und Lipidmetabolismus in den Kardiomyozyten [5,6]. Ein systematisches Review konnte zudem zeigen, dass Metformin bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz eine protektive Wirkung ausübt [7]. 

Krebserkrankungen

Typ-2-Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsformen. Zwar gibt es mehrere Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Metformin das Krebsrisiko bei Typ-2-Diabetikern verringern könnte, die Studienlage ist jedoch kontrovers.

Positive Daten liegen beispielsweise für kolorektale, Leber-, Pankreas- und Mammakarzinome vor [8-10]. Neure Untersuchungen konnten jedoch meist keine signifikante Assoziation zwischen der Metformintherapie und dem Krebsrisiko finden. Es sind weitere klinische Daten insbesondere aus randomisierten, kontrollierten Studien nötig, um hierzu eine Aussage treffen zu können [11-14].

Mögliche tumorprotektive Mechanismen

Die Wirkung von Metformin auf Karzinome hängt laut Lupp wahrscheinlich davon ab, um welche Tumorart es sich handelt und welche Signalwege dabei dereguliert sind. Ein möglicher Mechanismus für eine tumorprotektive Wirkung von Metformin ist beispielsweise die Reduktion von Insulin und IGF-1 (Insulin-like growth factor 1). Die verringerte Glukoseverwertung liefert weniger Energie für die Tumorzellen.

Außerdem wird eine Hemmung von mTOR- und weiteren zellproliferationsfördernden Signalwegen (MAPK, AKT, NFκB) diskutiert. Metformin könnte zudem die Immunantwort gegen die Tumorzellen erhöhen. Möglich ist auch die Regulation der Expression verschiedener miRNAs, die die Expression onkogener Proteine verhindern.

Anti-Aging

Metformin hat möglicherweise lebensverlängernde Effekte. Dies könnte einerseits am positiven Einfluss auf kardiovaskuläre und andere Folgeerkrankung liegen, andererseits an einer antiinflammatorischen und antitumoralen Wirkung. Metformin hemmt beispielsweise den proinflammatorischen NFκB- und kanzerogenen PI3K-AKT-, MAPK/ERK- sowie mTOR-Signalweg.

Zudem wird unter anderem die Expression des Enzyms SIRT-1 erhöht, das an der Lipolyse durch Bindung an PPARγ beteiligt ist und eine indirekte Wirkung auf Blutzucker und Fettbildung ausübt. SIRT-1 hemmt außerdem die Neubildung von Adipozyten, fördert die Differenzierung von Muskelzellen, erhöht den Schutz gegen oxidativen Stress und ist an der Verlangsamung von Apoptoseprozessen beteiligt.

Studien an Nematoden zeigen eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung durch Metformin um 57%, bei Mäusen um 6% und bei Ratten um 2% [15,16].  

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Metformin über die metabolischen Effekte hinaus vielfältige Wirkungen auf unterschiedliche Signalwege ausübt. Die Datenlage zu den einzelnen Prozesse ist jedoch unzureichend bis kontrovers, sodass derzeit keine genauen Aussagen zu anderen Indikationsgebieten als Typ-2-Diabetes treffen lassen.

Autor:
Stand:
27.10.2021
Quelle:
  1. Prof. Dr. Amelie Lupp, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsklinikum Jena, Wie wirkt Metformin?, Fortbildungskurs in praktisch-klinischer Diabetologie des Diabeteszentrums Thüringen e.V., 09.10.2021
  2. Glossmann & Lutz. Pharmacology of metformin - An update. Eur J Pharmacol 2019 Dec 15;865:172782. DOI: 10.1016/j.ejphar.2019.172782
  3. Forslund, Hildebrand, Nielsen et al. Disentangling type 2 diabetes and metformin treatment signatures in the human gut microbiota. Nature 528, 262–266 (2015). DOI: 10.1038/nature15766
  4. Zeng, Zhang, Tian, Xue, An. Effects of metformin on pregnancy outcomes in women with polycystic ovary syndrome: A meta-analysis. Medicine (Baltimore) 2016 Sep;95(36):e4526. DOI: 10.1097/MD.0000000000004526
  5. Wright, Cull, Holman, Turner. United Kingdom Prospective Diabetes Study 24: A 6-Year, Randomized, Controlled Trial Comparing Sulfonylurea, Insulin, and Metformin Therapy in Patients with Newly Diagnosed Type 2 Diabetes That Could Not Be Controlled with Diet Therapy. Ann Intern Med 1998 Feb 1;128(3):165-75. DOI: 10.7326/0003-4819-128-3-199802010-00001
  6. Han, Xie, Liu, et al. Effect of metformin on all-cause and cardiovascular mortality in patients with coronary artery diseases: a systematic review and an updated meta-analysis. Cardiovasc Diabetol 18, 96 (2019). DOI: 10.1186/s12933-019-0900-7
  7. Eurich et al. Comparative safety and effectiveness of metformin in patients with diabetes mellitus and heart failure: systematic review of observational studies involving 34,000 patients. Circ Heart Fail 2013 May;6(3):395-402. DOI: 10.1161/CIRCHEARTFAILURE.112.000162
  8. Evans, Donnelly, Emslie-Smith, Alessi, Morris. Metformin and reduced risk of cancer in diabetic patients BMJ 2005; 330 :1304. DOI:10.1136/bmj.38415.708634.F7
  9. Zhi-Jiang Zhang et al. Reduced Risk of Colorectal Cancer With Metformin Therapy in Patients With Type 2 Diabetes. Diabetes Care Oct 2011, 34 (10) 2323-2328. DOI: 10.2337/dc11-0512
  10. Zhang, Li, Tan, Chen, Wang. Association of metformin use with cancer incidence and mortality: A meta-analysis. Cancer Epidemiol 2013 Jun;37(3):207-18. DOI: 10.1016/j.canep.2012.12.009
  11. Dankner et al. Metformin Treatment and Cancer Risk: Cox Regression Analysis, With Time-Dependent Covariates, of 320,000 Persons With Incident Diabetes Mellitus. Am J Epidemiol 2019 Oct 1;188(10):1794-1800. DOI: 10.1093/aje/kwz157
  12. Rao, Gao, Guo, Law, Xu. Effects of metformin treatment on radiotherapy efficacy in patients with cancer and diabetes: a systematic review and meta-analysis. Cancer Manag Res. 2018;10:4881-4890. DOI: 10.2147/CMAR.S174535
  13. Fanciosi et al. Metformin therapy and risk of cancer in patients with type 2 diabetes: systematic review. PLoS One 2013 Aug 2;8(8):e71583. DOI: 10.1371/journal.pone.0071583
  14. Morales & Morris. Metformin in cancer treatment and prevention. Annu Rev Med 2015;66:17-29. DOI: 10.1146/annurev-med-062613-093128
  15. Bannister et al. Can people with type 2 diabetes live longer than those without? A comparison of mortality in people initiated with metformin or sulphonylurea monotherapy 2014 Nov;16(11):1165-73. DOI: 10.1111/dom.12354
  16. Campbell, Bellman, Stephenson, Lisy. Metformin reduces all-cause mortality and diseases of ageing independent of its effect on diabetes control: A systematic review and meta-analysis. Ageing Res Rev 2017 Nov;40:31-44. DOI: 10.1016/j.arr.2017.08.003
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