Alpha-Mannosidose

Die Alpha-Mannosidose ist eine seltene vererbte, progredient verlaufende lysosomale Speicherkrankheit. Leitsymptome sind Immunschwäche, Skelett- und Gesichtsanomalien, Hörverlust sowie motorische und kognitive Defizite.

Alpha-Mannosidose

Definition

Die Alpha-Mannosidose ist eine äußerst seltene autosomal-rezessiv vererbte, progredient verlaufende lysosomale Speicherkrankheit. Ursächlich sind Mutationen im MAN2B1-Gen, das auf dem Chromosom 19 liegt. Das führt zu einer Defizienz des lysosomalen Enzyms α‑Mannosidase, das für den Abbau von mannosehaltigen Oligosacchariden in den Lysosomen verantwortlich ist.

Infolge akkumulieren nicht prozessierte Oligosaccharide in allen Geweben, was in einer gesteigerten Zellapoptose und daraus resultierenden Organschädigungen mündet. Das klinische Bild der Alpha-Mannosidose ist äußerst heterogen. Hinweisgebend sind rezidivierende Infekte, Gesichtsdysmorphien, Schwerhörigkeit, Wachstumsverzögerung sowie motorische und kognitive Defizite in den ersten Lebensjahren.

Im weiteren Verlauf manifestieren sich zunehmende skelettale Probleme und eine Ataxie. Die Diagnose wird durch Messung der α-Mannosidase-Aktivität in Leukozyten oder anderen kernhaltigen Zellen gestellt und durch eine molekulargenetische Analyse gesichert. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung werden viele PatientInnen oft spät diagnostiziert, teilweise erst im Erwachsenenalter. Kausaltherapeutisch stehen bei der Alpha-Mannosidose zwei Optionen zur Verfügung: eine hämatopoetische Stammzelltransplantation und die Enzymersatztherapie (EET) mit Velmanase alfa [1,2].

Epidemiologie

Die Alpha-Mannosidose ist mit einer geschätzten Prävalenz von 1:500.000 bis 1:1.000.000 aller Neugeborenen eine äußerst seltene Krankheit [3]. Da es sich jedoch um eine unterdiagnostizierte Erkrankung handelt, wird die tatsächliche Prävalenz vermutlich höher liegen [4]. Jungen und Mädchen sind gleich häufig betroffen [5].

Forschende unter der Leitung von Dr. Matthias Zielonka, pädiatrischer Stoffwechselmediziner am Universitätsklinikum Heidelberg, analysierten im Jahr 2019 eine globale Kohorte von 111 PatientInnen mit Alpha-Mannosidose. In dieser retrospektiven Modellierungsstudie lag das mittlere Alter bei Krankheitsbeginn bei zwölf Monaten. Die mediane Diagnoseverzögerung betrug sechs Jahre. Im Alter von 41 Jahren lebten noch 72,3% der PatientInnen [6].

Ursachen

Ursächlich für die Alpha‑Mannosidose sind Mutationen im MAN2B1-Gen, das sich auf dem kurzen Arm von Chromosom 19 befindet (19p13.3) und die lysosomale α-Mannosidase (LAMAN) kodiert. Das MAN2B1-Gen wird vor allem in Lunge, Nieren, Pankreas und Leukozyten exprimiert [7,8].

Derzeit sind mehr als 160 verschiedene Mutationen im MAN2B1-Gen beschrieben [9]. Die meisten sind private Mutationen. Drei werden häufiger beschrieben, und zwar:

  • p.R750W bei 27%,
  • c.1830+1G>C bei 5% und
  • p.L809P bei 3% der betroffenen PatientInnen [10].

Die phänotypische Variabilität der Alpha-Mannosidose ist breit, selbst Geschwister mit identischem Genotyp können einen unterschiedlichen Phänotyp aufweisen [11].

Die Alpha-Mannosidose wird autosomal rezessiv vererbt. Somit hat jedes Geschwisterkind:

  • eine 25%ige Chance, ebenfalls daran zu erkranken,
  • eine 50%ige Chance, ein asymptomatischer Träger zu sein, und
  • eine 25%ige Chance, weder betroffen noch ein Mutationsträger zu sein [2,5].

Pathogenese

Pathogenetisch ist die angeborene Defizienz des lysosomalen Enzyms α‑Mannosidase von zentraler Bedeutung. Das Enzym spielt eine wesentliche Rolle im Abbau von Glykoproteinen. Glykoproteine sind Makromoleküle, die aus einer Proteinkette und mehreren Kohlenhydratseitenketten zusammengesetzt sind. Letztere bestehen aus Oligosacchariden mit unter anderem endständigen Sialinsäure‑, Galaktose- oder Mannoseresten. Bei der Alpha-Mannosidose wird die Abspaltung der terminalen Mannosereste der Oligosaccharidseitenketten behindert [1,2].

Symptome

PatientInnen mit Alpha-Mannosidose zeigen ein weites klinisches Spektrum mit einem chronisch progredienten Verlauf. Neugeborene sind in der Regel symptomfrei [1], nur selten sind die typischen Anzeichen schon kurz nach der Geburt erkennbar [2]. Erste Charakteristika sind im Durchschnitt mit zwölf Lebensmonaten ersichtlich [6]. Mitunter wird die Krankheit auch erst im Erwachsenenalter diagnostiziert [12].

Hinweisgebend für eine Alpha-Mannosidose sind eine faziale Dysmorphie, eine verzögerte Sprachentwicklung, eine beidseitige Hörminderung (reine Innenohr- oder kombinierte Schwerhörigkeit) und rezidivierende Infekte. Bei einigen PatientInnen besteht eine Makrozephalie, selten eine Mikrozephalie. Eine Hepatosplenomegalie ist möglich, die Leberfunktion ist in der Regel normal [1,2,5,6,13].

Faziale Dysmorphie

Die fazialen Merkmale sind ähnlich wie bei anderen lysosomalen Speichererkrankungen, speziell denen bei Morbus Hurler (Mukopolysaccharidose Typ 1) [5,11]. Typische Anzeichen für PatientInnen mit einer Alpha-Mannosidose sind [1,2]:

  • flaches Gesicht mit prominenter Stirn
  • Hypertelorismus
  • stark gewölbte Augenbrauen
  • tiefe Nasenwurzel, abgeflachter Nasenrücken
  • Makroglossie
  • Prognathie mit weit auseinanderstehenden Zähnen
  • meist kurzer Hals [13]

Die fazialen Auffälligkeiten können mitunter auch nur sehr mild ausgeprägt sein.

Typische Symptome zu Beginn der Erkrankung

Verzögerte Sprachentwicklung

Normalerweise fallen Kinder mit Alpha-Mannosidose zunächst durch eine verzögerte Sprachentwicklung auf. Diese ist auf rezidivierende Otitiden und eine neurosensorische Schädigung des Innenohrs zurückzuführen, die in einer beidseitigen Hörminderung resultiert. Nahezu alle Alpha-Mannosidose-Betroffenen haben eine leichte bis schwere Hörstörung [11].

Entwicklungsverzögerung

Neben einer verzögerten Sprachentwicklung zeigen Kinder mit Alpha-Mannosidose oft psychomotorische Verzögerungen [13]. Sie lernen später laufen als gleichaltrige gesunde Kinder und wirken ungeschickt. Grund dafür ist eine Kombination von Muskelschwäche, Skelettveränderungen und Ataxie aufgrund einer zerebralen Mitbeteiligung [13].

Kognitive Einschränkungen

Viele Betroffene sind kognitiv eingeschränkt. Im Alter zwischen sechs und 35 Jahren zeigte sich das Spektrum einer Lernbehinderung bis hin zu einer schweren Intelligenzminderung (IQ 30–81). Im Gegensatz zu anderen lysosomalen Speichererkrankungen mit Neurodegeneration bauen die kognitiven Fähigkeiten bei Alpha-Mannosidose-PatientInnen nach dem 20. Lebensjahr meist nicht oder nur geringfügig weiter ab [14,15].

Ophthalmologische Veränderung

PatientInnen mit Alpha-Mannosidose haben häufig Augenmotilitätsstörungen wie Strabismus, Nystagmus und Sakkadenstörungen. Trübungen der Augenlinse (Katarakt) und der Kornea sowie eine Degeneration von Retina und N. opticus wurden beobachtet [13,16]. Neuere Untersuchungen ergaben bei einigen Betroffenen auch Atrophien der Netzhaut und des Sehnervs [16].

Muskuloskelettale Anomalien

Bei der Mehrheit der Betroffenen werden Skelettveränderungen im Sinne einer Dysostosis multiplex beschrieben [5,11]. Typisch sind eine verdickte Schädelkalotte, abgeflachte Wirbelkörper mit Hakenwirbelbildung, Hüftdysplasie, Hypoplasie der unteren Iliakalabschnitte und verkürzte Mittelhandknochen sowie eine Genu-valgum-Stellung [13].

Im Gegensatz zu anderen lysosomalen Speichererkrankungen wie beispielsweise den Mukopolysaccharidosen ist das Körperlängenwachstum bei Alpha-Mannosidose weitestgehend normal [1].

Psychiatrische Beschwerden

Etwa ein Viertel aller Alpha-Mannosidose-PatientInnen leidet an psychiatrischen Symptomen, die meist in der späten Pubertät bis zur frühen Adoleszenz beginnen [1,2]. Dazu gehören vor allem akute Verwirrtheits- und Angstzustände, Depressionen oder Halluzinationen [11]. Die psychotischen Phasen dauern in der Regel drei bis zwölf Wochen an [13]. Zu möglichen organischen Ursachen der psychiatrischen Symptome gibt es bislang kaum Erkenntnisse.

Rezidivierende Infekte und Immunschwäche

Viele Kinder mit Alpha-Mannosidose leiden an rezidivierenden Infekten, speziell Infektionen der Atemwege inkl. rezidivierender Otitiden [11]. Als Ursache wird eine Immunschwäche vermutet. So wird diskutiert, dass erhöhte Konzentrationen von mannosehaltigen Oligosacchariden im Plasma an Interleukin-2-(IL-2-)Rezeptoren binden und die Aktivierung von T‑Zellen, B‑Zellen und natürlichen Killerzellen stören [5,11,13].

Außerdem fand man bei einigen PatientInnen niedrigere Immunglobulin-G-(IgG-)Serumkonzentrationen und niedrigere Antikörpertiter nach Impfungen [13]. Überdies wurde ein signifikanter Anstieg niedriger Immunglobulin-G-Konzentrationen nach Beginn der Enzymersatztherapie beschrieben [17].

Krankheitsverlauf in der zweiten bis vierten Lebensdekade

Mit zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit an Infektionen ab. Die neuromuskulären und skelettalen Veränderungen schreiten weiter über Jahre und Jahrzehnte fort. Die PatientInnen entwickeln mehrheitlich Koordinationsstörungen (Ataxie), Muskelschwäche, Gelenkschmerzen sowie Arthrosen in Hüfte und Knie. Im weiteren Krankheitsverlauf werden oft orthopädische Korrekturen erforderlich.

Die Beweglichkeit kann durch Wirbelsäulenverkrümmungen (Kyphose/Skoliose) stark eingeschränkt sein [13,18].

Ab der dritten Lebensdekade werden viele PatientInnen immobil und sind auf Gehhilfen und später einen Rollstuhl angewiesen [11,13]. Die stetige Verschlechterung mentaler und motorischer Funktionen machen ein unabhängiges Leben praktisch unmöglich [11,13,14].

Diagnostik

Aufgrund der Seltenheit der Alpha‑Mannosidose wird die Erkrankung oft erst spät diagnostiziert – im Durchschnitt sechs Jahre nach Manifestation der ersten Symptome, oft sogar erst im Erwachsenenalter [1,12]. Viele Betroffene (und Angehörige) durchlebten bis dahin einen langen Leidensweg.

Eine nationale oder internationale Leitlinie zur Diagnosestellung und Behandlung der Alpha-Mannosidose gibt es bislang nicht. Die Kombination bestimmter Symptome sollte jedoch zu einer speziellen Diagnostik veranlassen. Dies ist bedeutsam, da eine frühe und adäquate Therapie das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessern kann [4,17,19–21].

Algorithmus bei Kindern unter 10 Jahren

Eine internationale Arbeitsgruppe hat einen Algorithmus erarbeitet, der Ärzte und Ärztinnen bei der frühen Diagnose der Alpha-Mannosidose unterstützt [22]. Demnach sollten Hörstörungen und/oder eine Sprachentwicklungsverzögerung bei Kindern ≤10 Jahren Ärztinnen und Ärzte dazu veranlassen, nach weiteren Symptomen zu fahnden – speziell Entwicklungsverzögerungen, motorische Unsicherheit, Ataxie, faziale Dysmorphie und Skelettveränderungen.

Liegen zwei dieser zusätzlichen Symptome vor, ist eine Überweisung in ein spezialisiertes Stoffwechselzentrum indiziert. Werden keine zusätzlichen Symptome erkannt, können die PatientInnen hinsichtlich neu auftretender Beschwerden überwacht oder für zusätzliche Tests ebenfalls an ein spezialisiertes Stoffwechselzentrum überwiesen werden [22].

Vorgehen bei Kindern über 10 Jahre

Bei Kindern über 10 Jahre und Erwachsenen sollten eine geistige Retardierung, fortschreitende motorische Beeinträchtigungen und/oder psychiatrische Manifestationen (einschließlich akuter psychotischer Ereignisse) Ärztinnen und Ärzte anstoßen, nach weiteren Alpha-Mannosidose-typischen Anzeichen in der Anamnese zu suchen, zum Beispiel nach Hörstörungen, Ataxie, Knochen- und Gelenkerkrankungen [22].

Screeningtests bei Verdacht auf Alpha-Mannosidose

Bei Verdacht auf Alpha-Mannosidose können mikroskopische und biochemische Screeningtests die Diagnosestellung unterstützen. Die Sicherung der Diagnose erfolgt dann mit enzymatischen und molekulargenetischen Verfahren [22].

Lichtmikroskopie

Bei mehr als 90% der Alpha-Mannosidose-PatientInnen sind Vakuolen in Lymphozyten und Monozyten im peripheren Blutbild lichtmikroskopisch nachweisbar [5].

Urintest

Bei Alpha-Mannosidose scheiden die Betroffenen mannosereiche Oligosaccharide mit dem Harn aus. Diese können anhand ihres charakteristischen Musters mittels chromatografischer Verfahren identifiziert werden [22].

Das klinische Bild bei Alpha-Mannosidose kann einer Mukopolysaccharidose ähneln. Hier werden bei entsprechendem Verdacht meist nur die Gesamt-Glykosaminoglykane oder Mukopolysaccharide im Urin überprüft. Die Oligosaccharide bleiben somit unerfasst, wodurch der Befund bei Alpha-Mannosidose unauffällig ist. Bei negativem Urinbefund und begründetem Alpha-Mannosidose-Verdacht sollten deshalb die Oligosaccharide im Urin bestimmt werden, ergänzt durch einen Enzymtest und eine genetische Untersuchung [2].

Enzymtest

Mittels Enzymtest wird die α-Mannosidase-Aktivität in Leukozyten aus peripherem Blut oder in anderen kernhaltigen Zellen, zum Beispiel Fibroblasten, gemessen [22]. Letzteres hat mittlerweile aber an Bedeutung verloren [1].

Gentest

Die genetische Analyse des MAN2B1-Gens sichert die enzymatische Diagnose. Die molekulargenetische Konfirmationsdiagnostik sollte bei Alpha-Mannosidase immer erfolgen – und zwar zusätzlich zu den biochemischen Untersuchungen [13].

Differenzialdiagnose

Das klinische Erscheinungsbild der Alpha‑Mannosidose ähnelt verschiedenen Formen einer Mukopolysaccharidose, insbesondere der milden Mukopolysaccharidose Typ I. Abzugrenzen sind weitere lysosomale Speichererkrankungen, die mit einer Hörminderung, geistigen Behinderung, fazialen Dysmorphie und Dysostosis multiplex einhergehen [13], zudem seltene syndromale Hörstörungen [1].

Zu den differenzialdiagnostischen Überlegungen gehören vor allem:

  • Mukopolysaccharidosen
  • Mukolipidosen
  • Sialidose
  • Galaktosialidose
  • β‑Mannosidose
  • Fukosidose
  • Aspartylglukosaminurie

Bei klinischem Verdacht auf eine Alpha‑Mannosidose und fehlender sicherer Einordnung wird eine Vorstellung in einer Spezialambulanz empfohlen [1].

Therapie

Die Therapie der Alpha-Mannosidase basiert auf zwei Säulen: der symptomatischen Behandlung und der kausalen Therapie. Kurative Behandlungsoptionen für PatientInnen mit Alpha-Mannosidase gibt es bislang nicht.

Kausale Therapien: Stammzelltransplantation und Enzymersatztherapie

Für Betroffene mit Alpha-Mannosidose stehen zwei kausale Therapien zur Verfügung: die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) und die Enzymersatztherapie (EET) mit Velmanase alfa. Die rekombinante Form der humanen α-Mannosidase ist in Europa seit 2018 zur Behandlung von nicht neurologischen Manifestationen bei leichter bis mittelschwerer Alpha‑Mannosidose zugelassen.

Hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT)

Die hämatopoetische Stammzelltransplantation ist nach derzeitigem Kenntnisstand vor allem für sehr junge PatientInnen (Kinder <3 Jahren) mit einer weniger stark fortgeschrittenen neurodegenerativen Erkrankung eine geeignete Therapieoption. In der Literatur finden sich bislang etwas mehr als 20 Fallbeschreibungen, bei denen Alpha-Mannosidose-PatientInnen eine HSZT erhalten haben.

In einigen Fällen wurde eine deutliche Verbesserung oder Stabilisierung der kognitiven Fähigkeiten im Vergleich zu nichttransplantierten Betroffenen beobachtet, insbesondere wenn die HSZT im frühen Kleinkindalter erfolgte [21,23,24].

Die hämatopoetische Stammzelltransplantation führte etwa zu einer Normalisierung der Oligosaccharidausscheidung im Urin, einer Infektreduktion und einer Normalisierung der Hepatosplenomegalie. Die Überlebensrate wird als vergleichbar mit der einer HSZT bei PatientInnen mit Mukopolysaccharidose Typ I angegeben [15,21,24].

Hinweis: Vor dem Eingriff sollte eine sorgfältige Nutzen-/Risiko-Analyse erfolgen, auch hinsichtlich der mit einer HSZT assoziierten Mortalität und Morbidität [25].

Enzymersatztherapie (EET) mit Velmanase alfa

Velmanase alfa (Lamzede) von Chiesi ist das erste von der Europäischen Arzneimittelagentur ( EMA) zugelassene Arzneimittel für Alpha-Mannosidose-PatientInnen. Das Enzympräparat ist seit Juli 2018 auf dem deutschen Markt erhältlich und zur Behandlung nicht neurologischer Manifestationen bei leichter bis mittelschwerer Alpha-Mannosidose indiziert. Velmanase alfa wird in einer Dosierung von 1 mg/kg Körpergewicht einmal wöchentlich intravenös infundiert [26].

Velmanase alfa soll die natürliche α-Mannosidase ergänzen oder ersetzen. Infolge wird der lysosomale Abbau mannosereicher Oligosaccharide katalysiert und deren Akkumulation in den Lysosomen reduziert. Das kann den progredienten Verlauf der Erkrankung verzögern bzw. positiv beeinflussen [4,17,19]. Aufgrund der progredient verlaufenden Organschädigungen ist eine frühe Diagnosestellung und rasche Einleitung der EET wichtig.

Die Wirksamkeit von Velmanase alfa konnte in klinischen Studien mit insgesamt 33 PatientInnen und einem Beobachtungszeitraum von bis zu vier Jahren nachgewiesen werden. Folgende Veränderungen wurden beschrieben:

  • Reduktion der Konzentration mannosehaltiger Oligosaccharide im Serum
  • Anstieg der IgG-Serum-Konzentration
  • Verbesserung der motorischen Funktionen und Fähigkeiten
  • Verbesserung der Lungenfunktion
  • Verbesserung der Lebensqualität

Zudem berichteten betroffene Familien von einer deutlichen Abnahme von Infektionen und Gelenkschmerzen. Da Velmanase alfa nicht liquorgängig ist, sind keine Auswirkungen auf neurologische Manifestationen und kognitive Beeinträchtigungen zu erwarten [26].

Symptomatische Maßnahmen

Die symptomatischen Maßnahmen bei Alpha-Mannosidose zielen darauf ab, Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität der Betroffenen zu steigern.

Immunologische Therapie

Bei wiederkehrenden bakteriellen Infektionen ist es sinnvoll, frühzeitig mit einer antibiotischen Therapie zu beginnen. Zudem sollten alle von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) empfohlenen Impfungen verabreicht werden [12].

Pädaudiologische Therapie

Bei rezidivierenden Otitiden kann der Einsatz von Paukenröhrchen indiziert sein, bei Schwerhörigkeit die Versorgung mit Hörgeräten. Logopädische Therapien unterstützen die Sprachentwicklung [12].

Orthopädische Therapie

Bei Knochenbildungsstörung und skelettalen Beschwerden können Physiotherapie, eine individuelle Hilfsmittelanpassung und orthopädische Interventionen sinnvoll sein [12].

 Individuelle Förderung

Individuelle Fördermaßnahmen umfassen unter anderem Frühförderung, Physiotherapie, Ergotherapie und eine adäquate Beschulung [1].

Sozialrechtliche Unterstützung

Sozialrechtlich sollten Betroffene und Familien über die Feststellung des Grads der Behinderung und des Pflegegrads informiert sowie zu Rehabilitationsmaßnahmen beraten werden [1].

Prognose

Die Langzeitprognose für Alpha-Mannosidase-PatientInnen ist ungünstig. Die Krankheit schreitet über mehrere Jahrzehnte fort. Neuromuskuläre Funktionen und die Skelettstruktur verschlechtern sich so weit, dass viele Betroffene ab der dritten Lebensdekade immobil und auf Gehhilfen und später einen Rollstuhl angewiesen sind [11,13]. Eine Heilung ist bislang nicht möglich.

Für einen bestmöglichen Krankheitsverlauf sollte die Alpha-Mannosidase frühzeitig erkannt und möglichst rasch behandelt werden. Das gilt sowohl für die Enzymersatztherapie zur Behandlung der nicht neurologischen Manifestationen als auch für die hämatopoetische Stammzelltransplantation hinsichtlich der neurokognitiven Entwicklung [1,2,21].

Neuesten Untersuchungen zufolge können PatientInnen mit einer Alpha‑Mannosidose auch ohne krankheitsspezifische Therapien bis in die 6. Lebensdekade überleben. Die häufigsten Todesursachen sind Pneumonien, gefolgt von malignen Erkrankungen [27].

Prophylaxe

Da es sich bei der Alpha‑Mannosidose um eine genetische Erkrankung handelt, ist eine gezielte Prophylaxe nicht möglich.

Autor:
Stand:
14.02.2023
Quelle:
  1. Hennermann, J. B. (2022): Die α-Mannosidose: eine seltene, aber unterdiagnostizierte Erkrankung? Monatsschrift Kinderheilkunde DOI: 10.1007/s00112-022-01595-5.
  2. Hennermann, J. B. (2022): Alpha-Mannosidose – die seltene und unterdiagnostizierte Erkrankung erkennen. CME-Kurs, VNR: 2760709122049120010.
  3. Wiesinger, T. et al. (2020): α-Mannosidosis – An underdiagnosed lysosomal storage disease in individuals with an ‘MPS-like’ phenotype. Molecular Genetics and Metabolism, DOI: 10.1016/j.ymgme.2020.04.001.
  4. Harmatz, P. et al. (2018): Enzyme replacement therapy with velmanase alfa (human recombinant alpha-mannosidase): Novel global treatment response model and outcomes in patients with alpha-mannosidosis. Molecular Genetics and Metabolism, DOI: 10.1016/j.ymgme.2018.04.003.
  5. Malm, D., Nilssen, Ø. (2019): Alpha-Mannosidosis. In: Adam, M. P. et al. (Hrsg) GeneReviews. University of Washington, Seattle, PMID: 20301570.
  6. Zielonka, M. et al. (2019): Ultra-orphan lysosomal storage diseases: A cross-sectional quantitative analysis of the natural history of alpha-mannosidosis. Journal of Inherited Metabolic Disease, DOI: 10.1002/jimd.12138.
  7. Liao, Y. F. et al. (1996): Cloning, expression, purification, and characterization of the human broad specificity lysosomal acid alpha-mannosidase. Journal of Biological Chemistry, DOI: 10.1074/jbc.271.45.28348.
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  10. Stensland, H. M. F. R. et al. (2012): Identification of 83 novel alpha-mannosidosis-associated sequence variants: functional analysis of MAN2B1 missense mutations. Human Mutation, DOI: 10.1002/humu.22005.
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  14. Borgwardt, L. et al. (2015): Cognitive profile and activities of daily living: 35 patients with alpha-mannosidosis. Journal of Inherited Metabolic Disease, DOI: 10.1007/s10545-015-9862-4.
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