Die Lebensmittelvergiftung Botulismus ist in den Industriestaaten dank moderner Lebensmittelhygiene und -kontrolle selten geworden. Da Botulismus jedoch potenziell lebensgefährlich ist und rasches Handeln erfordert, sollten Verdachtsfälle schnell identifiziert werden.
Mit Botulismus bezeichnet man eine seltene neurologische Erkrankung, die durch eine Vergiftung mit Neurotoxinen des Bakterium Clostridium botulinum hervorgerufen wird. Die Botulinum-Neurotoxine (BoNT) hemmen die Ausschüttung von Acetylcholin an den motorischen Endplatten und an den cholinergen Synapsen des autonomen Nervensystems. Kennzeichnend für das Krankheitsbild des Botulismus ist eine schlaffe, symmetrische, meist absteigende Tetraparese mit „bulbärem“ Beginn.
Klassifikation
Die Vergiftung mit den Neurotoxinen von Clostridium botulinum kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Man unterscheidet Nahrungsmittelbotulismus, Wundbotulismus, Neugeborenenbotulismus (Säuglingsbotulismus) und intestinalen Botulismus.
Nahrungsmittelbotulismus
Beim Nahrungsmittelbotulismus handelt sich um eine Lebensmittelvergiftung, die am häufigsten durch nicht ausreichend erhitzte oder konservierte Lebensmittel wie z. B. hausgemachte Wurst- oder Gemüsekonserven, verursacht wird. Auch in großvolumigen Lebensmitteln wie z. B. Rohschinken können sich bei ungekühlter Lagerung Botulinum-Clostridien vermehren und BoNT bilden.
Wundbotulismus
Der Wundbotulismus ist eine seltene infektiöse Form des Botulismus. Er entsteht, wenn eine Wunde mit Sporen von Clostridium botulinum infiziert wird, diese auskeimen und BoNT produzieren. Gefährdet sind heutzutage in erster Linie injizierende Drogenabhängige (injecting drug user [IDU]) mit einer langen Vorgeschichte von Abusus mit injizierten oder inhalierten Drogen (kontaminierte Materialien oder teerschwarzes Heroin). Der Wundbotulismus ist eine Infektionskrankheit aber nicht direkt übertragbar.
Neugeborenenbotulismus
Der Neugeborenen- oder Säuglingsbotulismus wird durch eine Besiedelung des Darms mit Clostridium botulinum hervorgerufen. Die von den Clostridien im Darm produzierten BoNT passieren die Darmwand und gelangen ins Blut. Die Krankheit befällt Säuglinge und Kleinkinder im Alter von ein bis 52 Wochen. In Europa ist der Neugeborenenbotulismus sehr selten. In den USA und in Argentinien ist es jedoch die häufigste Form von Botulismus.
Intestinaler Botulismus bei Erwachsenen
Der intestinale Botulismus bei Erwachsenen entspricht dem Neugeborenen- oder Säuglingsbotulismus, kommt aber noch seltener vor.
„Chronischer Botulismus“ nicht belegt
Bei vereinzelten in der Landwirtschaft tätigen Personen, die unter Schüben von Botulismus-ähnlichen Symptomen litten, wurde 2009 erstmals der Verdacht geäußert, dass ein „chronischer Botulismus“ dieses Krankheitsbild hervorrufen könnte. Hintergrund für die Hypothese waren der Ausschluss anderer Ursachen für die Erkrankungen der Menschen und Probleme in Milchviehbeständen vermutlich multifaktoriellen Ursprungs, bei denen der Verdacht auf eine Beteiligung von Clostridium botulinum bestand. Der „chronische Botulismus“ konnte jedoch weder bei Menschen noch bei Tieren belegt werden, da Laboruntersuchungen heterogene Ergebnisse erbrachten.
Epidemiologie
Botulismus ist weltweit verbreitet. In Deutschland erkranken zwischen zehn und 20 Personen an Botulismus pro Jahr, die meisten davon an Nahrungsmittelbotulismus. In Österreich wurden seit dem Jahr 2000 36 Botulismusfälle gemeldet (Stand 25.08.2021). Botulismus zählt zu den Infektionskrankheiten, ist aber nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. In der Regel erkranken mehrere (drei bis fünf) Personen gleichzeitig an der BoNT-Vergiftung, weil sie das gleiche kontaminierte Nahrungsmittel zu sich genommen haben. Wundbotulismus wird vermehrt bei Heroinkonsumenten beobachtet. In Deutschland und Österreich ist jede Art des Botulismus meldepflichtig, in der Schweiz nur der Nahrungsmittelbotulismus.
In Mitteleuropa herrscht der Nahrungsmittelbotulismus vor. In den USA und vielen Schwellen- oder Entwicklungsländern ist der Säuglingsbotulismus am häufigsten.
BoNT können theoretisch als biologische Kampfmittel (Bioterrorismus) verwendet werden. Sie können dann auch als Aerosole eingesetzt werden, die über die Lungen absorbiert werden.
Ursachen
Botulismus wird von einer Familie von 50 bakteriellen Proteintoxinen verursacht, die unter dem Begriff Botulinum Neurotoxin (BoNT) zusammengefasst werden. Die Produzenten von BoNT sind Bakterien der Gattung Clostridium (griechisch für „Spindel“). BoNT ist das stärkste natürliche Gift. Es ist etwa 100.000-mal toxischer als Sarin. Bei oraler Einnahme reichen 100 ng aus, um einen Menschen zu töten.
Clostridien sind grampositive, obligat anaerobe Sporenbildner und kommen ubiquitär im Erdboden oder im Verdauungstrakt vor. Es gibt pathogene und apathogene Arten. Die Endosporen der Clostridien können in siedendem Wasser, einige sogar bei 110 °C, mehrere Stunden überleben. Clostridien, die Botulismus-Toxine bilden, können daher in Form von Sporen Konservierungsmethoden für Nahrungsmittel überstehen, die nicht-sporenbildende Organismen normalerweise sicher abtöten. Unter anaeroben Bedingungen entwickeln sich die Sporen in den konservierten Nahrungsmitteln in aktive Clostridien, vermehren sich und produzieren BoNT. Die gebildeten Neurotoxine sind anders als die Sporen hitzelabil. Ein schwach saures Milieu (pH > 4,6) begünstigt die Vermehrung der Clostridien.
Subspezies
Genetisch lassen sich drei Subspezies des Clostridium botulinum unterschieden. Diese produzieren acht biochemisch verschiedene Serotypen (A–H) von BoNT. Beim Menschen spielen die Clostridium-Spezies, die die Serotypen A, B und E bilden, die wichtigste Rolle. Nahrungsmittelbotulismus wird in Deutschland gewöhnlich von BoNT-A und -E verursacht. Bei Wundbotulismus wurde auch BoNT-B isoliert. BoNT-F aus Clostridium baratii und BoNT-E aus Clostridium butyricum konnten ebenfalls als Ursache des Botulismus beim Menschen nachgewiesen werden. Sie kommen aber sehr selten vor. In Österreich wurde 2010 Clostridium sporogenes in Sojamilchprodukten nachgewiesen. Dieser Erreger ist biochemisch identisch mit Clostridium botulinum, bildet jedoch kein BoNT.
Säuglingsbotulismus
Beim Säuglingsbotulismus vermutet man, dass eine Besiedelung des Darms mit Clostridien möglich ist, weil eine normale kompetitive intestinale Mikrobiota noch nicht vollständig entwickelt ist. Nach der Vermehrung der Clostridien und der Neurotoxinbildung im Darm kommt es zu den gleichen pathophysiologischen Prozessen wie bei allen anderen Botulismusformen.
Pathogenese
BoNT ist ein Eiweißkomplex. Um aus dem Magen-Darmtrakt ins Blut zu gelangen, muss sich BoNT einerseits vor Verdauungsprozessen schützen und andererseits die Darmschranke überwinden. Zum Schutz vor Verdauungsenzymen verpackt Clostridium botulinum das BoNT in ein säure- und enzymstabiles Paket, das aus einem nicht-toxischen Nicht-Hämagglutin (nontoxic nonhemagglutinin [NTNHA] gebildet wird. Die Darmschranke überwindet BoNT, indem ein nichttoxischer Anteil des Giftes an den „molekularen Klebstoff“ E-Cadherin der Darmepithelien bindet und dadurch die Dünndarmwand für die Passage des BoNT durchlässig macht.
Mechanismen im und am Neuron
Wenn das Gift den Blutstrom erreicht, wird es mit diesem verteilt. BoNT bindet an spezifische Rezeptoren an den präsynaptischen Terminalen peripherer cholinerger Neurone und wird anschließend endoneuronal aufgenommen. Im sauren Milieu der Lysosomen ändert sich die Konfiguration von BoNT. Dadurch wirkt es nach seiner Freisetzung in die Nervenendigung als Protease. BoNT inaktiviert spezifisch und je nach Serotyp an unterschiedlichen Stellen den Proteinkomplex SNARE (soluble N-ethylmaleimide-sensitive-factor attachment receptor), der die Fusion der Transmittervesikel mit der präsynaptischen Membran bewirkt. Auf diese Weise blockiert BoNT die Acetylcholin-Ausschüttung. Hierdurch kommt es zu den Leitsymptomen Muskelschwäche und anticholinerge Effekte.
Überwindung der Toxinwirkung
Eine Neubildung von cholinergen Synapsen, auch „sprouting“ genannt (Dauer ≥ 2-3 Wochen), überwindet die Toxinwirkung. Die Funktion der originären Synapsen wird durch Neusynthese des SNARE-Komplexes wiederhergestellt (Dauer ca. 8-16 Wochen). Danach werden die „sprouts“ wieder rückgebildet.
Symptome
Die Inkubationszeit beim Nahrungsmittelbotulismus beträgt zwölf bis 36 Stunden. Die BoNT-Vergiftung bewirkt schlaffe Lähmungen. Nach der Inkubationszeit treten häufig Übelkeit, Durchfall oder Verstopfung auf. Als typische Symptome gelten okulomotorische und bulbäre Paresen, die 4 „Ds“:
Diplopie (Doppelsehen)
Dysarthrie (motorische Sprechstörung)
Dysphagie (Schluckstörung)
Dysphonie (Stimmstörung)
Begleitet werden die 4 „Ds“ von weiteren anticholinergen Effekten im autonomen Nervensystem, wie beispielsweise Mundtrockenheit und Mydriasis (Pupillenerweiterung). Die schnell fortschreitende schlaffe Lähmung betrifft schließlich auch die Atemmuskulatur.
Wundbotulismus
Beim Wundbotulismus können die gastrointestinalen Symptome fehlen, aber Fieber auftreten.
Säuglingsbotulismus
Von der Exposition mit Clostridium-Sporen bis zum Ausbruch der Krankheit können drei bis 38 Tage liegen. Neben den bereits beschriebenen Lähmungen können an Botulismus erkrankte Säuglinge folgende Symptome zeigen:
Muskelhypotonie
Obstipation
Unfähigkeit zu saugen und zu schlucken
schwaches Schreien
Ptose
schlechte Kopfkontrolle
fehlendes Fieber
Erstsymptome ähnlich einem akuten Abdomen wurden im Zusammenhang mit Säuglingsbotulismus beschrieben.
Die Krankheit beginnt subakut bis akut und kann bis zu generalisierter Muskelhypotonie ('floppy baby') und Atemversagen fortschreiten. Auch von Fällen plötzlichen Kindstodes (sudden infant death syndrome [SIDS]) wurde berichtet.
Aufklärung des Patienten bei Verdacht
Personen mit Verdacht auf eine BoNT-Intoxikation, jedoch fehlenden klinischen Symptomen müssen über Frühsymptome wie Mundtrockenheit und/oder Sehstörungen aufgeklärt werden.
Diagnostik
Aufgrund seiner Seltenheit wird Botulismus bei Indexpatienten (erste Patienten bei einem Botulismusausbruch) oder in Einzelfällen häufig (zu) spät erkannt.
Erste und wichtige Hinweise auf einen Botulismus bieten die klinischen Symptome (s.o.) in Verbindung mit der Anamnese. Zu den anamnestischen Hinweisen gehören:
Verzehr eingemachter oder konservierter Lebensmittel
ähnliche Symptome in der Familie bzw. den Konsumenten des Produkts
Ein Anfangsverdacht auf Wundbotulismus besteht ebenfalls bei Patienten mit kürzlich infizierter Wunde oder mit Drogenabusus. Gelegentlich sind Verletzungen nicht erkennbar, sodass an tiefliegende Abszesse oder Sinusitis gedacht werden sollte.
Labornachweis
Wenn der Verdacht auf Botulismus besteht, sollten Untersuchungsmaterialien wie Serum, Wundabstriche, Stuhl (bei Säuglings- und lebensmittelbedingtem Botulismus) und Mageninhalt/Erbrochenes unverzüglich gesichert werden. Bei möglichweise inhalativ aufgenommenem Toxin sind Abstriche der nasalen Schleimhaut und eventuell eine Bronchiallavage zur Gewinnung von Untersuchungsmaterial durchzuführen. Bei Verdacht auf Lebensmittel-Botulismus müssen zusätzlich verdächtige Lebensmittel (selbst hergestellte Konserven, Fleisch- bzw. Fisch-Erzeugnisse) untersucht werden. Häufig lassen sich der Erreger sowie das Neurotoxin aus dem Lebensmittel nachweisen.
Informationen über notwendiges Probematerial und Versand können über die Gesellschaft für Klinische Toxikologie (GfKT) eingeholt werden.
Toxinnachweise
Der Maus-Inokulationstest (Bio-Assay) ist obligat. BoNT wird im Serum oder im Stuhl von Patienten mit Nahrungsmittelbotulismus jedoch in weniger als der Hälfte der Fälle nachgewiesen. Bei hinreichendem Verdacht auf Botulismus sollte eine Therapie noch vor dem Eintreffen des Testergebnisses eingeleitet werden, weil die Gabe von Antitoxin zeitlich begrenzt ist. Zusätzlich zum Maus-Bioassay haben sich in-vitro-Nachweise von BoNT mittels ELISA, PCR, Real-Time-PCR oder Massen-Spektrometrie (Endopep-MS) etabliert. Sie wurden in den letzten Jahren deutlich verbessert und ermöglichen eine Bestätigung der Diagnose in wenigen Stunden. Bei Neugeborenen- und adultem infektiösem Botulismus ist aus dem Stuhl, bei Wundbotulismus aus dem Wundmaterial eine anaerobe Kultur anzulegen.
Weitere Untersuchungsmethoden
Die Befunde folgender Tests können zur Erhärtung des Botulismus-Verdachts beitragen:
Elektromyographie mehrerer Muskeln
EMG mit repetitiver Nervenstimulation (20-50Hz)
repetitive Nervenstimulation
Einzelfaser EMG (pathologischer Jitter gilt als konfirmativ)
Bei Neuroimageing und Lumbalpunktion sind normale Befunde und beim Tensilon-Test ein negatives Ergebnis zu erwarten.
Differentialdiagnosen
Die anfänglich unspezifischen Symptome des Botulismus können auch von zahlreichen anderen Erkrankungen hervorgerufen werden. Differentialdiagnostisch kommen neurologische, metabolische, infektiologische, kardiovaskuläre aber auch paraneoplastische Ursachen und andere Intoxikationen infrage. Konkret können die folgenden Erkrankungen eine ähnliche neurologische Symptomatik verursachen:
Die beim Botulismus auftretenden gastrointestinalen Symptome können auch durch andere Lebensmittelvergiftungen oder -infektionen ausgelöst werden.
Iatrogener Botulismus
Ein iatrogener Botulismus kann bei der Therapie der Dystonie mit BoNT Typ A und B entstehen. Er wird vor allem bei pharynx-naher Anwendung (Antecollis) oder hochdosierter Gabe beobachtet. Das klinische Bild des Botulismus entsteht innerhalb von zwei bis 14 Tagen nach der Behandlung.
Therapie
Die Gabe eines Botulinum-Antitoxins ist die einzige spezifische pharmakologische Maßnahme. Seit 2019 ist in Europa ein heptavalentes Antitoxin gegen die Serotypen A-G erhältlich (BAT®). Eine Antitoxin-Behandlung ist nur in einem Zeitfenster bis höchstens 48 Stunden nach der Aufnahme von BoNT über den Darm sinnvoll, denn die intravenösen verabreichten Antitoxine können nicht in die Nervenzellen eindringen. Die Antitoxine neutralisieren ausschließlich extrazelluläres BoNT. Bei symptomatischen Patienten ist BoNT bereits in den Nervenzellen angekommen und damit unerreichbar für die Antitoxine. Bei bis zu 9% der Patienten wurde nach der Antitoxingabe Hypersensitivitätsreaktionen bis hin zur Anaphylaxie beobachtet. Daher wird eine Intrakutantestung vor der Verabreichung empfohlen.
Behandlung symptomatischer Patienten
Die Wirkung von BoNT kann bis zu zwölf Wochen andauern. So lange ist dann auch eine entsprechende Behandlung nötig. Eine vollständige Erholung von den Paresen kann insbesondere, wenn Atrophien entstehen, Monate dauern. Das Management besteht im Wesentlichen in unterstützenden Maßnahmen:
Aufgrund der Gefahr von Aspiration und Atemlähmung ist eine Überwachung/Behandlung bei klinischen Symptomen auf einer Intensivstation nötig. (Patienten mit Botulismusverdacht müssen über die Frühsymptome wie Mundtrockenheit und Sehstörungen informiert werden, damit sie sich rechtzeitig in Behandlung begeben).
Bei Wundbotulismus muss ein ausgiebiges chirurgisches Debridement durchgeführt werden und eine antibiotische Therapie mit Penicillin G Aminoglykoside und Clindamycin sollten nicht eingesetzt werden, weil sie die neuromuskuläre Blockade verstärken können.
Eine Magenspülung ist nicht indiziert. Eine Entfernung des Magenbreis kann jedoch unter strenger Indikationsstellung endoskopisch erfolgen, wenn die Aufnahme des Nahrungsmittels mit BoNT erst kurze Zeit zurückliegt und eine realistische Aussicht besteht, dass kontaminierte Nahrungsreste noch rechtzeitig entfernt werden können.
Einläufe und Laxantien können den Krankheitsverlauf unter Umständen positiv beeinflussen. Dies ist allerdings nicht belegt. Eine properistaltische Behandlung kann bei anhaltender Darmatonie jedoch erforderlich sein.
Die Auswirkungen von Cholinesterase-Hemmern (z.B. Neostigmin) auf Intensivpflichtigkeit, Morbidität und Mortalität wurde noch nie prospektiv untersucht. Der Einsatz von Cholinesterase-Hemmern erscheint aber sinnvoll, weil sie die Verweildauer von noch vorhandenem Acetylcholin im synaptischen Spalt verlängern. Cholinesterase-Hemmer können jedoch Darmkrämpfe und Diarrhöen verstärken.
Die Gabe von Magnesium ist kontraindiziert, weil die Möglichkeit besteht, dass es die Wirkung von Botulinum-Toxin verstärkt.
Behandlung von Säuglingen
Die Behandlung von Säuglingen besteht vor allem in unterstützenden Maßnahmen, z.B. für Atmung und Ernährung, unter intensivmedizinischen Bedingungen. Laut Orphanet sind Antibiotika wirkungslos. Sie werden nicht empfohlen, weil die Lyse BoNT-produzierender Clostridien die Menge freier Toxine erhöht.
Prognose
Beim Wundbotulismus ist die Prognose mit rechtzeitiger und angemessener intensivmedizinischer Betreuung gut. Als Folge von Atemversagen versterben jedoch 7% der Patienten. Bei IDUs kann Wundbotulismus mehrfach auftreten.
Die Prognose beim Säuglingsbotulismus ist gut, wenn keine Komplikationen auftreten und das Kind rechtzeitig intensivmedizinisch betreut wird. In diesen Fällen kann eine Überlebensrate von nahezu 100% erreicht werden.
Prophylaxe
Die Lebensmittelkontrolle von kommerziell hergestellten Nahrungsmitteln hat die Häufigkeit von Botulismusfällen enorm reduziert. Dennoch sollten Verbraucher Lebensmittel und deren Verpackungen vor dem Verzehr kritisch prüfen, das gilt vor allem für Produkte, die privat hergestellt wurden. Zur Vorbeugung sollten insbesondere Konserven mit gewölbtem Deckel und ausgebeulter Dose oder Lebensmittel aus undichten Einmachgläsern verworfen werden. Säuglinge sollten keine Honigprodukte erhalten.
Hinweise
Bisher war eine Antitoxin-Therapie nur vor der klinischen Symptomatik möglich, solange sich BoNT außerhalb des Neurons befand, weil die Antikörper aus Pferdeseren nicht in die Nervenzellen gelangen konnten. Verschiedene Arbeitsgruppen entwickelten nun verkleinerte Versionen der Antikörper (Nanobodys), die über eine rezeptorvermittelte Endozytose in die Neuronen eingeschleust werden können, nachdem man sie zuvor an atoxische Varianten des Botulinumtoxins als Liganden des präsynaptischen Rezeptors gekoppelt hatte. In Tierexperimenten verkürzte das neue Antitoxin die Dauer der Muskellähmung bei Mäusen. Die Tiere überlebten eine ansonsten tödliche Dosis des Botulinumtoxins dank des Einschleusungsverfahren. In weiteren Studien wurde die Methode auch erfolgreich bei Meerschweinchen und nicht-menschlichen Primaten angewandt. Möglicherweise ist die Methode auch beim Menschen und bei anderen Erkrankungen respektive Vergiftungen einsetzbar.
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