Atopische Dermatitis, auch bekannt als Neurodermitis, ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die durch trockene Haut, Juckreiz und wiederkehrende Ekzeme charakterisiert ist. Die Pathogenese ist multifaktoriell, involviert eine gestörte Hautbarriere und dysregulierte Immunantwort.
Neurodermitis ist eine nicht-infektiöse, chronische oder chronisch-rezidivierende, entzündliche Hauterkrankung, die häufig mit Juckreiz einhergeht. Die Erkrankung verläuft meist in Schüben. Sie bildet gemeinsam mit der allergischen Rhinitis sowie dem Asthma bronchiale die Trias der atopischen Erkrankungen. Neurodermitis ist in vielen Fällen der erste Schritt auf dem „atopischen Marsch“ und die Patienten entwickeln im Laufe ihres Lebens auch eine allergische Rhinitis und/oder ein Asthma bronchiale.
Die Neurodermitis ist oft mit Nahrungsmittelallergien und Sensibilisierungen gegen Aeroallergene vor assoziiert. Komplikationen infolge von Infektionen wie disseminierte Impetiginisation (honiggelbe Krustenbildung) durch Staphylococcus aureus, virale Infektionen, z. B. durch Herpesviren, oder Mykosen, v. a. durch Trichophyton rubrum kommen häufig vor.
Epidemiologie
Die Neurodermitis ist eine der häufigsten nicht-infektiösen Hauterkrankungen. Sie betrifft bis zu 20 % der Kinder und 2-8 % der Erwachsenen weltweit. Die Prävalenz zeigt erhebliche regionale Unterschiede zwischen 2% (Iran) und 16% (Japan und Schweden).
Ursachen
Die Ursachen für das Auftreten einer Neurodermitis sind zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht vollständig geklärt. Man geht von einer multifaktoriellen Ätiologie aus, welche vor allem genetische und immunologische Faktoren beinhalten. Im Mittelpunkt der Erkrankung steht die gestörte kutane Barrierefunktion.
Pathogenese
Genetische Prädisposition
Für eine genetische Prädisposition der Neurodermitis sprechen zahlreiche Fakten: Wenn beide Elternteile an einer Erkrankung aus dem atopischen Formenkreis leiden, liegt das Risiko für das Kind an einer Neurodermitis zu erkranken bei 60 - 80%. Es wird vermutet, dass verschiedene Gene auf mehreren Chromosomen für die Entstehung einer Neurodermitis verantwortlich sind. So wurde eine Reihe von Mutationen und Polymorphismen von Immunsystemmolekülen und Barriereproteine beschrieben. Besonders hervorzuheben ist die Mutation des Filaggrin-Gens. Filaggrin ist ein Schlüsselelement der epidermalen Hautbarriere und fördert die Verhornung der Hautoberfläche. Durch den Filaggrin-Gendefekt kommt es zu einer reduzierten Barrierefunktion der Haut und das Eindringen von Allergenen durch die Haut wird erleichtert.
Immunologische Prozesse
Bei der Neurodermitis-Pathogenese werden zudem immunologische Prozesse diskutiert. Im Fokus steht eine lokale Entzündungsreaktion mit konsekutiver Ausschüttung von Zytokinen, die Entzündungszellen wie die T-Zellen rekrutieren. T-Helferzellen vom Typ 2 (Th2) spielen hierbei eine herausragende Rolle. Ferner führen die über die gestörte Hautbarriere eindringenden Allergene zur Produktion von IgE-Antikörpern, welche auf dendritischen Zellen präsentiert werden und wiederum T-Zellen aktivieren. Die aktivierten T-Zellen produzieren ihrerseits wieder Zytokine und Chemokine wie z. B. IL-4, IL-5 und IL-13 wodurch weitere Entzündungszellen rekrutiert werden. Ferner konnte gezeigt werden, dass T-Zellen Keratinozyten zur Apoptose anregen können, welches die Entstehung weiterer Hautdefekte fördert und damit die Hautbarriere weiter schwächt.
Symptome
Die Neurodermitis ist eine chronisch rezidivierend verlaufende Entzündungserkrankung der Haut. Die Betroffenen leiden unter einer empfindlichen trockenen Haut mit Ekzemen, die einen sehr starken Juckreiz hervorrufen können. Der Juckreiz verschlimmert sich meist abends und nachts, kann zu Schlafstörungen führen und kann Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinträchtigen. Bei einigen Patienten kommt es zu einer Verdickung und Vergröberung der Haut (Lichenifikation) und dem Auftreten von Knötchen oder Pusteln (Prurigo-Form). Die Hautveränderungen werden von den Patienten mitunter als stigmatisierend empfunden. Zur Belastung durch die Erkrankung und die körperlichen Beschwerden kommen psychosoziale Belastungen und Beeinträchtigungen: Auch hierunter leiden Lebensqualität, Schul- und Arbeitsleistung der Patienten.
Prädilektionsstellen
Bei Säuglingen sind vor allem das Gesicht, die Kopfhaut („Milchschorf“) sowie die Streckseiten der Gliedmaßen betroffen. Mit zunehmendem Alter der Kinder wandern die Hautveränderungen zu den Beugeseiten der Arme und Beine sowie den Hand- und Fußgelenken. Bei Erwachsenen manifestiert sich die Erkrankung hauptsächlich im Gesicht und an den Händen. Prinzipiell können jedoch alle Körperregionen betroffen sein.
Provokationsfaktoren
Die Haut von Neurodermitis-Patienten zeigt eine erhöhte Irritabilität gegenüber extrinsischen und intrinsischen Faktoren. Diese Provokationsfaktoren sind individuell unterschiedlich. Um sie vermeiden/mindern zu können, müssen sie Einzelfall identifiziert werden. Mögliche Provokationsfaktoren sind:
Textilien (z. B. Wolle), Schweiß, falsche Hautreinigung
Nahrungsmittel (bei Kindern v. a. Milch, Ei, Soja, Weizen, Haselnuss, Erdnuss und Fisch; bei Erwachsenen v. a. Obst, Gemüse, Nüsse)
Die gestörte Hautbarriere bei einer Neurodermitis erleichtert die Penetration von Infektionserregern, Allergenen und Irritanzien. Die daraus resultierenden Komplikationen und Folgeerkrankungen verschlimmern das Krankheitsbild und müssen bei Diagnostik und Therapie berücksichtigt werden.
Diagnostik
Zur Diagnostik der Neurodermitis gehören auch die Einordnung in einen Schweregrad sowie die Identifikation von Allergenen und Provokationsfaktoren.
Anamnese und klinische Untersuchung
Im Rahmen der allgemeinen Diagnostik sollte zunächst eine ausführliche Anamnese inklusive Familienanamnese erfolgen. Anschließend sollte sich eine gründliche Untersuchung der gesamten Haut der Betroffenen anschließen.
Umgebungsfaktoren und Histopathologie
Notwendig ist zudem die Erfassung möglicher psychosomatischer, ernährungsbedingter oder durch andere Umgebungsfaktoren bedingte Auslöser. Eine Probebiopsie zur dermatohistopathologischen Untersuchung kann für differenzialdiagnostische Zwecke indiziert sein.
Allergiediagnostik
Eine individuelle Allergiediagnostik ist bei Neurodermitis-Patienten bei entsprechendem Befund und Anamnese empfohlen. Die Patienten zeigen häufig erhöhte Gesamt-IgE-Werte. Sensibilisierungen gegen Inhalationsallergene (z. B. Pollen, Pilze, Hausstaubmilben) und Nahrungsmittelallergene können mit Hilfe von spezifischen IgE-Tests nachgewiesen werden. Zudem kann ein Prick-Test durchgeführt werden.
Eine Epikutantestung kann bei Neurodermitis-Patienten eine zusätzliche allergische Kontaktdermatitis aufdecken. Zu berücksichtigen bei den Hauttestungen ist die erhöhte Hautirritabilität der Patienten und eine daraus möglicherweise resultierende erhöhte Rate an falsch-positiven Testergebnissen.
Einteilung des Schweregrades
Die Schwere der Neurodermitis ist ein wesentliches Entscheidungskriterium für die Wahl der Therapiebausteine. Zur Schweregraderfassung stehen verschiedene Tools zur Verfügung. Der SCORAD (Scoring Atopic Dermatitis Index) sowie der EASI (Eczema Area and Severity Index) werden als validierte Haut-Scores empfohlen. Zusätzlich kann die Lebensqualität mit Hilfe verschiedener Fragebögen erfasst werden (z. B. Skinindex, DLQI).
Therapie
Therapie nach Stufenschema
Stufe 1: Basistherapie (alle Schweregrade)
Patientenaufklärung und Schulung: Einschließlich Hautpflegeinstruktionen.
Spezielle Hautpflege: Verwendung von Emollienzien, Badeölen und hautschonenden Reinigungsmitteln.
Allergenmanagement: Reduktion von Allergenen und anderen Provokationsfaktoren.
Stufe 2: Leichte Neurodermitis (SCORAD < 25)
Basistherapie mit Ergänzung durch:
Topische Glukokortikosteroide der Klasse II und/oder topische Calcineurininhibitoren.
Antiseptika: Anwendung in Bädern oder als silberhaltige Produkte.
Hochpotente topische Behandlungen: Weiterer Einsatz von Klasse III oder IV Steroiden und/oder Calcineurininhibitoren.
Spezielle Aspekte der Therapie
Patientenschulung: AGNES-Schulungen für betroffene Kinder und deren Sorgeberechtigte.
Basispflege: Regelmäßige Anwendung von Emollienzien und gegebenenfalls Harnstoff-haltigen Präparaten zur Unterstützung der Hautbarrierefunktion.
Topische Therapie: Beinhaltet antientzündliche Steroide und Calcineurininhibitoren mit besonderer Aufmerksamkeit auf potentielle Nebenwirkungen wie Hautatrophie oder Reboundeffekte.
Antimikrobielle Begleittherapie: Wichtig bei Anzeichen von Superinfektionen, wobei der Langzeiteinsatz vermieden werden sollte, um Resistenzen zu verhindern.
Proaktive Therapie mit Tacrolimus: Aufbau eines Wirkstoffdepots durch zweimal wöchentliche Anwendung, um Entzündungsschübe effektiv zu kontrollieren.
Prognose
Der Verlauf einer Neurodermitis ist durch Krankheitsschübe mit unterschiedlicher Dauer und Ausprägung charakterisiert. Spontanheilungen sind möglich. Die Neurodermitis zeigt die Tendenz, sich mit zunehmendem Alter zu bessern. Bis zum frühen Erwachsenenalter sind 60% der zuvor erkrankten Kinder wieder symptomfrei. Jedoch verbleibt häufig (bei mindestens 30% der Kinder) eine hohe Irritabilität der Haut. Prädiktoren für die Persistenz der Erkrankung bis ins Erwachsenenalter sind vor allem das Vorliegen einer Komorbidität mit weiteren Erkrankungen des atopischen Formenkreises, ein schwerer Krankheitsverlauf, eine positive Familienanamnese für Atopie sowie ein früher Krankheitsbeginn.
Prophylaxe
Patienten, die eine atopische Hautdiathese aufweisen, sollten ein besonderes Augenmerk auf Präventionsstrategien richten. Hierzu zählt auch die Entscheidung der Berufswahl. Arbeiten im feuchten Milieu, Hautverschmutzungen, häufiges Händewaschen sowie die Exposition zu hautreizenden Stoffen können eine Verschlechterung eines vorbestehenden Hautekzems bedingen oder gar deren Neuentstehung verursachen. Individuelle Empfehlungen zum Hautschutz und zur Hautreinigung sind hier zu beachten.
Studien zur Primärprävention konnten zeigen, dass die kumulative Inzidenz einer Neurodermitis bis zum 6. Lebensmonat durch die Anwendung einer konsequenten Basistherapie bei Neugeborenen mit einem familiären Hintergrund für atopische Erkrankungen um 50% reduziert werden konnte.
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