Zweifel an E-Rezept-Testphase

Die Gesellschafter der gematik GmbH haben in einer gemeinsamen Pressemitteilung Zweifel an der Aussagekraft der E-Rezept-Testphase geäußert. Die Funktionalität der TI-Anwendungen könne bisher nicht abschließend beurteilt werden.

Pfeile entgegengesetzt

Das elektronische Rezept (E-Rezept) soll am 1. Januar 2022 verpflichtend eingeführt werden. Die Testphase in der Fokusregion Berlin-Brandenburg startete im Juli 2021 und war aufgrund fehlender technischer Voraussetzungen bis Ende November 2021 verlängert worden. Seit dem 1. Dezember können bundesweit Tests von ausgewählten Pilotpraxen und -Apotheken durchgeführt werden. Nun äußern die Gesellschafter der »gematik GmbH« Zweifel an der Aussagekraft der Testphase und dem vorgegebenen Zeitplan zur Einführung der elektronischen Verordnung.

Testphase nicht aussagekräftig

In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärten die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Bundesärztekammer (BÄK), Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Apothekerverband (DAV), dass die Testphase des E-Rezepts in der Fokusregion entgegen der Aussage der gematik nicht erfolgreich verlaufen sei. Die Testergebnisse seien nicht aussagekräftig.

Qualitätskriterien nicht erreicht

Zum Ende der Testphase in der Fokusregion sollten bestimmte Qualitätskriterien (Mengengerüste) erreicht werden. Auch nach Verlängerung des Zeitraums bis Ende November sei dies nicht der Fall gewesen. Den Prozess von der Ausstellung bis zur Abrechnung haben statt den geplanten mindestens 1.000 E-Rezepten bisher 42 Verordnungen erfolgreich durchlaufen. Auch die gewünschte Anzahl teilnehmender Apotheken- und Praxisverwaltungssysteme sowie Krankenkassen wurde nicht erreicht. Bisher war außerdem kein Krankenhaus an den Tests beteiligt.

Bundesweite Einführung nicht sinnvoll

Aufgrund des niedrigen Testvolumens sei die Funktionalität aller Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) zweifelhaft und könne nicht abschließend beurteilt werden, so die Vereinigungen. Die Einführung der bundesweiten Testphase sei durch die Stimmmehrheit des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) beschlossen worden und aus Sicht der Gesellschafter nicht sinnvoll. Ein Gegenvorschlag, die Beendigung der erfolgreichen Testung an transparente Qualitätskriterien anzubinden, die jeder Anbieter zu erfüllen hat, sei abgelehnt worden.

Ärzte forderten Aufschub des Starttermins

Die KBV forderte bereits Ende Oktober einen Aufschub der E-Rezept-Einführung bis Juli 2022. Als Grund nannte Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel, dass die Produkte der TI nicht ausgereift seien. Insbesondere das einwandfreie Zusammenspiel der einzelnen Komponenten werde seiner Meinung nach bis zur verpflichtenden Einführung im Januar nicht einwandfrei laufen.

Volle Funktionsfähigkeit bei Einführung nötig 

Kriedel führte weiter an, dass man zudem berücksichtigen müsse, dass es sich bei den elektronischen Verordnungen um Massenanwendungen handele. Vor der Einführung müssten daher alle Produkte hundertprozentig funktionieren und den Praxen genug Zeit bleiben, ihre Arbeitsprozesse entsprechend auszurichten. In einem Interview vom 2. Dezember betonte er abermals: „Es ist kein Stopp der Digitalisierung, sondern eine Möglichkeit, ausreichend zu testen, damit diese Anwendungen ausgereift in die Praxis kommen, und die vorhandene Motivation für die Digitalisierung nicht zu gefährden oder herunterzufahren.“

Erhebliche Störung des Betriebs

Auch die KZBV geht derzeit davon aus, dass der Einsatz der Anwendungen zum 1. Januar 2022 nicht flächendeckend gewährleistet werden kann, heißt es in einer Stellungnahme. „Der Betrieb vieler Zahnarztpraxen könnte daher bei der Einführung erheblich gestört werden“, so Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands.

Papierform nur im Einzelfall

Eine Ausnahmeregelung für Arzt- und Zahnarztpraxen wurde durch eine Richtlinie der KBV eingeführt. Wenn nachweislich unverschuldet technische Schwierigkeiten bei der Digitalisierung auftreten, kann im Einzelfall bis Ende Juni 2022 auf die Papierform zurückgegriffen werden, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen.

Apotheken kritisieren Umsetzung und Zeitplan

Auf der Herbstsitzung der westfälisch-lippischen Apothekerkammer kritisierte auch die Präsidentin der Kammer und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Regina Overwiening, die Vorgehensweise bei der E-Rezept-Einführung. Die Apothekerinnen und Apotheker seien startklar für das E-Rezept. Beim Blick auf den ehrgeizigen Zeitplan und den tatsächlichen Umsetzungsfortschritt des Gesamtprojektes werde ihr aber angst und bange.

Keine Berücksichtigung der Praxistauglichkeit

Overwiening erklärte, dass der Bund seit Mai 2019 51% der Stimmanteile an der gematik GmbH hält. „Seitdem haben wir mitunter den Eindruck, dass Beschlüsse ohne Bezug zur Praxistauglichkeit und Akzeptanz und mitunter sogar entgegen der Fachlichkeit durchgeboxt werden.“

Als Beispiel führte die ABDA-Präsidentin die Einführung von bis zu acht Institutionskarten (SMC-B) pro Apotheke auf. Die Durchführung und Prüfung der Anträge durch die Apothekerkammern sei in den fünf Wochen bis zur Einführung des E-Rezepts faktisch unmöglich. Die neue Regelung sei als Lobbygeschenk an die Versandapotheken zu bewerten, die sich nun bis zu acht Mal im sogenannten „Verzeichnis-Dienst“ der TI gegenüber dem Versicherten, präsentieren könnten.

Verpflichtende Ende-zu-Ende-Tests nötig

Die einzig logische Konsequenz des Bundesgesundheitsministeriums müsse nun sein, die Testphase des E-Rezepts zu verlängern und Ende-zu-Ende-Tests von der Ausstellung bis zur erfolgreichen Abrechnung zwingend vorzuschreiben. Es gelte eine professionelle Versorgung der Bevölkerung und eine entsprechende Versorgungsqualität sicherzustellen. „Das für alle Beteiligten wichtigste Digitalprojekt im Gesundheitswesen aller Zeiten darf nicht verstolpert werden.“, so Overwiening.

Gematik: Testphase intensiv nutzen

Die gematik weist in einer Pressemitteilung zur bundesweiten Testphase daraufhin, dass diese nun intensiv genutzt werden müsse. Nur dadurch ließen sich die verschiedenen Konstellationen der Systeme auf allen Seiten (Praxen, Apotheken, Krankenkassen) durchspielen, um den flächendeckenden Start optimal vorzubereiten. Dabei müsse mit Hochdruck an dem reibungslosen Prozess der Abrechnung gearbeitet werden. Anmeldungen zu den Tests sind seit dem 1. Dezember bundesweit möglich.

E-Rezept-Start bleibt bestehen

An der bundesweit verpflichtenden Einführung des E-Rezepts zum 1. Januar 2022 ändert sich weiterhin nichts. Die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Krankenhäuser appellierten dennoch dringend an den Gesetzgeber, die Anwendung des E-Rezeptes erst nach einer ausreichenden Testphase und erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in den Praxen vorzusehen. Pro Tag werden etwa zwei Millionen Rezepte ausgestellt. Fehlerhaft übermittelte E-Rezepte würden somit eine Belastung für Ärzte, Zahnärzte und Apotheken, insbesondere aber auch die Patientensicherheit darstellen.

Zusammenarbeit aller Beteiligten nötig

Bisher sind nur vier von der KBV zertifizierte Praxisverwaltungssysteme an der E-Rezept-Testphase beteiligt, trotz einem Marktanteil von 94%. Auch der Anteil teilnehmender Krankenkassen (AOK Nordost, IKK BB) ist gering. „Im Endspurt vor der Einführung des E-Rezepts ist nun gemeinsames Miteinander gefragt. Denn: Ein Projekt dieser Größenordnung kann nur gemeinsam mit allen Beteiligten und Partnern gelingen.“, so die gematik.

Autor:
Stand:
02.12.2021
Quelle:
  1. Apothekerkammer Westfalen-Lippe: Overwiening nimmt Gematik in die Pflicht: „E-Rezept-Start darf nicht verstolpert werden“ (01.12.2021)
  2. BÄK: Gemeinsame Pressemitteilung – Erhebliche Zweifel an Aussagekraft der eRezept-Tests (01.12.2021)
  3. Gematik: Pressemitteilung – E-Rezept: Bundesweite Testphase muss intensiv genutzt werden (01.12.2021)
  4. KBV: Ausreichende Testphasen für TI-Anwendungen notwendig (02.12.2021)
  5. KBV: KBV fordert Aufschub von eAU und eRezept bis mindestens 1. Juli 2022 (28.10.2021)
  6. KZBV: Statement – KZBV weist auf Ersatzverfahren für Einführung digitaler Anwendungen hin (17.11.2021)
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