Diabetes und Ramadan: Darauf sollten fastende Patienten achten

Muslimische Diabetespatienten, die während des Ramadan fasten möchten, sollten sich auf diese Zeit gut vorbereiten und engmaschig überwacht werden. Neben möglichen Dosisanpassungen der antidiabetischen Therapie sind auch ein individueller Ernährungsplan sowie eine regelmäßige Kontrolle der Blutzuckerspiegel wichtig.

Familie Ramadan

Der Fastenmonat Ramadan ist eine der fünf Säulen des Islam und eine Zeit, in der der Glaube vertieft und die Nähe zu Gott gesucht werden soll. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang verzichten praktizierende Muslime auf Essen und Trinken, beispielsweise dürfen auch keine oralen Medikamente eingenommen werden. Der Fastenmonat ist obligatorisch für alle Muslime, jedoch sind Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Ältere, Schwangere und Kinder von dieser Pflicht ausgenommen.

Allerdings entscheiden sich viele muslimische Diabetespatienten dennoch zu fasten. Sie sind aufgrund der veränderten Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme jedoch besonders gefährdet, Komplikationen wie Hypo- oder Hyperglykämien, Dehydration und akute metabolische Komplikationen (z.B. diabetische Ketoazidose) zu erleiden. Aus diesem Grund ist eine adäquate Beratung und Betreuung durch medizinisches Fachpersonal nötig. Die Leitlinie zu Diabetes und Ramadan der »Internationalen Diabetes Federation« (IDF) und der »Diabetes and Ramadan International Alliance« (DaR) kann bei der Beratung der Patienten unterstützen.

Einfluss des Fastens auf den Stoffwechsel

Der Zeitpunkt des Ramadan basiert auf dem Mondkalender, der mit 355 Tagen pro Mondjahr kürzer ist als der gregorianische (westliche) Kalender. Aus diesem Grund findet der Fastenmonat jedes Jahr um zehn bis elf Tage früher statt als im Vorjahr. Dadurch variiert die Dauer des Tageslichtfastens je nach Jahreszeit und geografischer Lage zwischen zehn und zwanzig Stunden.

So ist es kaum verwunderlich, dass das Fasten Einfluss auf zirkadianen und damit auch den hormonelle Rhythmen sowie die Schlafdauer nimmt. Mit dem Fasten können außerdem Gewichtsverlust, eine erhöhte Glukosevariabilität durch den signifikanten und schnellen Blutzuckeranstieg während des Fastenbrechens (Iftar), eine reduzierte Insulinsensitivität, eine Reduktion der LDL-Cholesterin- und Triglycerid-Spiegel sowie Mikrobiomveränderungen einhergehen.

Risikostratifizierung

In der Leitlinie von IDF und DaR wird empfohlen bei Muslimen mit Diabetes, die während des Ramadan fasten möchten, das Risiko für Komplikationen individuell abzuschätzen. Die Einteilung erfolgt nach umfangreicher Anamnese anhand verschiedener Faktoren in drei Gruppen (geringes, mittleres, hohes Risiko). Anhand des ermittelten Risikowertes können Empfehlungen für die Fastenentscheidung gegeben werden.

Die Untersuchung sollte idealerweise sechs bis acht Wochen vor Beginn des Ramadans stattfinden. Nach Ende des Fastenmonats wird ein Follow-up empfohlen, um Erfolge und Probleme zu besprechen und das Vorgehen im nächsten Jahr verbessern zu können.

Ernährungsplan

Die Fastenpraktiken während des Ramadan unterscheiden sich in verschiedenen Ländern. Um Komplikationen zu vermeiden, sollten die Patienten einen individuellen Ernährungsplan befolgen. Die webbasierte Anwendung Ramadan Nutrition Plan (RNP), die vom DaR unterstützt wird, kann sowohl für Fachpersonal als auch Diabetespatienten hilfreich sein.

Die Mahlzeiten zum Fastenbrechen am Abend sollten viel Gemüse oder Salat beinhalten, um den Stoffwechsel nicht übermäßig zu belasten. Zu empfehlen ist eine möglichst fettarme Zubereitung, wie backen oder dünsten. Weitere geeignete Nahrungsmittel sind helles Geflügelfleisch und Fisch, sowie Vollkornprodukte in Bezug auf Nudeln, Reis oder Brot. Zum Nachtisch sollten Datteln und Obst gegenüber gezuckerten Speisen bevorzugt werden.

Zu der letzten Mahlzeit vor Sonnenaufgang (Sahur) empfehlen sich insbesondere Lebensmittel mit einem hohen Ballaststoffgehalt wie Vollkornbrot, Reis, Grieß, Haferflocken, Joghurt, Linsen und andere Hülsenfrüchte sowie gekochte Eier, die möglichst lange sättigen. Außerdem sollte viel Flüssigkeit aufgenommen werden, um den Gesamtbedarf abzudecken.

Empfehlungen bei Typ-1-Diabetes

Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 (T1DM) haben ein hohes Risiko für Komplikationen. Anhand verschiedener klinischer Studien sowie Expertenmeinungen empfiehlt die Leitlinie folgendes.

Blutzuckerkontrolle

Eine Voraussetzung für sicheres Fasten sind gut eingestellte Glukosespiegel. Liegt der HbA1c >9% (75 mmol/mol) sind eine Anpassung der Insulinbehandlung und eine erneute Evaluation notwendig. Von besonderer Wichtigkeit ist eine regelmäßige und häufige Blutzuckerkontrolle, insbesondere in den ersten Tagen des Fastens. Systeme zur kontinuierlichen Glukosekontrolle (FGM, CGM) sind dabei zu bevorzugen.

Insulintherapie

Ob und inwiefern eine Anpassung der Insulintherapie nötig ist, hängt von vielen Faktoren wie dem Alter und der Glukosekontrolle ab.

  • Generell eignen sich Insulin-Analoga besser als NPH-Insulin in der Fastenzeit.
  • Vorgemischte Insulinspritzen sind ungeeignet.
  • Ein Basal-Bolus-Schema ist bei Jugendlichen mit T1DM den herkömmlichen zweimal täglichen Schemata vorzuziehen.
  • Das Basalinsulin sollte entsprechend den Nüchternblutzuckerwerten angepasst werden, um Hypoglykämien während des Fastens zu vermeiden (Dosisreduktion bei Jugendlichen um 20% bis 30%, bei Erwachsenen um 30% bis 40% bei guter Glukosekontrolle).
  • Das Bolusinsulin wird wie üblich kalkuliert und sollte vor dem Iftar und Sahur appliziert werden, um postprandiale und abendliche Hyperglykämien zu kontrollieren. Die Sahur-Dosis kann bei Erwachsenen um 30% bis 50% reduziert sein.
  • Bei der Verwendung einer Insulinpumpe kann eine Dosisreduktion des Basalinsulins um 20% bis 35% bzw. bis 40% (Jugendliche vs. Erwachsene) in den letzten vier bis fünf Stunden des Fastens vor dem Fastenbrechen sinnvoll sein. Die Dosis des Bolusinsulins kann um 10% bis 30% nach dem Iftar bis Mitternacht, Bolus-Insulin wie üblich kalkulieren Die CSII-Therapie kann bei Jugendlichen mit T1DM während des Ramadan sicher und wirksam eingesetzt werden.
  • Die individuelle Anpassung der Behandlung anhand der selbst oder durch CGM-Systeme gemessenen Blutzuckerspiegel ist unerlässlich.

Empfehlungen bei Typ-2-Diabetes

Die Einnahme oder Applikation der Antidiabetika, die zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) angewendet werden, sollte während des Fastenbrechens und bei mehrmaliger täglicher Einnahme auch zur letzten Mahlzeit vor dem Sonnenaufgang erfolgen. Die folgenden Besonderheiten sind zu beachten.

  • Pioglitazon: Keine kurzfristige Umstellung auf dieses Arzneimittel kurz vor dem Ramadan, da die optimale Wirkung erst bis zu drei Monate nach Therapiebeginn erreicht wird.
  • Glinide: Dosisreduktion oder Umverteilung auf zwei statt drei Dosen in Abhängigkeit der Mahlzeitengröße möglich
  • GLP-1-Rezeptoragonisten: Keine Modifikationen nötig, wenn die Dosistitration mindestens zwei bis vier Wochen vor dem Ramadan erfolgte
  • Sulfonylharnstoffe: Bei Personen mit gut kontrollierten Blutzuckerspiegeln kann eine Dosisreduktion erfolgen, die Einnahme sollte zu den Mahlzeiten erfolgen (vorzugsweise Iftar, bei zweimal täglicher Einnahme Iftar und Sahur mit Reduktion der Sahur-Dosis). Ältere Substanzen wie Glibenclamid sollten vermieden, neuere Wirkstoffe (z.B. Glimepirid) mit geringerem Hypoglykämierisiko bevorzugt angewendet werden.

Insulintherapie

Die parenterale Applikation von Insulin hat kein Fastenbrechen im Ramadan zur Folge, sodass die Patienten ihre morgendlichen Insulin- oder Korrekturinsulindosen nach Beginn des Fastens wie gewohnt anwenden können.

  • Für lang- bzw. intermediär wirksame Basalinsuline wird die einmal tägliche Gabe nach dem Iftar empfohlen. Bei einmal täglicher Gabe sollte die Dosis um 15% bis 30% reduziert werden, bei zweimal täglicher Gabe ist keine Dosisanpassung für die Morgendosis nach dem Fastenbrechen nötig. Die abendliche Dosis sollte jedoch um 50% reduziert werden.
  • Kurzwirksame Insulin-Analoga werden in der gewohnten Dosis beim Iftar appliziert. Falls ansonsten üblich wird die Dosis zur Mittagszeit weglassen und die Sahur-Dosis um 25% bis 50% reduziert.
  • Bei vorgemischtem Insulin kann eine Dosisreduktion der Sahur-Dosis um 20% bis 50% bei zweimal täglicher Gabe nötig sein, bei dreimal täglicher Gabe wird die Mittagsdosis ausgelassen. Es sollte alle drei Tage eine Titration der Dosierungen erfolgen.
  • Patienten mit Insulinpumpen sollten die Basalrate um 20% bis 40% in den letzten drei bis vier Stunden des Fastens reduzieren. Kurz nach dem Fastenbrechen kann die Basaldosis um 0% bis 20% erhöht werden. Für den jeweiligen Bolus gelten die üblichen Prinzipien,

Antidiabetische Kombinationstherapie

Bei der Therapie mit drei oder mehr Antidiabetika besteht ein erhöhtes Hypoglykämierisiko, insbesondere in der Kombination von Insulin und Sulfonylharnstoffen. Hier ist eine Reduktion der Insulindosis um 25% bis 50% sowie Sulfonylharnstoffe nötig. Die Blutzuckerspiegel sollten regelmäßig kontrolliert werden.

Besondere Patientengruppen

Schwangere mit vorbestehendem Diabetes oder Gestationsdiabetes zählen zur Hochrisikogruppe, das Fasten während des Ramadan ist aber unter strenger Blutzuckerkontrolle grundsätzlich möglich.

Diabetespatienten mit vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankungen und chronischer Nierenerkrankung ab Stadium 3 sollte aufgrund des hohen Risikos für Komplikationen vom Fasten abgeraten werden.

Abbruch des Fastens

In den folgenden Fällen sollte das Fasten abgebrochen werden, um die Gesundheit nicht zu gefährden.

  • Blutglukosespiegel <70 mg/dl (3,9 mmol/l)
  • Blutglukosespiegel >300 mg/dl (16.6 mmol/l)
  • Auftreten von Symptomen von Hypoglykämie oder akute Krankheitssymptome

Weitere Studien nötig

Mit der richtigen Anleitung können viele Menschen mit Diabetes während des Ramadan sicher fasten. Wichtig sind hierbei eine strenge Überwachung sowie die Aufklärung über mögliche Risiken.

Derzeit basieren die Empfehlungen der Leitlinie Diabetes und Ramadan vor allem auf Expertenmeinungen statt medizinischer Evidenz.  Zwar hat die Forschung auf diesem Gebiet in den letzten Jahren stark zugenommen, dennoch sind weiterhin einige gut konzipierter Studien erforderlich, um wichtige Fragen zu klären. Es gilt beispielsweise zu untersuchen, unter welchen Bedingungen der Fastenmonat ein erhöhtes Risiko für Diabetespatienten birgt und welche Arzneimittel und Ernährungspläne am besten geeignet sind.

Autor:
Stand:
13.04.2022
Quelle:
  1. IDF & DaR: Diabetes and Ramadan – Practial Guidelines (2021)
  2. VDBD: Pressemitteilung – Fasten und Fastenbrechen mit diabetes mellitus (12.04.2022)
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