
Hintergrund
Virusinfektionen als Schlaganfall-Auslöser sind in der Medizin schon länger bekannt. Jüngsten Forschungsergebnissen zufolge erhöht eine Grippe-Erkrankung das Risiko für einen ischämischen Hirninfarkt, der häufigsten Schlaganfall-Form, innerhalb von 15 Tagen um 40 Prozent. Eine Studie aus Spanien legt nun nahe, dass die Grippeimpfung nicht nur vor einer saisonalen Influenza schützt, sondern zugleich das Schlaganfallrisiko senkt.
Studienleiter Professor Dr. Francisco Jose de Abajo von der Abteilung für Biomedizinische Wissenschaften an der Universität Alcalá, Madrid, erklärt seine Überlegungen so: Der biochemische Pathomechanismus eines Schlaganfalls infolge einer grippeähnlichen Erkrankung ist wahrscheinlich mit einer durch die Infektion ausgelösten systemischen Entzündung zu erklären, die das Aufbrechen der Atherom-Plaques fördert und das Risiko atherothrombotischer Gefäßereignisse erhöht.
Somit könnte ein Impfstoff, der vor der Grippe schützt, auch protektiv auf die Entstehung eines Schlaganfalls wirken. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachmagazin Neurology publiziert.
Zielsetzung
Die spanischen Wissenschaftler analysierten in einer verschachtelten Fall-Kontroll-Studie (nested case control study) die Auswirkungen der Grippeimpfung auf das individuelle Risiko eines ersten ischämischen Schlaganfalls.
Methodik
Das Team untersuchte Gesundheitsdaten von 14.322 Menschen, die mindestens 40 Jahre alt waren und in den letzten 14 Jahren einen ersten ischämischen Schlaganfall (9542 nicht kardioembolischer und 4780 kardioembolischer Genese) erlitten hatten. Die Vergleichsgruppe umfasste Daten von 71.610 Menschen ohne Apoplexie-Anamnese. Jedem Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip fünf Personen gegenübergestellt, die hinsichtlich des Alters, Geschlechts und Datums der Schlaganfalldiagnose (Indexdatum) übereinstimmten.
Ein Patient galt als geimpft, wenn die Grippeschutzimpfung innerhalb derselben Influenzasaison mindestens 14 Tage vor dem Indexdatum lag. Die Informationen entstammen der Datenbank der medizinischen Grundversorgung in Spanien, in der die anonymisierten klinischen Aufzeichnungen von Ärzten der Primärversorgung gesammelt werden, die im Rahmen des nationalen Gesundheitssystems praktizieren, erklärt de Abajo.
Ergebnisse
Von den Schlaganfall-Patienten hatten 41,4 Prozent eine Grippeschutzimpfung erhalten, verglichen mit 40,5 Prozent in der Vergleichsgruppe. Geimpfte Probanden wiesen allerdings eine höhere Prävalenz von Komorbiditäten, vaskulären Risikofaktoren und pharmakologischen Behandlungen auf als nicht Geimpfte.
Als Begleiterkrankungen wurden beispielsweise ischämische Herzkrankheiten (früherer Myokardinfarkt oder Angina pectoris), Diabetes, Herzinsuffizienz, periphere Arterienerkrankungen oder chronisches Nierenversagen berücksichtigt; einbezogene Risikofaktoren waren unter anderem Hypertonie, Adipositas, Hypercholesterinämie und Nikotinabusus. Nach vollständiger Adjustierung ergab sich bei den Geimpften ein um 12 Prozent geringeres Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden.
Ein ähnlich stark verringertes Risiko wurde unabhängig der untersuchten Genese (kardioembolisch, nicht-kardioembolisch), in allen analysierten Untergruppen (Männer, Frauen, Personen unter und über 65 Jahren sowie Personen mit mittlerem und hohem vaskulärem Risiko) sowie vor, während und nach der korrespondierenden Grippewelle beobachtet.
Der Risikoschutz war bereits 15 Tage nach der Immunisierung feststellbar und hielt über die gesamte Influenzasaison bis zum folgenden Jahr an. Eine Pneumokokken-Impfung war dagegen nicht mit einem verringerten Schlaganfallrisiko assoziiert.
Weitere Studien erforderlich
Da es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, kann kein kausaler Zusammenhang zwischen der Grippeimpfung und dem Schutz vor Schlaganfällen ermittelt werden. Hinweise aus früheren Studien deuten aber darauf hin, dass die Grippeimpfung Entzündungsmediatoren reduzieren kann, so de Abajo. Jetzt gilt es, die erhobenen Daten anhand von Quellen aus anderen Ländern und unter Verwendung verschiedener Studiendesigns, zum Beispiel Längsschnitt-Kohortenstudien, zu bestätigen.
Fazit
Dass die Grippeimpfung nicht nur eine Influenza-Erkrankung verhindert, sondern zusätzlich einen kardiovaskulären Schutz bieten kann, ist ein Grund mehr für die jährliche Grippeschutzimpfung – insbesondere für Menschen mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko. Es sei sehr überzeugend, das Apoplexrisiko durch eine so einfache Maßnahme zu reduzieren, resümiert de Abajo.