Angina pectoris ist durch anfallsartige Schmerzen in der Brust gekennzeichnet, welche durch vorübergehende Durchblutungsstörungen im Myokard ausgelöst werden.
Die Angina pectoris ist das Leitsymptom der koronaren Herzkrankheit (KHK). Sie kann aber auch bei anderen Erkrankungen wie beispielsweise dem hypertensiven Notfall, der Aortenklappeninsuffizienz oder der hypertrophen Kardiomyopathie auftreten.
Nach dem klinischen Bild unterscheidet man eine stabile und eine instabile Angina pectoris.
Stabile Angina pectoris
Die thorakalen Beschwerden bei stabiler Angina pectoris verlaufen von Anfall zu Anfall relativ gleichartig. Sie werden in der Regel durch körperlichen oder emotionalen Stress, Kälte oder üppige Mahlzeiten ausgelöst. Bei stabiler Angina pectoris sind die Schmerzen unangenehm, aber nicht zu stark. Ruhe und/oder die Gabe von Nitropräparaten führt innerhalb von Minuten zur Besserung. Besondere Formen der stabilen Angina pectoris:
„Walk through“-Angina: Die Beschwerden entstehen bei Belastung, verschwinden jedoch auch wieder, wenn die Belastung gleich bleibt.
Angina decubitus: Diese Form tritt vor allem im Liegen nachts auf und kann ein Hinweis auf vorbestehende Koronarstenosen sein.
Angina-Äquivalent: Andere Beschwerden durch die Koronarischämie, z. B. anfallsweise auftretende Dyspnoe durch eine ventrikuläre Pumpstörung.
Schweregrade der stabilen Angina pectoris
Die belastungsabhängige stabile Angina pectoris wird nach der Canadian Cardiovascular Society (CCS) nach funktionellen Kriterien in vier Schweregrade unterteilt:
Klassifikation des Schweregrades einer Angina pectoris nach der Canadian Cardiovascular Society
CCS 1
Normale Aktivitäten (Gehen, Treppensteigen) führen nicht zur Angina. Sie tritt nur bei sehr anstrengenden, schnell einsetzenden oder lange dauernden Belastungen bei der Arbeit oder in der Freizeit auf.
CCS 2
Schnelles Gehen oder Treppensteigen, Bewegung nach Mahlzeiten, Kälte, Wind, emotionale Belastungen usw. können einen Anfall herbeiführen. Anfälle nur während der Morgenstunden nach dem Aufwachen sind möglich. Patienten der Klasse CCS 2 sollten unter gewöhnlichen Umgebungsbedingungen etwa 200-400 Meter in der Ebene gehen können oder eine Etage Treppen in normalem Tempo steigen können.
CCS 3
Deutliche Einschränkungen bei normalen Aktivitäten: Angina bereits beim Gehen von mehr als 100-200 Metern auf ebener Strecke oder beim normalen Treppensteigen.
CCS 4
Alle körperlichen Aktivitäten führen zu Beschwerden. Die Angina kann auch in Ruhe vorhanden sein.
Instabile Angina pectoris
Die instabile Angina pectoris gehört mit dem akuten Myokardinfarkt und dem plötzlichen Herztod zum akuten Koronarsyndrom (ACS). Sie kann plötzlich „aus heiterem Himmel“ auftreten und verursacht von der stabilen Angina pectoris abweichende Beschwerden. In etwa einem Fünftel der Fälle geht sie in einen akuten Herzinfarkt über. Allein durch das klinische Bild lässt sich die instabile Angina pectoris nicht von einem akuten Myokardinfarkt unterscheiden. Alle Patienten müssen daher intensiv medizinisch überwacht werden, bis ein Herzinfarkt definitiv ausgeschlossen werden kann.
Folgende Verlaufsformen werden differenziert:
De-novo-Angina: Erstes Auftreten einer Angina pectoris bei zuvor symptomfreien Patienten.
Crescendo-Angina: Die Angina wird durch immer geringere Belastung ausgelöst, die Beschwerden werden von Anfall zu Anfall schlimmer, treten in kürzeren Abständen auf oder dauern länger an.
Ruhe-Angina: Tritt ohne Belastung auf und weist auf eine erhebliche Verengung der Koronargefäße hin. Es besteht ein hohes Risiko für einen Myokardinfarkt.
Prinzmetal-Angina: Seltene Sonderform der instabilen Angina pectoris auch Variant-Angina genannt. Entsteht belastungsunabhängig vor allem in Ruhe und in den frühen Morgenstunden durch eine vorübergehende Ischämie des Myokards infolge eines Koronarspasmus und verursacht mitunter heftige Schmerzen. Selten entwickelt sich aus der Prinzmetal-Angina ein Myokard-Infarkt.
Epidemiologie
Frauen mittleren Alters leiden häufiger unter einer Angina pectoris als Männern. Dies wird durch die hohe Prävalenz funktioneller Koronarerkrankungen wie etwa der mikrovaskulären Angina bei Frauen erklärt. Im Alter tritt die Angina pectoris häufiger bei Männern als bei Frauen auf.
Laut einer 2013 veröffentlichten Studie gehört die KHK und damit die Hauptursache für eine Angina pectoris mit einer Lebenszeitprävalenz von 9,3% (95% KI 8,4-10,3%) bei 40-79-Jährigen zu den wichtigsten Volkskrankheiten. Neben männlichem Geschlecht und höherem Alter ist auch ein niedriger sozialer Status mit einer höheren Lebenszeitprävalenz einer KHK (inklusive Herzinfarkt) verbunden.
Ursachen
Die häufigste Ursache für die Angina pectoris ist die KHK auf dem Boden einer Atherosklerose. Weitere (seltene) Ursachen sind:
Koronarspasmen (Prinzmetal-Angina)
Kounis-Syndrom infolge einer Hypersensitivitätsreaktion (Allergie, Anaphylaxie)
Mikrovaskuläre Dysfunktion
Auch Koronarspasmen und Kounis-Syndrom können unter Umständen in einen Herzinfarkt münden.
Pathogenese
Die Angina pectoris ist das Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen Sauerstoffversorgung und Sauerstoffbedarf im Myokard. Eine Ischämie im Myokard verursacht die pectanginösen Beschwerden. Meistens liegt der Angina pectoris eine Veränderung eines oder mehrerer Koronargefäße durch atherotische Plaques im Zuge der KHK zugrunde. Solange die Plaques noch relativ klein sind, entsteht der Sauerstoffmangel nur bei erhöhter Herzaktivität, zum Beispiel bei körperlicher Belastung oder emotionalem Stress. Je weiter die Atherosklerose fortschreitet, desto rascher kommt es auch bei geringer Belastung zu einer Sauerstoffunterversorgung im entsprechenden koronaren Versorgungsgebiet. Die Ischämie des Myokards kann aber auch durch Störungen der Mikrozirkulation oder Vasospasmen hervorgerufen werden.
Symptome
Meistens wird eine Angina pectoris durch körperliche oder psychische Belastung ausgelöst. Kennzeichnend für die Angina pectoris sind dumpfe, drückende oder als einschnürend empfundene Thoraxschmerzen. Selten werden die Schmerzen brennend. In der Regel sind die Schmerzen retrosternal lokalisiert, in seltenen Fällen können sie aber auch links oder rechts oder auch abdominell auftreten. Häufig kommt es zur Ausstrahlung der Schmerzen in die Arme (vor allem in den linken Arm), in den Unterkiefer, den Hals, den Rücken oder den Oberbauch. Man unterscheidet eine typische Angina pectoris, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine KHK hinweist von einer atypischen Angina pectoris, bei der die Differenzialdiagnosen zur KHK vermehrt in Betracht gezogen werden sollten.
Typische Angina pectoris
Eine typische Angina pectoris zeichnet sich durch das gemeinsame Auftreten der folgenden drei Symptome aus:
retrosternale Schmerzen
die Beschwerden sind durch körperliche Belastung oder emotionalen Stress provozierbar
Besserung der Symptome durch Ruhe und/oder unter der Gabe von Nitro-Präparaten
Atypische Angina pectoris
Bei der atypischen Angina pectoris treten thorakale Schmerzen oder Beschwerden auf, die einen der oben genannten Punkte nicht aufweisen, wie zum Beispiel keine Besserung der Beschwerden bei Ruhe oder Nitropräparaten. Auch bei einer atypischen Angina pectoris kann eine KHK vorliegen, die möglichen Differenzialdiagnosen bei Thoraxschmerzen sollten jedoch verstärkt in Betracht gezogen werden.
Diagnostik
Bei der Diagnostik der stabilen Angina pectoris wird der Verdacht auf eine KHK vorrangig abgeklärt. Bei einer instabilen Angina pectoris steht die Abgrenzung zum Myokardinfarkt im Vordergrund.
Anamnese: Familienanamnese, Risikoprofil KHK, typische oder atypische Symptomatik, Angina-Äquivalente (z. B. Dyspnoe)
Körperliche Untersuchung: Blutdruck (Hypertonie), Xanthelasmen (Fetteinlagerungen in der Lidhaut), Arcus lipoides corneae (Greisenbogen), Herzauskultation, Pulspalpation, brachiokrurale Blutdruckdifferenz
Ruhe-EKG: bei mehr als der Hälfte der Patienten mit KHK sind Veränderungen feststellbar
Labor: Blutbild, Lipide, Blutzucker und HbA1c, Nierenfunktion, bei akutem Anfall und instabiler Angina pectoris außerdem Troponine, Kreatinkinase (CK, CK-MB)
Echokardiographie
Bei entsprechendem Verdacht darüber hinaus:
24-Stunden-EKG
Thorax-Röntgen
Kardiale Belastungstests: zur primären Diagnostik der KHK und zur Verlaufskontrolle. Bei instabiler Angina pectoris sind kardiale Belastungstests kontraindiziert.
Koronarangiographie
Das klinische Bild einer instabilen Angina pectoris ist nicht von einem akuten Herzinfarkt zu unterscheiden. Im akuten Fall muss die Angina pectoris von einem Herzinfarkt diagnostisch abgegrenzt werden. Bis die Diagnose Herzinfarkt sicher ausgeschlossen werden kann, muss der Patient intensiv medizinisch überwacht werden.
Differentialdiagnosen bei Thoraxschmerzen
Zum Symptom Thoraxschmerzen gibt es zahlreiche Differenzialdiagnosen:
Tietze-Syndrom Schmerzen und druckschmerzhafte Schwellung an der Knorpelknochengrenze der oberen Rippen
Akute Pankreatitis, Gallenkolik
Funktionelle Thoraxschmerzen: Schmerzen oft in Ruhe oder bei psychischer Belastung umschrieben (z. B. Herzspitze) auftretend
Therapie
Die symptomatische Therapie der Angina pectoris-Beschwerden besteht in der Gabe kurzwirksamer Nitrate plus Betablocker oder Kalziumantagonisten mit herzfrequenzsenkender Wirkung mit folgenden Optionen:
Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp erwägen, falls niedrige Herzfrequenz oder Intoleranz/Kontraindikationen
Kombination von Betablockern und Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp erwägen, falls Angina CCS > II
Ausgeprägte pectanginöse Beschwerden verschlechtern die Prognose der KHK. Mit einer geschätzten jährlichen Sterblichkeitsrate zwischen 1,2-2,4% ist die Prognose von Patienten mit stabiler KHK verhältnismäßig gut. Folgende Faktoren verschlechtern jedoch die Prognose:
eingeschränkte linksventrikuläre Funktion und Herzinsuffizienz
größere Zahl erkrankter Gefäße
proximalen Koronarstenosen
höherer Stenosegrad der Läsionen
ausgeprägtere Ischämie
stärker eingeschränkten funktionellen Kapazität
höheres Lebensalter
signifikante Depression
ausgeprägte pectanginöse Beschwerden
Prophylaxe
Zur Vorbeugung einer Angina pectoris gelten die Empfehlungen für die Prophylaxe der KHK:
Lebensstiländerungen: Einstellung des Rauchens, eine gesunde Ernährungsweise, regelmäßige körperliche Aktivität, Gewichts- und Fettwertbeeinflussung
Gosswald A, Schienkiewitz A, Nowossadeck E, et al. Prävalenz von Herzinfarkt und koronarer Herzkrankheit bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 79 Jahren in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2013;56(5-6):650-5, DOI: 10.1007/s00103-013-1666-9.