Das Neuroblastom ist die zweithäufigste Krebserkrankung im Kindesalter. Außer in der Hochrisikogruppe ist es gut behandelbar und bildet sich häufig sogar von alleine zurück. Allerdings wird der Tumor sehr häufig erst spät entdeckt.
Das Neuroblastom zählt zu den neuroektodermalen embryonalen Tumoren und ist eine maligne Neubildung des sympathischen Nervengewebes. Die Primärtumoren entstehen meist in der Nebennierenloge, paravertebral oder in der abdominellen Mittellinie. Es betrifft vor allem kleine Kinder bis zur Einschulung und ist die zweithäufigste Krebserkrankung der Altersgruppe.
Epidemiologie
Das Neuroblastom betrifft überwiegend kleine Kinder; nur sehr selten erkranken Erwachsene an diesem neuroektodermalen embryonalen Tumor. Nach Tumoren des ZNS ist es der häufigste maligne, solide Tumor im Kindesalter und nach der akuten lymphatischen Leukämie die zweithäufigste bösartige Krebserkrankung in der Altersgruppe. Von allen Krebserkrankungen im Kindesalter macht das Neuroblastom etwa 7 bis 8% aus.
Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 14-15 Monaten. 90% der Patientinnen und Patienten sind jünger als sechs Jahre. Jungen erkranken zu etwas 40% häufiger als Mädchen. Zu Inzidenzen gibt es unterschiedliche Angaben. Diese schwanken zwischen 1:70.000 und 1:100.000 Kindern pro Jahr. Laut Jahresbericht des Kinderkrebsregisters für 2019 ist etwa eines von 6.000 Kindern unter 18 Jahren von der Erkrankung betroffen. Auf das Jahr gerechnet werden schätzungsweise ca. 150 Kinder neu mit einem Neuroblastom diagnostiziert. Etwa die Hälfte der Betroffenen ist bei Diagnosestellung bereits in Stadium IV mit Fernmetastasen (86% Knochenmark, 62% Knochen, 19% Lymphknoten, 17% Leber).
Ursachen
Neuroblastome entstehen aus entarteten Zellen des sympathischen Nervensystems. Die genaue Ursache ist bisher unbekannt. Zwar gibt es verschiedene Theorien und Vermutungen, bisher konnten jedoch weder biologische noch genetische Marker ausgemacht werden, die als sichere Ursache festgemacht werden könnten. Vermutlich liegt den Tumoren ein komplexes Zusammenspiel zugrunde.
Eine erbliche Ursache ist sehr selten: Nur etwa 1% aller Neuroblastome sind familiär bedingt. Bei diesen Fällen lässt sich häufig eine Keimbahnmutation im ALK (Anaplastische Lymphomkinase)-Gen nachweisen. Vermutlich gibt es auch Zusammenhänge mit anderen Erkrankungen, denn bei einigen ist die Inzidenz von Neuroblastomen erhöht. Dazu zählen der Morbus Hirschsprung, das Undine-Syndrom (kongenitales zentrales Hypoventilationssyndrom) und Makrosomiesyndrome wie das Beckwith-Wiedemann-Syndrom, das Sotos-Syndrom oder das Weaver-Syndrom.
Pathogenese
Ähnlich wie bei der Ursache ist auch die Pathogenese des Neuroblastoms unklar. In den letzten Jahrzehnten ist zwar viel dazu geforscht worden. Die Erkrankung ist jedoch zu komplex, um sie auf wenige Mutationen oder Entwicklungsfaktoren einzugrenzen.
Bekannt sind jedoch einige Faktoren, die zu einer ungünstigen Prognose beitragen: Ist das Onkogen MYCN (2p24.3) amplifiziert, vergrößert sich das Neuroblastom häufig. Auch Di- und Tetraploidien oder segmentale Chromosomenanomalien (hemizygote Depletionen von 1p und 11q sowie Zunahmen in 17q) gehen mit einer schlechteren Prognose einher. Auch genetische Veränderungen in der Chromosomenregion 5p15.33 haben negative Auswirkungen auf die Prognose, ebenso wie Veränderungen im TERT-Gen (Telomerase Reverse Transkriptase) und im ATRX-Gen ATRX.. Triploidie und numerische Chromosomenanomalien hingegen sind mit einer guten Prognose vergesellschaftet.
Symptome
Wie bei der Ätiologie auch ist die Klinik des Neuroblastoms sehr variabel. Sie richtet sich nach der Lokalisation des Primärtumors, dem Stadium der Erkrankung und den Metastasen. Etwa 70-80% aller Neuroblastome sind im Abdomen lokalisiert. Häufig sind sie Zufallsbefunde und werden als örtlich begrenzte, manchmal auch schmerzhafte Tumormasse auffällig. Insgesamt werden ca. 40% der Neuroblastome zufällig, z.B. bei Vorsorgeuntersuchungen, entdeckt.
Bei etwa der Hälfte aller Fälle hat der Tumor bereits gestreut und Metastasen gebildet. Häufige Regionen dafür sind das Knochenmark, die Knochen, die Leber oder die Haut. Hinweise können Symptome wie Knochenschmerzen, Hinken, Lähmungen wie Paraplegie oder Paraparesen, Hepatomegalie (Pepper-Syndrom) oder ein Exophthalmus (Hutchinson-Syndrom) geben. Auch Begleitsymptome können auftreten wie eine Hypertonie, Fieber, ein reduzierter Allgemeinzustand mit Gewichtsverlust, Müdigkeit, Lustlosigkeit, Schwäche, Schmerzen, Irritabilität und Anämie oder Schwitzen.
Weitere mögliche Symptome sind unter anderem:
Harnstau und andere Harnwegsbeschwerden
Luftnot
Horner- Syndrom
Brillenhämatom, Monokelhämatom
Knoten oder Schwellungen im Abdomen oder Hals
Lymphknotenschwellungen
Anhaltende, therapierefraktäre Diarrhoe (3,9%) oder Obstipationen, Darmkoliken
Halsschmerzen
Erbrechen
Rückenschmerzen
Husten
Stridor
Dysphagie
Gesteigerte Ausschüttung von Katecholaminen
Lidekchymose
paraneoplastische Syndrome wie Opsomyoklonus-Ataxie-Syndrom (Kinsbourne-Syndrom)
Diagnostik
Der Goldstandard in der Diagnostik des Neuroblastoms ist die histologische und molekulargenetische Untersuchung von Tumorgewebe.
Zu Beginn der Diagnostik steht jedoch die körperliche Untersuchung. Hier können bereits erste Hinweise zur Größe und Konsistenz des Tumors sowie Symptomen und Beteiligung anderer Organe gesammelt werden. Je nach Erstsymptomen sollte die körperliche Untersuchung ausgeweitet werden und beispielsweise eine detaillierte neurologische Untersuchung erfolgen. Betroffene Kinder sollten bei kinderonkologisch arbeitenden Ärztinnen und Ärzten vorgestellt werden.
Bildgebung
Bildgebende Verfahren helfen, Tumoren genau zu lokalisieren, ihre Volumina zu bestimmen und mögliche Metastasen sowie befallene Lymphknoten einzugrenzen. Hierzu eignen sich Sonographien und Magnetresonanztomographien (MRT) mit Kontrastmittel sowie Multidetector-CT (MDCT) der Tumorregion, mindestens jedoch von Hals, Becken und Abdomen. Eine Computertomographie (CT) sollte bei thorakalem Primärtumor oder Verdacht auf eine thorakale Metastasierung erfolgen. Eine Röntgenaufnahme des Thorax zählt zum Standard. Sind bereits Metastasen aufgetreten, ist auch ein Schädel-MRT notwendig, um intrakranielle Absiedelungen zu detektieren.
Im fortgeschrittenen Stadium kann optional eine Ganzkörper-MRT durchgeführt werden, um möglichst detailliert Informationen über den Primärtumor und Metastasen zu sammeln. Auch eine Ganzkörperszintigraphie mit 123Iod-meta-Iodbenzylguanidin einschließlich SPECT bzw. SPECT/CT hilft beim Staging.
Alle Untersuchungen sollten von erfahrenen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden mit der entsprechenden Expertise.
Labor
Im Urin werden die Katecholamin-Metabolite Vanillinmandelsäure und Homovanillinsäure bestimmt. Das kann in Spontanurin erfolgen und bezogen auf die Kreatininkonzentration im Urin bewertet werden.
Im Blut werden zusätzlich die Neuronenspezifische Enolase (NSE) im Serum (CAVE: hohe Anfälligkeit für Hämolyse, atraumatische Blutentnahme und zügige Probenverarbeitung beachten!), LDH, Ferritin und die Katecholaminabbauprodukte bestimmt.
Invasive Diagnostik
Neben Bildgebung, körperlicher Untersuchung und Labor ist eine invasive Diagnostik notwendig. Die Diagnosesicherung erfolgt mittels Histologie. Dafür werden zum einen Knochenmarksuntersuchungen und zum anderen Tumorbiopsien benötigt. Für die Knochenmarksuntersuchung wird entweder an vier verschiedenen Punktionsstellen aspiriert oder an zwei Punktionsstellen je eine Stanzbiopsie und ein Aspirat entnommen und im Labor untersucht.
Tumorbiopsien werden in der Regel bevorzugt offen vorgenommen und gemäß der International Neuroblastoma Pathological Classification (INPC) angegeben.
Stadieneinteilung
Das Neuroblastom wird gemäß der INSS Einteilung oder den INRG-Stadien (INRGSS) klassifiziert. Beiden Klassifikationen lassen sich derzeit laut Leitlinie nicht 1:1 aufeinander übertragen, sodass Studien meist beide verwenden. Die Stadieneinteilung hilft auch bei der Risikostratifizierung. Von ihr hängt die Therapie ab.
Die Therapie richtet sich nach der Risikostratifizierung des jeweiligen Neuroblastoms und erfolgt oft im Rahmen klinischer Studien. Da sie sich regelmäßig ändert, wenn neue Studienerkenntnisse veröffentlicht werden, sollte die Therapie durch Spezialistinnen und Spezialisten erfolgen. Die hier aufgeführten Therapien werden von der derzeit aktuellen Leitlinie (Stand: Dezember 2021) als etablierter Behandlungsstandard angegeben. Die Leitlinie verweist jedoch auch auf studienspezifische Therapien und klinische Studien.
Man unterteilt in eine niedrige Risikogruppe, eine mittlere Risikogruppe und eine Hochrisikogruppe.
Niedrige Risikogruppe
Neuroblastome werden mit niedrigem Risiko eingestuft, wenn keine MYCN-Amplifikation vorliegt und sie im INSS-Stadium 1 oder 2 ohne Aberrationen im Chromosom 1p, im INSS-Stadium 3 jünger als 2 Jahre und ohne Aberrationen im Chromosom 1p oder INRG Stadium MS sind.
Zur Diagnosesicherung wird mindestens eine Biopsie aus operativ entferntem Tumorgewebe benötigt. Im Rahmen dieses operativen Eingriffs kann der komplette Tumor entfernt werden. Das ist jedoch nicht zwingend notwendig, da bei Tumoren ohne tumorbedingte bedrohliche Symptome auch bei R1-Resektionen mit makroskopisch sichtbarem Resttumor keine weitere Therapie außer engmaschiger Kontrollen notwendig ist.
Bei Neugeborenen und jungen Säuglingen ohne jegliche Symptome kann auch unter engmaschiger klinischer und sonographischer Überwachung zwischen drei und sechs Monate bis zur Biopsie abgewartet werden.
Treten Symptome auf, die mit dem Tumor assoziiert sind, ist eine Chemotherapie erforderlich, jedoch auch nur dann. Zu diesen Symptomen zählen unter anderem ein reduzierter Allgemeinzustand, Ernährungsprobleme, Gewichtsverlust, Hypo-/Hypertension, Leber- oder Nierenversagen, Harntransportstörungen, respiratorische Partial- oder Globalinsuffizienz oder eine manifeste oder drohende symptomatische spinale Kompression. Chemotherapie der Wahl sind entweder vier Zyklen mit N4 oder Carboplatin und Etoposid. Die Therapie wird nur so lange fortgeführt bis die Progression der Erkrankung gestoppt werden konnte.
Mittlere Risikogruppe
Zur mittleren Risikogruppe gehören Patientinnen und Patienten ohne MYCN-Amplifikation und in den Stadien INSS 2 mit Nachweis einer Deletion oder Imbalance von Chromosom 1p, INSS 3 jünger als zwei Jahre bei Diagnose mit Nachweis einer Deletion oder Imbalance von Chromosom 1p, INSS 3 älter als zwei Jahre bei Diagnose und INRG Stadium M und jünger als 18 Monate bei Diagnose.
Auch hier ist eine Gewebeentnahme zur Diagnosesicherung notwendig. Kann der Tumor intraoperativ unproblematisch und risikoarm entfernt werden, wäre eine komplette Resektion möglich. Sonst gilt auch hier, dass eine initiale Operation der Probenentnahme dient, nicht der vollständigen Tumorresektion.
An die Operation angeschlossen wird eine Induktionschemotherapie mit sechs Zyklen durchgeführt. Therapiert wird mit N5c und N6 im Wechsel. Nach einem bis zwei Drittel der Chemotherapie (zwei bis vier Zyklen) sollte der Primärtumor, sofern vorab nicht unproblematisch und risikoarm möglich, operativ entfernt werden und die Chemotherapie anschließend fortgesetzt werden. Nach Ende der Induktionstherapie werden vier weitere N7 Zyklen mit Cyclophosphamid (oral) angeschlossen. Kann der Tumor weder in der ersten noch in der zweiten Operation vollständig entfernt werden, wird er bestrahlt. Andernfalls fällt die Bestrahlung weg.
Hochrisikogruppe
Werden bei Patientinnen und Patienten MYCN-Amplifikationen gefunden und sie sind, wenn die Diagnose im Stadium M erstmalig gestellt wird, bereits älter als 18 Monate, zählen sie zur Hochrisikogruppe.
Eine Biopsie muss dann erfolgen, wenn die Diagnose nicht zytologisch aus einer Knochenmarksprobe gestellt werden kann. Biopsiert werden können entweder der Primärtumor oder eine gut erreichbare Metastase. Auch hier gilt, dass der Tumor in der ersten Operation nur komplett entfernt werden sollte, wenn in einer Risiko-Nutzen-Abwägung der Nutzen das Risiko deutlich übersteigt.
Da das Risiko für einen ungünstigen Verlauf in dieser Gruppe sehr hoch ist, wird eine intensive multimodale Therapie durchgeführt. Sie besteht aus einer Induktionschemotherapie, einer konsolidierenden Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation und einer anschließenden post-Konsolidierungs-Therapie. Zusätzlich wird entweder vor oder während der Erhaltungstherapie bestrahlt. Eine Resektion des Primärtumors sollte als gross total resection mit mehr als 95% des Primärtumors wie in der Gruppe mit mittlerem Risiko bereits während der Induktionschemotherapie erfolgen. Die Induktionschemotherapie ist als Hochdosistherapie angelegt, das Protokoll sollte gemäß der aktuellen Studienergebnisse gewählt werden. Sie kann ggfs. mit einer 123I-mIBG Therapie kombiniert werden, wenn residuelle 123I-mIBG-positive Läsionen gefunden wurden.
Sind Betroffene bereits älter als 18 Jahre, gibt es keine national oder international allgemein konsentierten Therapievorschläge. Die erkrankten Erwachsenen sollten Kontakt mit einem onkologischen Referenzzentrum für Neuroblastome aufnehmen. Basierend auf den Erfahrungen in der Therapie von erkrankten Kindern und Jugendlichen kann dort eine individuelle Therapieempfehlung erfolgen.
Nachsorge
Nach der Therapie muss regelmäßig klinisch und sonographisch sowie durch Knochenmarkuntersuchungen und Bestimmungen der Tumormarker kontrolliert werden, ob die Therapie erfolgreich war oder Rezidive aufgetreten sein könnten. Auch Schnittbilddiagnostik ist von Zeit zu Zeit sinnvoll, wobei MRT-Untersuchungen nach und nach durch Sonographien abgelöst werden können. Der Abstand zwischen den jeweiligen Kontrollen hängt davon ab, wie risikoreich das Neuroblastom der jeweiligen Patientinnen und Patienten war und sollte gemäß Studienprotokollen erfolgen. Informationen finden sich dazu auch auf der Website www.nachsorge-ist-vorsorge.de.
Prognose
Die Prognose ist abhängig vom Risikoprofil der kleinen Patientinnen und Patienten. Weit mehr als 90% der Betroffenen mit einem günstigen Risikoprofil benötigen gar keine oder nur wenig Therapie. In der Hochrisikogruppe jedoch überleben jedoch auch mit intensiver multimodaler Therapie nur maximal die Hälfte der Betroffenen. Zu den Risikofaktoren zählen unter anderem ein Alter über 18 Monate bei Diagnosestellung, MYCN-Amplifikationen und Fernmetastasen (Stadium 4/M).
Prophylaxe
Ein Neuroblastom entsteht meist bereits während der Entwicklung im Mutterleib. Eine Prophylaxe ist hier nicht möglich. Es gibt zwar theoretisch Optionen - beispielsweise pathologisch erhöhte Katecholamin-Metabolite in Urin und Blut -, Neuroblastome mittels Früherkennungsprogrammen möglichst rasch zu detektieren. Dabei werden jedoch vor allem Tumoren entdeckt, die eine günstige Prognose haben und sich häufig von alleine zurückbilden. Auf die Neuroblastome der Hochrisikogruppe hatten in der Vergangenheit durchgeführte Screeningprogramme keinen Einfluss.
Eggert A. et al. Neuroblastom. In: Niemeyer C., Eggert A. (eds) Pädiatrische Hämatologie und Onkologie. Springer Reference Medizin. 2018, S. 419-439. Springer, Berlin, Heidelberg. DOI: 10.1007/978-3-662-43686-8_24
Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH). S1-Leitlinie Neuroblastom. AWMF-Register 025-008. Juni 2019 [zuletzt aufgerufen am 20. Dezember 2021]