
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) weist auf eine Interferenz hin, die für die Labormedizin relevant ist. Die Einnahme von Biotin kann L-Thyroxin-Werte verfälschen, wenn diese mit bestimmten Immunassays gemessen werden. Das Risiko von zu hohen oder zu niedrigen Ergebnisse steige mit der Dosis von Biotin.
Testergebnisse von L-Thyroxin werden unter anderem herangezogen, um die Arzneimitteldosis anzupassen. Verfälschte Testergebnisse können daher dazu führen, dass Patienten unangemessen therapiert werden.
Kommunikation und Aufklärung
Vor einem Schilddüsenfunktionstest sollten Ärzte Patienten routinemäßig nach der Einnahme von Biotin fragen. Patienten sollten auch über eine kurz zurückliegende Biotin-Einnahme informieren.
Kaufen Patienten biotinhaltige Produkten in der Apotheke, informiert das pharmazeutische Personal über das Risiko verfälschter Laborwerte.
Bei der Interpretation der Testergebnisse sollten Ärzte eine mögliche Interferenz mit Biotin bedenken. Das ist besonders wichtig, wenn Ergebnisse nicht mit der klinischen Symptomatik und/oder Ergebnissen anderer Untersuchungen übereinstimmen.
Wenden Patienten Biotin an, sollte das Labor vor der Analyse informiert werden. Möglicherweise können alternative Tests zur Bestimmung des Schilddrüsenstatus verwendet werden.
Hintergrund
Es sind Laboruntersuchungen (klinische Immunassays) betroffen, deren Testprinzip auf einer Streptavidin‐Biotin‐Wechselwirkung basiert. Sie werden angewendet, um Biomarker wie Hormone, Herz‐, Tumor‐ oder Infektionsmarker zu bestimmen oder die Konzentration von Arzneistoffen zu messen. Das Testprinzip wenden einige Hersteller in der patientennahen Labordiagnostik, dem sogenannten „Point‐of‐Care‐Testing“ (z. B. Troponin) und bei Screeningtests (z. B. HIV) an.
Biotin ist auch unter den Bezeichnungen Vitamin H, Vitamin B7 oder Vitamin B8 bekannt. Es ist in zahlreichen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln enthalten. Nehmen Patienten biotinhaltige Produkte ein, können diese durch eine Kompetition mit biotinylierten Reagenzien Ergebnisse klinisch signifikant verfälschen.
Folgenreicher Störfaktor
Je nach Testprinzip fallen Laborwerte falsch erhöht/positiv (kompetitives Testprinzip) aus oder falsch erniedrigt/negativ (Sandwichprinzip). Es besteht das Risiko, das Diagnosen falsch oder verzögert gestellt werden, Patienten unnötig behandelt werden oder eine benötige Therapie ausbleibt.
Bei einer Hochdosis‐Biotin‐Therapie, bei Patienten mit Niereninsuffizienz, Neugeborenen, Kindern und schwangeren Frauen ist besondere Vorsicht geboten.
Änderung der Produktinformation
Ende 2022 informierten das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in ihrem Bulletin zur Arzneimittelsicherheit über durch Biotin verfälschte L-Thyroxin-Laborwerte. In einem PSUR Single Assessment (PSUSA)-Verfahren zu L-Thyroxin hatte das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC, Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) beschlossen, die Produktinformationen von L-Thyroxin-haltigen Arzneimittel zu ändern. Es sollte auf die Wechselwirkungen von Biotin mit Streptavidin-Biotin-Immunoassays hingewiesen werden.
Das BfArM hatte bereits 2019 auf die Interferenz mit einem Rote-Hand-Brief und im Rahmen eines Artikels im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit reagiert.
Weitere Aktualisierungen
In die Produktinformation L-Thyroxin-haltiger Arzneimittel sollen darüber hinaus die folgenden Interkationen aufgenommen werden:
Johanniskraut kann als starker Induktor die hepatische Clearance von L-Thyroxin erhöhen. Das reduziert die Serumkonzentration des Schilddrüsenhormons. Zulassungsinhaber sollen darauf hinweisen, dass bei einer Schilddrüsenersatztherapie die Dosis möglicherweise erhöht werden muss, wenn Patienten beide Arzneimittel gleichzeitig anwenden.
Protonenpumpeninhibitoren (PPI) können die Resorption von L-Thyroxin verringern, da sie einen Anstieg des pH-Werts im Magen verursachen. Eine reduzierte Aufnahme des Hormons ist mit erhöhten TSH-Werten verbunden. Es soll eine regelmäßige Überwachung der Schilddrüsenfunktion empfohlen werden und gegebenenfalls eine Anpassung der Schilddrüsenhormondosis. Die Zulassungsinhaber sollen auch zur Vorsicht beim Absetzen von PPI mahnen.