Psychosen

Als Psychosen werden vielfältige Krankheitsbilder bezeichnet, die durch Symptome wie Halluzinationen, wahnhafte Vorstellungen, Realitätsverlust sowie Ich- oder Denkstörungen gekennzeichnet sind. Psychosen gehen häufig mit Substanzmissbrauch und Komorbiditäten einher.

Psychose

Definition

Psychose ist ein Sammelbegriff für verschiedene psychische Störungen, die mit einer veränderten Wahrnehmung oder Verarbeitung der Realität einhergehen. Die von einer Psychose Betroffenen leiden je nach Fall unter Halluzinationen, wahnhaften Vorstellungen, Realitätsverlust, Ich- oder Denkstörungen. Affektive Symptome und kognitive Beeinträchtigungen können die Psychose begleiten.

Neben dieser sogenannten Positivsymptomatik können die Betroffenen auch negative Symptome (Minussymptomatik) wie Antriebsminderung, Affektverflachung und sozialen Rückzug sowie psychomotorische Störungen aufweisen. Alle Symptome können einzeln oder in unterschiedlichen Kombinationen auftreten. Eine psychotische Störung kann einmalig und zeitlich begrenzt erscheinen. Es kann aber auch zu wiederholten psychotischen Episoden oder zu einer Chronifizierung des Krankheitsbildes kommen.

Einteilung der Psychosen

Man teilt Psychosen in primäre und sekundäre Erkrankungen ein. Als primäre Psychosen werden die Krankheitsformen bezeichnet, bei denen keine somatische Ursache feststellbar ist. Die häufigste primäre Psychose ist die Schizophrenie in unterschiedlichen Ausprägungen.

Weitere Formen der primären Psychose sind:

  • Schizoaffektive Psychosen
  • Schizotype Störung
  • Anhaltende wahnhafte Störung
  • Akute vorübergehende psychotische Störungen
  • Induzierte wahnhafte Störung
  • Affektive Psychosen

Sekundäre Psychosen

Zu den sekundären Psychosen zählt man psychotische Erkrankungen, die eine feststellbare Ursache haben, wie beispielsweise drogen-induzierte Psychosen, delirante oder demenzielle Syndrome. Synthyme oder parathyme wahnhafte Symptome kann man bei primär affektiven Störungen beobachten. Auch somatische Erkrankungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln können psychotisches Erleben auslösen.

Epidemiologie

Die Auswertung von Daten der gesetzlichen Krankenversicherungen aus dem Jahr 2016 ergab für Deutschland eine 12-Monats-Prävalenz für psychotische Störungen von insgesamt 1,25%. Bei Frauen lag die 12-Monatspävalenz mit 1,27% etwas höher als bei Männern mit 1,22%. Das Durchschnittsalter der Patienten mit psychotischen Störungen lag bei 56 Jahren. Die Sterblichkeitsrate war bei den Patienten mit psychotischen Störungen gegenüber der Allgemeinbevölkerung um den Faktor 2,38 erhöht.

Ursachen

Die Entstehung primärer Psychosen ist noch nicht aufgeklärt. Man geht von einem multifaktoriellen Ursachengeschehen aus. Es gibt Hinweise auf familiäre Prädispositionen und auf Risikogene für das Auftreten von Psychosen, insbesondere der Schizophrenie. Darüber hinaus können vermutlich auch Umwelteinflüsse wie vor- und nachgeburtliche Infektionen (Viren, evtl. Toxoplasma gondii) und belastende Lebensereignisse zur Entstehung einer Psychose beitragen.  Neuere Studien haben erbracht, dass autoimmune Prozesse an der Entstehung von Psychosen auch ohne nachweisbare Enzephalitis beteiligt sein können. Die Betroffenen wurden positiv auf neuronale Antikörper, hauptsächlich N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor-Antikörper, getestet.

Ursachen für sekundäre Psychosen

Die Ursachen für sekundäre Psychosen müssen definitionsgemäß nachweisbar sein. Man unterscheidet folgende Ursachengruppen:

Pathogenese

Die Pathogenese der Psychosen ist weitgehend ungeklärt. Es existieren unterschiedliche neurobiologische Konzepte auf genetischer, neurochemischer, gehirnmorphologischer und ätiologischer Grundlage, die Ansätze zur Erklärung psychotischer Symptome bieten. Möglicherweise unterscheidet sich die Pathogenese bei verschiedenen psychotischen Erkrankungen auch, bzw. vielleicht sind gleichzeitig mehrere neurofunktionelle oder neurostrukturelle Veränderungen an den psychotischen Symptomen im Einzelfall beteiligt.

Genetischer Ansatz

Rund 80% der Schizophreniefälle treten sporadisch auf. In Einzelfällen ist jedoch eine familiäre Häufung (Verwandte 1. Grades) von Schizophrenie zu beobachten. Das höchste Risiko besteht in diesen Fällen für die Geschwister von eineiigen Zwillingen. Darüber hinaus wurden einige Gene identifiziert, die mit dem Risiko für eine Erkrankung an Schizophrenie in Verbindung stehen können.

Neurochemischer Ansatz

Bereits vor 40 Jahren wurde die Dopaminhypothese der Schizophrenie postuliert, die einen Dopaminüberschuss mit der Positivsymptomatik der Schizophrenie in Verbindung und die Verstärkung der Negativsymptome bei der Dopaminblockade durch Neuroleptika erklärt. Weitere Ansätze liefern die Glutamathypothese und das serotonerge System.

Morphologische Befunde

Mithilfe von verschiedenen Bildgebungsverfahren konnten bestimmte gehirnmorphologische Befunde bei Patienten mit Schizophrenie oder anderen Psychosen gehäuft erhoben werden. Inwiefern diese mit den psychotischen Symptomen in Verbindung stehen, ist unklar:

  • Bei Patienten mit Schizophrenie wurden gehäuft Ventrikelerweiterungen (Seitenventrikel) festgestellt. Diese finden sich jedoch auch bei gesunden Verwandten dieser Patienten und bei Patienten mit affektiven Störungen.
  • Verluste an grauer Hirnsubstanz
  • Verluste an Hirnsubstanz im Temporallappen
  • Metabolische Hypofrontalität
  • Strukturelle Veränderungen der Basalganglien
  • Volumenreduktion des Thalamus

Symptome

Bei einer primären Psychose stehen Symptome wie Wahnvorstellungen oder Halluzinationen im Vordergrund. Bei sekundären Psychosen kommen häufig Verwirrtheitszustände (Desorientierung), Bewusstseinsstörungen und Gedächtnisstörungen hinzu. Bei den Symptomen unterscheidet man Positivsymptome und Negativsymptome sowie unspezifische Symptome.

Positivsymptome bei Psychosen

Als Positivsymptome werden Symptome bezeichnet, die bei Psychosen zum „normalen“ Verhaltens- und Erlebensrepertoire hinzukommen:

  • Störungen des Denkens: Probleme beim normalen Denkablauf, Unkonzentriertheit, Verwirrtheit, Zwangsgedanken
  • Wahrnehmungsstörungen/Halluzinationen: meist akustisch, aber auch Geruchs-, Geschmacks-, Tast- und optische (Gesichts-) Halluzinationen
  • Wahnvorstellungen: z. B. Paranoia oder Beziehungswahn (Der Betroffen bezieht wahnhaft alles auf sich: z.B. zufällige Blicke), religiöser Wahn, systematisierter Wahn
  • Ich-Störungen: Die Betroffene glauben, dass ihre Umwelt nicht real ist oder sie selbst nicht die Person sind, die sie zu sein scheinen. Manchmal glauben die Betroffene auch, dass ihre Gedanken von anderen gelesen und beeinflusst werden können

Negativsymptome bei Psychosen

Als Negativsymptome bezeichnet man den Wegfall oder eine Minderung psychischer Funktionen infolge der Psychose. Sie manifestieren sich mit zunehmender Chronifizierung der Erkrankung. Hierzu zählen beispielsweise:

  • Antriebslosigkeit
  • Affektverflachung
  • Sozialer Rückzug

Unspezifische Symptome bei einer Psychose

  • Schlafstörungen, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Kognitive Störungen: Störungen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses
  • Motorische Veränderungen insbesondere bei katatoner Schizophrenie

Prodomalphase: Frühzeichen einer psychotischen Erkrankung

Bei primären Psychosen zeigen die Betroffenen häufig vor dem ersten akuten Schub unspezifische Symptome, die sogenannten Prodromalsymptome. Hierzu gehören:

  • Antriebsmangel
  • Abnahme der Leistungsfähigkeit
  • Verlust der Lebensfreude
  • Schlaf- und Konzentrationsstörungen
  • Lange Phasen depressiver Verstimmung
  • Ängstlichkeit, Angespanntheit, Nervosität
  • Sozialer Rückzug
  • Probleme bei der Ausbildung oder am Arbeitsplatz

Diese unspezifischen Symptome müssen nicht von einer beginnenden Psychose hervorgerufen werden, sollten aber in jedem Fall diagnostisch abgeklärt werden, denn eine frühzeitige Intervention kann in vielen Fällen eine schwere Symptomatik verhindern. Krankheitsfolgen einer Psychose wie Vereinsamung und sozialer Abstieg können bei frühzeitiger Hilfe auch vermieden werden.

Komorbiditäten bei Psychosen

Drogen- und Alkoholmissbrauch, Rauchen und Suchterkrankungen kommen bei Menschen mit Psychosen oder psychotischen Erkrankungen deutlich häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung. Gleichzeitig leiden Patienten mit Psychosen auch häufiger an somatischen Erkrankungen, wie beispielsweise:

Gründe für die höhere Prävalenz dieser Krankheiten sollen sozioökonomische und Lebensstilfaktoren, krankheitsinhärente Faktoren und auch Folgen langjähriger antipsychotischer Medikation sein. Die Diagnose und Behandlung der somatischen Krankheiten wird durch die Psychose häufig erschwert, weil die Betroffenen psychosebedingt keinen Arzt aufsuchen oder sich nicht therapieadhärent verhalten können. Die erhöhte Mortalitätsrate von Menschen mit Psychosen wird zu 60 % auf die somatischen Begleiterkrankungen zurückgeführt.

Diagnostik

Die Diagnose „Psychose“ wird in der Regel in Zusammenarbeit von Fach- und Allgemeinärzten, den Betroffenen und deren Angehörigen gestellt. Ein Verdacht auf eine Psychose ergibt sich aus der entsprechenden Symptomatik.

Anamnese

Folgende Themen sollten bei der Erhebung der Anamnese besprochen werden:

  • Aktuelle Beschwerden und ihr Verlauf
  • Frühere Erkrankungen
  • Soziales Umfeld
  • Lebensstil (Substanzmissbrauch?)
  • Vorbehandlungen

In akuten Fällen, wenn das Gespräch mit dem Betroffenen schwierig ist, kann eine Fremdanamnese durch die Befragung von Angehörigen oder Bezugspersonen des Patienten helfen. Das gilt insbesondere auch für die Exploration der akuten Gefährdungslage des Patienten.

ICD-10 Leitsymptome für eine Schizophrenie

Für die häufigste primäre Psychose, die Schizophrenie, sind in der ICD-10 folgende Leitsymptome formuliert:

Gruppen 1-4

  • Gedankenlautwerden, - eingebung, - entzug, -ausbreitung
  • Kontroll- oder Beeinflussungswahn; Gefühl des Gemachten bzgl. Körperbewegungen, Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmungen
  • Kommentierende oder dialogische Stimmen
  • Anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer Wahn (bizarrer Wahn)

Gruppen 5-8

  • Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität
  • Gedankenabreißen oder –einschiebungen in den Gedankenfluss
  • Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, Negativismus oder Stupor
  • Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachter oder inadäquater Affekt

Für die Diagnose Schizophrenie fordert die ICD-10  ≥1 Symptom (≥2 Symptome, wenn weniger eindeutig) der Gruppen 1-4 oder ≥2 Symptome der Gruppen 5-8. Die Symptome müssen fast ständig während eines Monats oder länger vorhanden gewesen sein. Bei eindeutiger Gehirnerkrankung, während einer Intoxikation oder während eines Entzuges soll keine Schizophrenie diagnostiziert werden.

Kennzeichen anderer primärer Psychosen

  • Schizoaffektive Psychosen: Mischform aus schizophrenem (Wahn, Halluzinationen) und affektiven (depressive, manische Zustände) Krankheitsbild
  • Schizotype Störung: Symptomatik ist der der Schizophrenie ähnlich, es treten aber keine eindeutigen Schizophrenie Symptome auf.  Beobachtet werden Anhedonie, Tendenz zu sozialem Rückzug, paranoische Ideen (keine Wahnvorstellungen), zwanghaftes Grübeln, Denk- und Wahrnehmungsstörungen und exzentrisches Verhalten
  • Anhaltende wahnhafte Störung: Wahnvorstellung über mindestens 3 Monate. Keine Symptome höhergradigen Denkstörungen oder Halluzinationen
  • Akute vorübergehende psychotische Störungen: Beginn innerhalb von 2 Wochen und Dauer bis ≤ 3 Monaten. Rascher Wechsel typischen schizophrenen Symptomen (Wahnvorstellungen, Halluzinationen und andere Wahrnehmungsstörungen) und schwerer Störung des normalen Verhaltens
  • Induzierte wahnhafte Störung: Übertragung von Wahnvorstellungen einer Person auf eine eigentlich gesunde Person, zu der eine enge emotionale Beziehung besteht. Auch zwischen Eltern und Kindern möglich
  • Affektive Psychosen: Im Vordergrund stehen Beeinträchtigungen der Stimmung, der Motivation und des Antriebs (psychotische Depression, Manie, bipolare Erkrankungen)

Unterscheidung primäre und sekundäre Psychose

Anschließend an die Anamnese muss insbesondere bei Erstmanifestationen geklärt werden, ob somatische Faktoren die Psychose verursacht haben. Bei allen akuten psychotischen Syndromen sollte ein Drogenscreening zum Ausschluss einer substanzinduzierten Genese durchgeführt werden.

Hinweise auf eine somatische Ursache

Hinweise auf eine somatische Ursache für eine neu aufgetretene Psychose geben folgende Faktoren:

  • Früher und akuter Beginn
  • Bewusstseinseintrübung, epileptische Anfälle, fokale neurologische Ausfälle
  • Subakute kognitive und mnestische Defizite
  • Desorientiertheit, Verwirrtheit
  • Optische Halluzinationen
  • Psychomotorische Symptome (inkl. Katatonie)
  • Fluktuierender Verlauf der Erkrankung
  • Frühe Therapieresistenz
  • Fluktuierende Psychopathologie
  • Komorbide Entwicklungsverzögerung/-störung
  • Fieber, Exsikkose

Untersuchungen auf mögliche organische Ursachen

Zur Abklärung einer somatischen Ursache für die Psychose werden folgende Untersuchungen empfohlen:

  • Körperliche Untersuchung inklusive des Gewichts, der Körpergröße, Temperatur, Blutdruck und Puls
  • Neurologische Untersuchung
  • Laboruntersuchungen: Differenzialblutbild, Nüchternblutzucker und ggf. HbA1c-Wert, GPT,  Gamma-GT, Kreatinin/geschätzte GFR, Natrium, Kalium, Calcium, BSG/CRP, TSH
  • Drogenscreening im Urin
  • Strukturelle Bildgebung des Gehirns mit kranialer Magnetresonanztomografie (T1, T2, FLAIR-Sequenzen), alternativ bei Nichtverfügbarkeit oder Kontraindikationen kraniale Computertomografie

Je nach Fall können folgende fakultative Untersuchungen sinnvoll sein:

  • Lumbalpunktion: Basisdiagnostik mit Zellzahl, oligoklonale Banden, Diagnostik bei Verdacht auf Infektionserkrankung, Autoimmunenzephalitis abklären
  • Erweiterte Labordiagnostik: Kreatinkinase, rheumatologisches Labor,  Eisen und Kupferstoffwechsel, Vitamin B1, B6, B12, Serologie für wichtige Infektionserkrankungen (HIV, Hepatitis, Lues, etc.)
  • EEG zur Abklärung einer epileptogenen Genese sowie zum Therapiemonitoring von Clozapin
  • EKG ist indiziert vor Eindosierung einer antipsychotischen Medikation
  • Testpsychologische Untersuchung

Differenzialdiagnosen

Zu den möglichen somatischen Differenzialdiagnosen bei einer psychotischen Symptomatik gehören folgende Erkrankungen:

  • Enzephalitiden
  • Zerebrale Raumforderungen
  • Degenerative Erkrankungen des ZNS
  • Zerebrovaskuläre ZNS-Erkrankungen,
  • Stoffwechselkrankheiten (z.B. Morbus Wilson, Porphyrie, M. Addison)
  • Endokrinologische Erkrankungen
  • Entzündliche Erkrankungen (z.B. Multiple Sklerose, zerebrospinale Lues, Toxoplasmose)
  • Chorea Huntington
  • Schädel-Hirn-Trauma
  • Alkoholtoxische Enzephalopathien und andere Alkoholfolgeerkrankungen
  • Epilepsien, insbesondere komplexpartielle Formen
  • Demenzielle Erkrankungen
  • Narkolepsie
  • Morbus Parkinson
  • Morbus Fahr (symmetrische Stammganglienverkalkung)

Therapie

Bei der Therapie von Psychosen sollen eine maximale Symptomfreiheit und eine weitestgehend selbstbestimme Lebensführung erzielt werden. Eine frühzeitige therapeutische Intervention kann die Prognose der Patienten deutlich verbessern.

Allgemeine Anmerkungen zur Psychose Therapie

Die Therapie der Psychose ist multimodal und basiert auf:

  • Medikamentöser Therapie
  • Psychotherapie
  • Sozialer Therapie
  • Hirnstimulationsverfahren in Einzelfällen

Zu Beginn der Therapie in der Akutphase liegt der Fokus auf dem Aufbau einer therapeutischen Beziehung, der Aufklärung über Krankheitsbild und Therapie des Patienten und ggf. auch seiner Angehörigen, der Motivation zur Selbsthilfe sowie der Behandlung von Selbst- und Fremdgefährdung.

Die Einbeziehung von Angehörigen oder Bezugspersonen erfordert das Einverständnis des Patienten, stellt aber sowohl in der Akutphase (Vertrauensbildung, Fremdanamnese) als auch im Verlauf (Rückfallprävention) eine bedeutende Hilfe für die Therapie dar. Neben einer therapeutischen Strategie sollte auch ein Krisenplan zur Verhinderung oder Linderung eines erneuten Krankheitsausbruchs entworfen werden. 

Medikamentöse Therapie

Für die medikamentöse Therapie sollten Antipsychotika der 2. Generation bevorzugt eingesetzt werden, denn sie haben ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als die Wirkstoffe der 1. Generation.

Mögliche Nebenwirkungen von Antipsychotika

  • Extrapyramidal-motorische Störungen (EPMS): Akathisie, Frühdyskinesien, Parkinsonoid und Spätdyskinesien
  • Malignes neuroleptisches Syndrom MNS: kommt selten vor, kann aber lebensbedrohlich verlaufen
  • Sexuelle Funktionsstörungen, Menstruationsstörungen, Gynäkomastie und Galaktorrhö
  • Gewichtszunahme, Prädiabetes, Diabetes mellitus Typ 2
  • QTc-Zeit-Verlängerung, Herzrhythmusstörungen
  • Krampfanfälle
  • Delirante Symptome
  • Anticholinerge Nebenwirkungen (vor allem bei Antipsychotika der 2. Generation): Akkomodationsstörungen, Miktionsstörungen, Mundtrockenheit, Obstipation, orthostatische Dysregulation und Reflextachykardie
  • Sedierung (wird mitunter gezielt genutzt)
  • Leberschäden

Gehäufte Nebenwirkungen einiger Antipsychotika der 2. Generation

  • Amisulprid, Risperidon: Anstieg des Prolaktinspiegels
  • Aripiprazol: Akathisie (Sitzunruhe)
  • Clozapin: Gewichtszunahme, Sedierung, Krampfanfälle, orthostatische Dysregulation, , Agranulozytose, anticholinerge Effekte
  • Olanzapin: Sedierung, Gewichtszunahme

Auswahl des Medikaments und Verbesserung der Therapieadhärenz

Eine Monotherapie mit einem Antipsychotikum ist Kombinationen verschiedener Wirkstoffe vorzuziehen. Bei der Auswahl des Wirkstoffs sollten die Behandlungserfahrungen des Patienten, Begleiterkrankungen und die im Vordergrund stehende Symptomatik beachtet werden. Da Nebenwirkungen bei Patienten mit Psychosen sehr häufig zum Therapieabbruch führen, sollte die Therapie unter einem engmaschigen Monitoring erfolgen, um auftretende Nebenwirkungen zeitnah erkennen und zu behandeln. Psychosen gehen häufig mit einer fehlenden Krankheitseinsicht und Desorganisiertheit einher, die die Therapieadhärenz der Patienten beeinträchtigen. Mindestens  50% der Psychose-Patienten sollen ihre Medikamente nicht wie verordnet einnehmen. Der Einsatz von Depotpräparaten kann die Therapieadhärenz und auch die Patientenzufriedenheit verbessern.

Medikation bei Angst und Erregungszuständen

Patienten, die unter starken Ängsten, Erregungszuständen oder innerer Unruhe leiden, können zusätzlich zur antipsychotischen Therapie vorübergehend mit Benzodiazepinen (z. B. Lorazepam oder Diazepam) behandelt werden. Dabei ist eine Kombination von Diazepam (i.v.) und Clozapin aufgrund des Risikos einer respiratorischen Insuffizienz sowie kardiovaskulärer Synkopen kontraindiziert. Kardiovaskuläre Synkopen können auch bei i. m. Gabe von Olanzapin auftreten. Bei starker Erregung in Verbindung mit psychotischem Erleben kann Olanzapin als Schmelztablette (10-20 mg) eine Behandlungsoption darstellen.

Verlauf der Pharmakotherapie

Spätestens 4-8 Wochen nach Therapiebeginn sollte die Positivsymptomatik auf die antipsychotische Medikation ansprechen. Bis zum Wirkeintritt bei der Negativsymptomatik können 8-16 Wochen verstreichen. Die antipsychotische Therapie sollte bei einem erstmaligen Auftreten der Symptome 1 Jahr, in Ausnahmefällen 6 Monate durchgeführt werden. Bei Rezidiven kann eine Therapiedauer von 2-5 Jahren erforderlich sein. Wenn der Patient klinisch stabil ist, kann ein Ausschleichversuch unternommen werden. Dieser sollte aber nur kleinen Schritten und unter regelmäßigen Verlaufsmonitoring der Psychopathologie durchgeführt werden.

Nicht-Ansprechen auf ein Antipsychotikum

Wenn der Patient auf ein Antipsychotikum in Monotherapie nicht anspricht, sollte die Umstellung auf ein Antipsychotikum mit einem anderen Wirkprofil überlappend erfolgen. Wird auch mit dem 2. Antipsychotikum keine ausreichende Symptomkontrolle erzielt, gilt Clozapin als Goldstandard in der Behandlung der therapieresistenten Schizophrenie. Clozapin kann in vielen Fällen Therapieabbrüche und Hospitalisierungen deutlich verringern, kann aber auch schwerwiegende Nebenwirkungen (z. B. Agranulozytose) verursachen. Daher sollten bei Patienten unter Clozapin über die ersten 18 Behandlungswochen wöchentliche Kontrolluntersuchungen auf anticholinerge und kardiale Nebenwirkungen durchgeführt werden und die Leukozytenzahl bestimmt werden. Danach sind monatliche Kontrollen anzustreben.

Psychotherapie

In nationalen und internationalen Leitlinien wird die kognitive Verhaltenstherapie im Rahmen eines Therapieplans in Kombination mit anderen psychosozialen Therapien und einer antipsychotischen Pharmakotherapie zur Behandlung von psychotischen Störungen empfohlen. Die kognitive Verhaltenstherapie wird auch bei psychotischen Patienten empfohlen, die eine Pharmakotherapie ablehnen. Die kognitive Verhaltenstherapie bietet Interventionen für die Leitsymptome Wahn, Halluzination und Negativsymptomatik sowie für den Bereich der Rückfallprophylaxe. Zusätzlich haben sich psychotherapeutische Angebote wie Psychoedukation, insbesondere bei Erstmanifestationen auch psychoedukative Familieninterventionen, eine psychologische Unterstützung in der Krankheitsbewältigung und Akzeptanz sowie Ressourcenaktivierung bewährt.

Sozialtherapie

Die Sozialtherapie soll vor allem den möglichen sozialen Folgen einer Psychose, wie Vereinsamung, Abbruch der Ausbildung, Verlust des Arbeitsplatzes und sozialen Abstieg entgegenwirken bzw. diesen vorbeugen. Sie dient unter anderem auch der Wiedereingliederung von Patienten nach längeren Klinikaufenthalten. Zur Sozialtherapie gehören unter anderem Beratung und Krisenintervention, (Wieder-)Herstellung sozialer Netzwerke, soziale Unterstützung und Stärkung des Selbstbewusstseins/Coping. Ergänzt wird die Sozialtherapie durch Kompetenztrainings (Alltagskompetenz) und ergotherapeutische Maßnahmen.

Hirnstimulationsverfahren

Die nicht invasive Elektrokonvulsionstherapie (EKT) hat sich v. a. bei Positivsymptomatik, ausgeprägter Suizidalität, Neuroleptika-Unverträglichkeit und perniziöser Katatonie (Behandlungsmethode der 1. Wahl) bewährt. Daneben kommt die transkranielle repetitive Magnetstimulation (rTMS) als nicht invasive und nicht konvulsive Methode zunehmend zum Einsatz. Die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und die Magnetkonvulsionstherapie (MST) sind in der Behandlung von Psychosen noch Gegenstand der Forschung.

Therapie sekundärer Psychosen

Die Therapie von sekundären Psychosen basiert auf der Behandlung der Grunderkrankung (z.B. Tumoroperation, Behebung von Stoffwechselstörungen), soweit dies möglich ist. Wenn Nebenwirkungen von Medikamenten für die psychotische Symptomatik verantwortlich sind, müssen therapeutische Alternativen geprüft werden. Bei Substanzmittelmissbrauch stellt der kontrollierte Entzug eine Therapieoption dar.

Prognose

Das Krankheitsbild und der Krankheitsverlauf bei Psychosen sind sehr heterogen. Die Bandbreite reicht von einmaligen Episoden von wenigen Monaten Dauer bis hin zur lebenslangen Erkrankung mit erhöhter Mortalität. Rund 80% der Patienten erleben mehr als eine psychotische Episode. Mehr als die Hälfte der Patienten muss wiederholt stationär-psychiatrisch behandelt werden. In eine chronische Verlaufsform geht die Krankheit ≥20% der Betroffenen über. Die funktionalen Einschränkungen durch die Psychose führen bei den chronisch Erkrankten häufig zu Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg.  Die Lebenserwartung von Menschen mit Psychosen ist gegenüber der Allgemeinbevölkerung um ca. 15 Jahre verringert. Die erhöhte Mortalität wird zum einen auf die Suizidalität der Patienten und zum anderen auf die somatischen Begleiterkrankungen zurückgeführt. Die Prognose von sekundären Psychosen hängt entscheidend von der Behandelbarkeit und dem Therapieerfolg der zugrundliegenden Erkrankung ab.

Prophylaxe

Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung der Erkrankung, am besten bereits im Prodromalstadium, kann Verlauf und Heilungschancen verbessern.

Autor:
Stand:
21.06.2022
Quelle:
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