
Hintergrund
Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Polivy (Polatuzumab Vedotin) der Firma Roche besteht aus dem Mitosehemmstoff Monomethyl-Auristatin-E (MMAE) und ist das erste Chemoimmuntherapeutikum, das für die Behandlung des rezidivierenden oder refraktären diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) zugelassen wurde, wenn Patienten nicht für eine hämatopoetische Stammzelltransplantation infrage kommen. Der Namenszusatz „Vedotin“ steht für MMAE plus Linker.
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) erteilte Polivy am 14. November 2019 die Empfehlung zur EU-weiten Zulassung (mehr dazu hier). Seit Januar 2019 kann das Medikament im Rahmen eines Härtefallprogramms eingesetzt werden.
Die EMA-Zulassung erfolgte am 16.1.2020, die Ausbietung ist auf den 15.02.2020 datiert.
Was ist Polivy und wofür wird es angewendet?
Polivy wird in Kombination mit dem Zytostatikum Bendamustin und mit dem monoklonalen Antikörper Rituximab angewendet zur Behandlung erwachsener Patienten mit rezidivierendem oder refraktärem diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL), die nicht für eine hämatopoetische Stammzelltransplantation in Frage kommen. Das DLBC gehört zu den Non-Hodgkin-Lymphomen und ist mit annähernd 40% der häufigste, sehr aggressive Lymphom-Subtyp, der unbehandelt meist innerhalb von Wochen bis Monaten zum Tod führt.
Wie wird Polivy angewendet?
Polivy ist als Durchstechflasche mit Pulver zur Herstellung eines Infusionslösungskonzentrats verfügbar und wird angewendet als intravenöse Infusion. Nach Rekonstitution enthält jeder Milliliter 20 mg Polatuzumab Vedotin.
Dosierung
Die empfohlene Dosis von Polivy beträgt 1,8 mg/kg. Die Initialdosis ist als 90-minütige intravenöse Infusion zu verabreichen. Während der Infusion und für mindestens 90 Minuten nach Beendigung der Initialdosis sind Patienten auf IRR/Überempfindlichkeitsreaktionen zu überwachen. Die intravenöse Infusion soll alle 21 Tage in Kombination mit Bendamustin und Rituximab (BR) über 6 Zyklen verabreicht werden. Die Reihenfolge der Anwendung von Polivy, Bendamustin und Rituximab an Tag 1 eines jeden Zyklus kann beliebig erfolgen.
Die empfohlene Dosis von Bendamustin beträgt 90 mg/m2/Tag an Tag 1 und Tag 2 eines jeden Zyklus und die empfohlene Dosis von Rituximab 375 mg/m2 an Tag 1 eines jeden Zyklus.
Aufgrund unzureichender klinischer Erfahrungen bei Patienten, die mit 1,8 mg/kg Polivy bei einer Gesamtdosis von > 240 mg behandelt werden, wird empfohlen, die Dosis von 240 mg/Zyklus nicht zu überschreiten.
Bei folgenden Gegebenheiten sind Dosisanpassungen vorzunehmen:
- Infusionsbedingte Reaktionen
- Peripherer Neuropathie
- Myelosuppression
Wie wirkt Polivy?
Polatuzumab Vedotin ist ein Antikörper-Wirkstoffkonjugat, das auf CD79b maligner B-Zellen abzielt. CD79b ist ein Protein auf der Oberfläche des B-Zell-Rezeptors, das beim diffus großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) bei > 95% der Patienten exprimiert wird. Die Bindung an CD79b führt zur Internalisierung von Polatuzumab Vedotin. Der Linker wird durch lysosomale Proteasen abgespalten, wodurch die intrazelluläre Freisetzung des Mitose-Hemmstoffs Monomethylauristatin E (MMAE) ermöglicht wird. MMAE bindet dann intrazellulär an Mikrotubuli und tötet so sich teilende Zellen durch Mitosehemmung und Induktion der Apoptose.
Gegenanzeigen
Polivy darf nicht angewendet werden bei:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der genannten sonstigen Bestandteile
- Aktiven schweren Infektionen
Nebenwirkungen
Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen bei mit Polivy in Kombination mit BR behandelten Patienten waren:
- Anämie (46,7%)
- Thrombozytopenie (46,7%)
- Neutropenie (46,7%)
- Fatigue (40,0%)
- Diarrhö (37,8%)
- Übelkeit (33,3%)
- Fieber (33,3%)
Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden bei 27% Patienten berichtet, darunter febrile Neutropenie (6,7%), Fieber (4,4%) und Pneumonie (4,4%). Bei > 5 % der Patienten führten Nebenwirkungen wie Thrombozytopenie (8,9%) und Neutropenie (6,7%) zu einem Abbruch der Therapie.
Wechselwirkungen
Unter der Anwendung von Polivy kann es zu Wechselwirkungen mit gleichzeitig angewendeten CYP3A4-Inhibitoren, -Substraten oder -Induktoren und mit gleichzeitig angewendeten P-gp-Inhibitoren kommen.
Studienlage
Die Wirksamkeit von Polivy wurde in einer internationalen, multizentrischen, offenen Studie (NCT02257567), die eine randomisierte Kohorte von 80 Patienten mit vorbehandeltem DLBCL einschloss, bewertet.
Die Patienten erhielten entweder Polivy plus BR (pola-BR) oder BR allein über sechs 21-Tage-Zyklen.
Der primäre Endpunkt der Studie war die Gesamtansprechrate (complete response, CR) am Ende der Behandlung (6 - 8 Wochen nach Tag 1 des 6. Behandlungszyklus oder der letzten Studienbehandlung).
Das mediane Gesamtüberleben (overall survival, OS) betrug im Polivy + BR-Arm 12,4 Monate (95 %-KI: 9,0; nb) gegenüber 4,7 Monaten (95 %-KI: 3,7; 8,3) im Kontrollarm.
Insgesamt führte Polatuzumab Vedotin in Kombination mit Bendamustin und Rituximab bei Patienten mit rezidiviertem/refraktärem DLBCL zu einer Verbesserung im Ansprechverhalten und zu einem verringerten Progressionsrisiko im Vergleich zur Rituximab und Bendamustin allein.
Zu Behandlungsende wiesen 40% der mit Polatuzumab Vedotin in Kombination mit Bendamustin und Rituximab behandelten Patienten eine PET-kontrollierte komplette Remission auf, dagegen nur 18% der mit BR behandelten Patienten.
Das mediane progressionsfreie Überleben wurde mehr als verdreifacht (7,6 vs. 2,0 Monate, HR 0,34, p<0.0001).
Die Gesamtüberlebensrate wurde mehr als verdoppelt (12,4 vs. 4,7 Monate, HR 0,42, p=0.0023). Die Ergebnisse waren konsistent bei Patienten mit einem ersten Rezidiv, bei Patienten mit einem wiederholten Rezidiv und bei Patienten mit einer refraktären Erkrankung. Alle Patienten waren für eine Stammzelltransplantation nicht geeignet.
Fazit
Die bisherige Standardtherapie aus Rituximab plus Chemotherapie führt nur bei rund 70% der DLBCL Patienten zu einer Heilung. Für Patienten mit refraktärer oder rezidivierter Erkrankung, die aufgrund von Alter oder Begleiterkrankungen für eine Stammzelltransplantation nicht infrage kommen, sind wegen ihrer schlechten Prognose Alternativen gefragt. Die Ergebnisse klinischer Studien weisen darauf hin, dass Polivy eine vielversprechende Therapieoption für diese DLBCL-Patienten zu sein scheint.